Göttingen (idw) - Sicherheits-Kontrollen sind für lebende Zellen unverzichtbar. Hochselektive Tore
in den zwei Hüllmembranen des Zellkerns – sogenannte Kernporen – überwachen, welche Moleküle in
den Kern hinein dürfen und welche nicht. Wie Wissenschaftler um Dirk Görlich und Henning Urlaub am Max-Planck-Institut
(MPI) für biophysikalische Chemie nun herausgefunden haben, ist diese Kontrolle an der Kernpore weniger zuverlässig
als bisher gedacht. Die Forscher konnten zeigen, dass sich oft Proteine aus dem Zellplasma in den Zellkern verirren.
Dort bleiben sie jedoch nicht lange unentdeckt. Das Shuttle-Protein CRM1 erkennt, welches Protein dort nicht hingehört
und lotst dieses schnell aus dem Zellkern heraus.
In Zellen von Pilzen, Pflanzen und Tieren herrscht strikte Arbeitsteilung: Sie sind in verschiedene Bereiche –
sogenannte Kompartimente – gegliedert, die spezielle Aufgaben übernehmen. Wie in einer Miniaturfabrik gibt
es Verpackungs- und Sortierstationen, Kraftwerke und eine Kommandozentrale in Form des Zellkerns. Dieser ist gleichzeitig
der Speicher für das Erbgut, das die Baupläne für die Produktion von Proteinen enthält. Die
Proteinfabriken allerdings, die nach diesen Anleitungen arbeiten, befinden sich außerhalb des Kerns im Zellplasma.
So müssen nicht nur Baupläne aus dem Zellkern exportiert, sondern auch fertige, im Zellkern benötigte
Proteine importiert werden.
Um diese logistische Herausforderung zu meistern, muss die Zelle einigen Aufwand betreiben. Die Kernporen in den
Hüllmembranen des Zellkerns fungieren dabei als hochselektive Sortieranlagen, die nur kleine Moleküle
direkt passieren lassen. Größeres „Frachtgut“ benötigt einen molekularen Passierschein und ist
auf seinem Weg durch die Kernpore auf Shuttles (sogenannte Exportine und Importine) angewiesen.
Doch die Sicherheits-Kontrolle an der Kernpore funktioniert nicht perfekt – und das mit weitreichenderen Folgen
als bisher gedacht. Dies zeigen neue aufwendige Proteomik-Experimente der Teams um Dirk Görlich und Henning
Urlaub am MPI für biophysikalische Chemie. In einem ersten Schritt ermittelten die Forscher für 5000
verschiedene Proteine am Modell des Krallenfrosches, in welcher Menge sie jeweils im Zellplasma und im Zellkern
vorhanden waren. „Wir haben bei dieser ‚Inventur’ wichtige Aufschlüsse darüber erhalten, welche Proteine
wo ihre Arbeit verrichten“, berichtet Samir Karaca, Mitarbeiter in Görlichs Abteilung Zelluläre Logistik
und Urlaubs Forschungsgruppe Massenspektrometrie. Im nächsten Schritt ermittelten die Wissenschaftler, welche
Art von Proteinen vom Exportin CRM1 transportiert wird. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass CRM1 als Transporter beeindruckend
vielseitig ist. In Zellen vom Krallenfrosch und vom Menschen erkennt CRM1 bis zu 1000 verschiedene Frachtmoleküle,
die es aktiv aus dem Zellkern herausschafft. Bei Hefezellen sind es rund 700“, ergänzt Karacas Kollege Koray
Kirli.
Effizienter Lotse für Proteine, die sich in den Zellkern verirrt haben
„Überraschenderweise sind die Mehrheit der Frachtmoleküle Proteine, die ausschließlich im Zellplasma
vorkommen, im Zellkern aber bisher nicht gefunden wurden“, so Karaca weiter. Dass solche Proteine die Shuttle-Dienste
von CRM1 benötigen, macht daher auf den ersten Blick keinen Sinn. „Wenn wir CRM1 jedoch in seiner Shuttle-Funktion
blockieren, ergibt sich ein völlig anderes Bild: Dann sehen wir im Zellkern plötzlich auch Zellplasma-Proteine,
die sich scheinbar dorthin verirren und allein – ohne Hilfe von CRM1 – nicht mehr herausfinden. Wir vermuten, dass
CRM1 den Rücktransport verirrter Proteine so schnell und effizient bewerkstelligt, dass wir ihr extrem kurzes
Intermezzo im Zellkern mit verfügbaren Methoden gar nicht erfassen können. Offensichtlich ist CRM1 nicht
nur der universellste Transporter in der Zelle. Er arbeitet auch als höchst aufmerksamer und effizienter ‚Lotse’,
der falsche Proteine im Zellkern erkennt und umgehend hinausschafft“, sagt Görlich.
„Unsere Experimente legen nahe, dass es im Zellkern häufiger Irrläufer gibt als bisher gedacht. Versehentlich
in den Zellkern gelangte Proteine schnellstens zu exportieren, scheint daher ein lebenswichtiger Vorgang zu sein.
Wenn sich mit der Zeit immer mehr Proteine im Zellkern anreichern, die dort nicht hingehören, könnte
dies die Funktion der Kommandozentrale empfindlich stören“, so Henning Urlaub. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler
erlauben wichtige neue Einblicke, wie die Zelle mithilfe von CRM1 ihre Kompartimentierung aktiv aufrechterhält
und sich so vor Schaden schützt.
Original-Publikation: Konray Kirli, Samir
Karaca, Heinz-Jürgen Dehne, Matthias Samwer, Kuan-Ting Pan, Christof Lenz, Henning Urlaub, Dirk Görlich:
A deep proteomics perspective on CRM1-mediated nuclear export and nucleocytoplasmic partitioning. eLIFE 4, e11466
(2016).
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