Beijing/Wien (öaw) - Der Countdown läuft: Das quantenphysikalische Experiment „Quantum Experiments
at Space Scale“ (QUESS) eines Teams von Forscher/innen der Universität Wien, der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften tritt in die entscheidende Phase ein. Gelingen
der Transport einer speziellen Sendestation ins All und die Quantenkommunikation mit der Erde, ist der nächste
Meilenstein auf dem Weg zu sicherer Quantenkryptographie und Quanteninternet erreicht.
Ein österreichisch-chinesisches Team von Forscher/innen rund um den Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger
und seinen chinesischen Kollegen Jian-Wei Pan hat zur Erforschung der „spukhaften“ Fernwirkung miteinander verschränkter
Lichtteilchen das nächste große Quantenexperiment im Visier. Nach mehrjährigen Vorbereitungsarbeiten
wird Mitte 2016 ein chinesischer Forschungssatellit mit einer Quanten-Sendestation in den Weltraum starten: Sie
wird verschränkte Lichtteilchen aus dem erdnahen Weltraum zu Bodenstationen wie der „Satellite Laser Ranging
Station“ am Observatorium Lustbühel in Graz und dem „Hedy Lamarr Quantum Communication Telescope“ in Wien
schicken – und damit das weltweit erste orbital-planetare Quantennetzwerk in Betrieb nehmen.
Wichtiger Schritt auf dem Weg zum Quanteninternet
Die beteiligten Forscher/innen des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) Wien der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Universität Wien sowie der University of Science and Technology
of China der Chinesischen Akademie der Wissenschaften erhoffen sich von dem Projekt „Quantum Experiments at Space
Scale“ (QUESS) zweierlei: Das Experiment soll einerseits Klarheit schaffen, ob der Zustand der quantenphysikalischen
Verschränkung von Photonen auch über Distanzen von mehr als 1.000 Kilometern aufrecht bleibt. Andererseits
soll die Verschränkung mittels bestimmter Protokolle der Quantenkommunikation die Erzeugung und den Austausch
kryptographischer Schlüssel erlauben und damit ein Modell für vollständig abhörsichere Datenverbindungen
über bisher unerreichte Distanzen liefern.
Denn beim quantenphysikalischen Phänomen der Verschränkung bleiben zwei Lichtteilchen über theoretisch
beliebige Distanzen miteinander verbunden. Misst man den Zustand eines der beiden Photonen, kennt man augenblicklich
auch den Zustand des anderen. Würde sich ein Dritter in diesen Informationsfluss einschalten, würde sich
der Zustand beider Photonen unwiderruflich ändern, sodass die Information verloren ginge. Dadurch ist ein
Abhören von Quantenkommunikation praktisch unmöglich.
„Das Projekt hat das Potenzial, neue Grundlagen zu etablieren“, ist Anton Zeilinger überzeugt. „Wir sprechen
dabei nicht nur von einer neuen Dimension der Überprüfung fundamentaler quantenphysikalischer Erkenntnisse,
sondern auch von einem entscheidenden Schritt in der Entwicklung des Quanteninternets“, betont der Physiker. Quantenkommunikation,
also der Austausch verschränkter Lichtteilchen, war zwischen zwei Punkten auf der Erdoberfläche bisher
nur über begrenzte Strecken möglich. Den gegenwärtigen Rekord von 144 Kilometern haben ebenfalls
Zeilinger und sein Team aufgestellt. Mit einem Quantennetzwerk unter Einbindung von orbitalen Stationen als Relais
könnte der Abtausch von Sicherheitsschlüsseln zwischen beliebig weit voneinander entfernten Bodenstationen
realisiert werden – beispielsweise eben auch zwischen Europa und China. Für die Entwicklung des Quanteninternets
ist das von großer Bedeutung, um die Kommunikation zwischen unterschiedlichsten Datenknotenpunkten auf der
Welt über Satelliten durchführen zu können.
Erste Quantenkommunikation zwischen Österreich und China
Mit den beiden Bodenstationen in Graz und Wien stehen die ersten Knotenpunkte in diesem Quantennetz in Österreich.
Das Wiener „Hedy Lamarr Quantum Communication Telescope“ wird gemeinsam von den Quantenphysik-Einrichtungen der
Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betrieben. „Die Quantenphysik ist
eines der Stärkefelder der Universität Wien. Ein Vorzeigebeispiel dafür, dass österreichische
Wissenschafter/innen auch unter hohem internationalen Wettbewerb auf weltweit beachtetem Topniveau forschen“, so
Rektor Heinz W. Engl. „Die Kooperation zwischen der Universität Wien, der Österreichischen und der Chinesischen
Akademie der Wissenschaften stellt sicher, dass auch in Zukunft bahnbrechende Erfolge in diesem Forschungsfeld
von Wien ausgehen werden.“
Auch der Quantenphysiker Jian-Wei Pan, der kürzlich mit dem Breakthrough of the Year 2015 geehrt wurde und
derzeit Vizerektor der University of Science and Technology of China ist, hebt die Bedeutung der österreichischen
Teleskope für das Gelingen des Projekts hervor: „Die optischen Bodenstationen in Österreich sind essentiell
für eine der Missionen unseres quantenphysikalischen Satellitenprojekts, nämlich für den interkontinentalen
Austausch von Quantenschlüsseln zwischen Beijing, Wien und Graz.“ Während im Rahmen der internationalen
Kooperation die chinesischen Wissenschaftler/innen die Sendeeinheit entwickelten und deren Transport in den Orbit
übernehmen, konzentrierten sich die österreichischen Partner auf die Entwicklung der Bodenstationen.
Eine gelungene Zusammenarbeit, wie Jian-Wei Pan betont: „Wir freuen uns sehr, dass die Vorbereitung der österreichischen
Bodenstationen so hervorragend verläuft und sie bereit sind, die Kalibrierungsmessungen mit unserem Prototyp
zu beginnen.“
Dem Start des Satelliten gegen Jahresmitte sehen die Partner in China und Europa dennoch mit Spannung entgegen,
denn trotz der guten Vorbereitung sind die technischen Herausforderungen enorm: angefangen von der hohen Geschwindigkeit
des Satelliten, die große Anforderungen an die Nachführgenauigkeit der Sende- und Empfangsstationen
stellt, bis hin zur kosmischen Strahlung, welche die empfindlichen Geräte an Bord des Satelliten beeinflussen
kann. Doch Jian-Wei Pan ist von dem Experiment überzeugt, denn: „Wenn man Neues in der Physik entdecken möchte,
muss man bisherige Grenzen überschreiten. Und wir wollen herausfinden, ob sich die quantenphysikalische Verschränkung
von Teilchen tatsächlich über beliebige Distanzen erstrecken kann.“
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