Europäischer Rat will Cameron-Regierung Argumentarium für Verbleib Großbritanniens
in der Europäischen Union liefern
Wien (pk) – Die Bedingungen der britischen Regierung zum Verbleib des Vereinigten Königreichs in der
Europäischen Union wird der Europäische Rat bei seinem Treffen am 18. und 19.02. intensiv diskutieren.
Ziel der Staats- und Regierungschefs der EU-28 dabei ist nach den Worten von Bundeskanzler Werner Faymann, eine
politische Erklärung abzufassen, mit der unter Wahrung der Interessen aller versucht wird, Großbritannien
entgegenzukommen. Vertragsänderungen oder gar ein eigener Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich
stünden dagegen nicht am Programm, sagte er am 17.02. im EU-Hauptausschuss des Nationalrats.
Während die Freiheitlichen den britischen Vorstoß zur Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
in der EU und zur Renationalisierung von Kompetenzen loben, kommen von SPÖ und Grünen kritische Stimmen,
besonders zu angeregten Kürzungen bei Sozialleistungen. Bei der ÖVP findet der britische Premier David
Cameron mit diesem Ansinnen mehr Verständnis, solange Anpassungen der staatlichen Unterstützungen in
sämtlichen Mitgliedsländern zum Tragen kommen. Die NEOS sehen gänzlich das politische Projekt EU
in Frage gestellt, würden einem einzelnen Mitgliedsstaat Sonderrechte eingeräumt und das Team Stronach
fordert grundsätzlich gleiche Spielregeln für alle. Spätestens nächstes Jahr, vielleicht aber
schon diesen Juni, wird in Großbritannien über die Mitgliedschaft zur Union abgestimmt.
Kursentscheidung: Mehr oder weniger Europa?
Die geplante politische Willenserklärung des Rats ist für Bundeskanzler Werner Faymann von nicht zu unterschätzender
Bedeutung. Darin werde zum Ausdruck gebracht, dass sich die Europäische Familie mit den Wünschen ihrer
Mitglieder auseinandersetzt, meinte er und sprach die Überlegungen Londons an, bei Sozialleistungen für
neuangekommene EU-BürgerInnen Kürzungen vorzusehen. Ein Vorschlag sei, künftig entsprechende Ersuchen
an die Europäische Kommission zu richten. Dies dürfe jedoch nicht zu einer Kettenreaktion länderspezifischer
Forderungen ausarten, warnte Faymann und erhielt Rückhalt von Gisela Wurm (S): bei den Ratsgesprächen
darüber sei einen hohes Maß an Fingerspitzengefühl nötig. Verständnis zeigt der Kanzler
auch für das Anliegen des Nicht-Euro-Lands, von Entscheidungen der Eurogruppe nicht völlig ausgeschlossen
zu sein, vor allem wenn die ganze EU von Beschlüssen der Euroländer betroffen ist. Ein automatisches
Vetorecht von außerhalb der Gruppe lehne er wiederum ab, betonte er in Übereinstimmung mit Wolfgang
Gerstl (V), der auf das selbstbestimmte Agieren als Grundprinzip der Eurozone pocht. Grundsätzlich erwartet
Faymann vom Europäischen Rat harte Auseinandersetzungen darüber, ob es künftig mehr oder weniger
Europa geben wird. Erpressen lassen wolle man sich aber nicht. Der politische Wille, eine Union zu bleiben, dürfe
nicht verloren gehen.
Der Rat habe darauf zu achten, dass die EU nicht zu einem reinen Handelsbündnis degradiert wird, mahnte NEOS-Mandatar
Christoph Vavrik. Besonders irritiert zeigte sich der Außenpolitiksprecher über die angestrebte Abkehr
Großbritanniens von einer weitergehenden Integration der Union. Auch wenn die Mitgliedsstaaten den Integrationsprozess
in verschiedenen Geschwindigkeiten durchliefen, müssten sie ein gemeinsames Ziel haben. Dem Ratsbeschluss
zu den Forderungen Englands prophezeite er wenig Gutes: eine vermeintliche Neuordnung der Union würde sich
ohne entsprechende Änderungen in den EU-Verträgen als Trugbild erweisen. Josef Cap (S) gewinnt der Diskussion
über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs indes durchaus etwas Positives ab. Die Debatte
schärfe den Blick auf einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Arbeitsmarkt, gerade im Kontext der Binnenwanderung,
und auf die Finanzierung des Sozialstaats.
