Weitere Themen im Verfassungsausschuss: Rahmengesetz für Mindestsicherung, Begutachtungsverfahren,
Verbandsklage für Volksgruppen
Wien (pk) - Sowohl die Grünen als auch die NEOS machen sich seit geraumer Zeit dafür stark, die
nicht amtsführenden Stadträte in Wien abzuschaffen. Der in der Verfassung verankerte Zwang zum Proporz
sei nicht mehr zeitgemäß, man müsse Wien, das als Gemeinde einen Sonderstatus hat, analog zu den
anderen Bundesländern die Möglichkeit geben, einen klaren Trennstrich zwischen Regierung und Opposition
zu ziehen, sind sich Abgeordnete Daniela Musiol (G) und Nikolaus Scherak (N) einig. Bislang waren diesbezügliche
Anträge der beiden Fraktionen allerdings nicht von Erfolg gekrönt, da die Regierungsparteien die Meinung
vertreten haben, dass die Initiative von Wien ausgehen sollte. Auch am 03.03. fiel im Verfassungsausschuss des
Nationalrats keine Entscheidung darüber, obwohl der Wiener Landtag zwei Entschließungen dazu verabschiedet
hat. SPÖ und ÖVP sehen noch einige offene Punkte und stimmten daher dem Vertagungsantrag von Wolfgang
Gerstl (V) mehrheitlich zu.
Auch die beiden Anträge zur Frage der Begutachtung von Gesetzesvorhaben und zur Einführung einer Verbandsklage
für Volksgruppen wurden vertagt. Nicht durchsetzen konnten sich die Grünen mit ihrem Vorstoß, ein
Bundesrahmengesetz für die Mindestsicherung zu schaffen – er wurde abgelehnt.
Keine Einigung über Abschaffung der amtsführenden StadträtInnen in Wien
Basis für die Diskussion über die nicht amtsführenden StadträtInnen in Wien waren Gesetzesanträge
der NEOS ( 840/A) bzw. der Grünen ( 869/A), die beide darauf hinauslaufen, dem Wiener Landtag durch eine Änderung
der Bundesverfassung eine Adaptierung der Wiener Stadtverfassung zu ermöglichen. Das in Wien verankerte System
der nicht amtsführenden StadträtInnen sei ein Unikum in Österreich und nicht nur teuer, es erfülle
auch keinen erkennbaren demokratiepolitischen Zweck, heißt es etwa von Seiten der NEOS.
Nikolaus Scherak (N) und Daniela Musiol (G) sahen insofern die Zeit für eine Änderung gekommen, als der
Wiener Landtag selbst in der Zwischenzeit zwei diesbezügliche Entschließungen – eine von SPÖ und
Grünen, unterstützt von den NEOS, und eine von der ÖVP - verabschiedet hat. Damit falle das Argument
weg, man solle die Meinung aus Wien abwarten und berücksichtigen, sagte Scherak. Nun ist ihm und Musiol zufolge
der Verfassungsgesetzgeber gefragt. Selbstverständlich dürfe die Neuregelung zu keinen Kontrollverlusten
für die Opposition führen, stellten Musiol und ihr Klubkollege Albert Steinhauser zudem klar. Die Anträge
wurden auch von Christoph Hagen seitens des Team Stronach unterstützt.
Diese Eindeutigkeit sah Wolfgang Gerstl (V) nicht gegeben. Während der Antrag der Wiener SPÖ und Grünen
auf Einsparungen abziele und sich auf die Zusammensetzung des Stadtsenats konzentriere, spreche der ÖVP-Antrag
auch von der Landesregierung. Außerdem wolle die Wiener Koalition, dass es für Wien gegenüber anderen
Gemeinden Sonderregelungen geben sollte. Es bleibe daher die Frage offen, ob man sich auf die Landesebene konzentrieren
oder auch die Gemeindeebene miteinbeziehen solle, begründete er den Vertagungsantrag, der schließlich
mit Mehrheit von SPÖ und ÖVP angenommen wurde. All dies müsse man noch mit Wien sowie mit dem Gemeinde-
und Städtebund klären, sagte Gerstl. Daraufhin appellierte Albert Steinhauser (G), keine weiteren Ausreden
und nicht "das Haar in der Suppe von Anträgen" zu suchen.
Völlig abgelehnt wurden die Initiativen der Grünen und der NEOS von den Freiheitlichen. Der Verfassungsgesetzgeber
habe sich etwas dabei gedacht, als er die Regelung schuf, meinte Günther Kumpitsch. Die Schwierigkeiten wären
leicht zu beheben, wenn man den Wiener Vizebürgermeister mit einem Aufgabengebiet betraute, argumentierte
er. Als zwingende Forderung sieht er lediglich, die Oppositionsrechte zu stärken.
NEOS urgieren klare Regelungen für Begutachtungsverfahren
Ein weiteres Anliegen ist den NEOS ein einheitliches Begutachtungsverfahren von Gesetzesvorhaben der Regierung.
Abgeordneter Nikolaus Scherak will in einem eigenen Bundesgesetz ( 1252/A) festschreiben, dass Ministerialentwürfe
für mindestens sechs Wochen einer öffentlichen Begutachtung unterzogen werden müssen und einlangende
Stellungnahmen zu veröffentlichen sind. Es gebe zwar diverse Empfehlungen und Vereinbarungen, mangels Verbindlichkeit
würden in der Praxis aber immer wieder sehr kurze Fristen gesetzt, moniert er. Eine ausreichende Begutachtungsfrist
würde der Qualität der Gesetzgebung dienen, da die Stellen ausreichend Zeit hätten, sich mit den
Materien zu befassen. Der Rechnungshof habe aufgezeigt, dass in vielen Fällen die Frist von sechs Wochen unterschritten
wird. Die Initiative wurde auch von den Freiheitlichen (Harald Stefan), den Grünen (Daniela Musiol) und dem
Team Stronach (Christoph Hagen) befürwortet.
Josef Cap (S) sah noch Diskussionsbedarf und erinnerte an die Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie,
wo es auch zu diesem Punkt engagierte Debatten gegeben habe. In diesem Geist sollten die Ergebnisse in einer präzisen,
umfassenden und glaubwürdigen Form umgesetzt werden, sagte er, worauf Daniela Musiol (G) kritisch einwarf,
sie warte noch immer auf Gespräche, wie man die Ergebnisse der Enquete-Kommission in Gesetzesform fassen könnte.
Der Antrag wurde schließlich mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP vertagt.
Mindestsicherung: Grüne fordern Bundesrahmengesetz
Vom Verfassungsausschuss abgelehnt wurde ein Antrag der Grünen zum Thema Mindestsicherung ( 1007/A). Abgeordnete
Judith Schwentner und ihre FraktionskollegInnen wollten durch eine Adaptierung der Bundesverfassung klarstellen,
dass die Grundsatzgesetzgebung für den Bereich der Mindestsicherung dem Bund obliegt. Der Versuch, einheitliche
Leistungen für MindestsicherungsbezieherInnen über eine Bund-Länder-Vereinbarung (so genannte Artikel
15a-Vereinbarung) zu erreichen, ist ihrer Meinung nach gescheitert, daher bedürfe es eines Bundesrahmengesetzes.
Nikolaus Scherak (N) nannte die gegenwärtige Regelung einen "Ausfluss des falsch verstandenen Föderalismus"
und Christoph Hagen (T) wies darauf hin, dass sich etwa Flüchtlinge jene Bundesländer aussuchen, in denen
die Mindestsicherung am höchsten ist.
Im Gegensatz dazu vertrat Michael Hammer (V) die Auffassung, das Instrumentarium der 15a-Verträge habe sich
bewährt, es sei im Falle der Mindestsicherung gelungen, weitgehend eine Harmonisierung herbeizuführen.
Die Mindestsicherung sollte nah beim Bürger bleiben, argumentierte er, eine Zentralisierung halte er nicht
für sinnvoll.
Hammer wandte sich auch gegen den von Schwentner heftig kritisierten Begriff des "Armenwesens", den sie
im Gesetz durch eine modernere Formulierung ersetzen will. Der Begriff sei ausjudiziert und eine Neuformulierung
hätte weitreichende Änderungen zur Folge, so Hammer.
Für den Antrag stimmten nur Grüne, NEOS und Team Stronach, somit blieb er in der Minderheit.
Volksgruppen: Grüne fordern Recht auf Verbandsklage
Schließlich vertagten SPÖ und ÖVP mehrheitlich einen Entschließungsantrag der Grünen
( 235/A(E)), der darauf abzielt, den Volkgruppenverbänden und Volksgruppenorganisationen zur Durchsetzung
von Minderheitenrechten das Recht auf Verbandsklagen einzuräumen. Ohne die Möglichkeit einer Verbandsklage
sei es für die Volksgruppen schwierig, ihre garantierten Rechte durchzusetzen, argumentiert Abgeordneter Wolfgang
Zinggl und erinnert in der Begründung des Antrags daran, dass es nur durch eine bewusste Geschwindigkeitsübertretung
im Ortsgebiet möglich gewesen sei, das Thema zweisprachige Ortstafeln vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen.
Das geltende Volksgruppengesetz bringe den Betroffenen viele Rechte, es sei aber schwierig, diese durchzusetzen,
wenn die Rechte eine Volksgruppe gesamt betreffen, betonte er. Hinter den Antrag stellte sich ausdrücklich
auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak.
Seitens der Koalition sah man allerdings derzeit keine Notwendigkeit, eine Verbandsklage für Volksgruppen
einzuführen. Die Volksgruppen seien auch diesbezüglich nicht an den Minister herangetreten, begründete
Angela Lueger (S) ihren Vertagungsantrag. Auch Kanzleramtsminister Josef Ostermayer gab zu bedenken, dass es zwar
Gespräche darüber gegeben habe, man aber zu keinem Ergebnis gekommen sei, was der Inhalt einer Verbandsklage
sein könnte, zumal die Ortstafelfrage und die Amtssprache einer verfassungsrechtlichen Regelung zugeführt
werden konnten. Ein neuerlicher Impuls müsste von den Volksgruppen selbst kommen, so Ostermayer.
Eine Verbandsklage hätte durchaus Charme, meinte dazu Nikolaus Berlakovich von der ÖVP. Viele Fragen
seien aber offen, etwa wer klagsberechtigt ist oder ob es ein Bekenntnisprinzip geben soll. Man sollte sich jedenfalls
mit dem Thema weiter befassen.
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