Caps Ansicht nach sollte man das Sozialsystem aber nur innerhalb der EU weiterentwickeln, zumal – wie ÖVP-Abgeordneter
Gerstl anmerkte – die Europäische Union über kein gemeinsames Sozialwesen verfüge. Gerstl begrüßt
in diesem Zusammenhang Camerons Vorschlag, die Familienbeihilfe für EU-AusländerInnen an das Niveau der
Herkunftsländer anzupassen. Diese Sichtweise teilt Judith Schwentner (G) nicht. Ein Soziallstaat wie Österreich
lebe von Zuzug, das zeige beispielsweise der Pflegebereich. An den Bundeskanzler appellierte die Grünen-Sozialsprecherin,
sich beim Rat für den Erhalt des sozialen Friedens in der EU einzusetzen und fand darin Zustimmung bei Christine
Muttonen (S). Die SPÖ-Außenpolitiksprecherin vermutete überhaupt, Cameron gehe es bei seinen angeregten
Restriktionen im Sozialbereich eigentlich um den Abbau des Sozialstaats an sich, auf Kosten der Armen. Im gleichen
Atemzug kritisierte sie das fehlende Engagement der EU-Länder gegen Steuervermeidung von Großkonzernen.
Britische Forderungen kein Tabu in der heimischen Politik
Konkret zielt der britische Forderungskatalog auf Stärkung der Rechte von Nicht-Euro-Ländern in der EU-Wirtschaftspolitik
ab und will die Wettbewerbsfähigkeit durch rechtliche Erleichterungen für Unternehmen forcieren, wie
Gerstl ausführte. Weiters geht es London darum, die Souveränität der Staaten innerhalb der Union
auszubauen, speziell hinsichtlich des Einflusses nationaler Parlamente auf Legislativvorschläge aus Brüssel.
Außerdem ist nach dem Reformkonzept der britischen Regierung die Zuwanderung von UnionsbürgerInnen anderer
Mitgliedsstaaten zu begrenzen – eben mittels Kürzungen bei den Sozialleistungen. Der ÖVP-Mandatar wollte
keine der Forderungen vollständig ablehnen, einen Bürokratieabbau im Sinne der Wirtschaft befürwortete
er sogar ausdrücklich. Er stellte aber klar, trotz Änderungen bei der wirtschaftspolitischen Steuerung
in der EU dürften Nicht-Euro-Länder keinesfalls das gleiche Mitspracherecht in Belangen der Eurozone
erhalten.
Aus Sicht der Freiheitlichen täten die EU-Mitgliedsstaaten schon in ihrem eigenen Interesse gut daran, Großbritannien
entgegenzukommen. Abgeordneter Johannes Hübner beantragte dementsprechend, der Bundeskanzler solle beim Ratstreffen
auf die Umsetzung einer eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit drängen. Immerhin gestehe das
geltende EU-Recht bereits zu, dass aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses derartige Reglementierungen
schlagend werden können. Derzeit bewirke der offene heimische Arbeitsmarkt lediglich den Import von Arbeitslosen,
sieht Hübner die Bedingungen erfüllt.
Ebenso wichtig ist der FPÖ, die Souveränität der Mitgliedsstaaten wieder herbeizuführen, weswegen
ihr Außenpolitiksprecher eine Rückübertragung der an Brüssel abgegebenen nationalen Zuständigkeiten
einfordert. Beide Anträge auf Stellungnahme fanden aber keine Mehrheit im Ausschuss – nur das Team Stronach
schloss sich dem Freiheitlichen Aufruf an. Für Abgeordnete Waltraud Dietrich (T) ist die EU-Skepsis Großbritanniens
verständlich, obwohl sie sich gegen Vorteile für einzelne Mitgliedsstaaten aussprach. Reformen seien
im Sinne aller anzudenken.
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