Nationale und europäische Flüchtlingspolitik im Fokus des Menschenrechtsausschusses
Wien (pk) - Der österreichische Kurs in der Flüchtlingskrise, der damit einhergehende Rückstau
von Asylsuchenden im griechisch-mazedonischen Grenzdorf Idomeni und der angestrebte Flüchtlingsdeal zwischen
der Europäischen Union und der Türkei waren am 09.03. die bestimmenden Themen im Menschenrechtsausschuss
des Nationalrats. Der vor allem von den Grünen kritisierte "Alleingang Österreichs" in der
Flüchtlingsfrage bzw. der damit erzeugte Druck auf Griechenland sei notwendig gewesen, um Tempo in die europäischen
Verhandlungen zu bringen, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagte. Was den EU-Türkei-Flüchtlingsgipfel
vor zwei Tagen betrifft, gebe es zwar noch keine Abschlüsse, die geplanten Vereinbarungen seien aber ein wichtiges
Signal. Zentraler Diskussionspunkt ist für Mikl-Leitner dabei die in Verhandlung stehende VISA-Liberalisierung
für türkische StaatsbürgerInnen.
In der Frage einer solidarischen europäischen Flüchtlingsverteilung sind für die Innenministerin
nun die anderen EU-Mitgliedsstaaten am Zug. Ein Tageskontingent für Flüchtlinge habe zudem erstmals Deutschland
eingeführt, Österreich sei so "fair" gewesen, die Balkanstaaten über Asylobergrenzen zu
informieren. Der erwünschte Dominoeffekt sei nun eingetroffen. Was die von der EU-Kommission geplante und
für März avisierte Änderung der Dublin-III-Verordnung betrifft, gibt es laut Mikl-Leitner noch keine
konkreten Informationen. Sie erwartet sich aber, dass es durch die Änderung zu einer gerechten Verteilung
kommt, wie die Innenministerin gegenüber Nikolaus Scherak (N) sagte.
Die Regierung hat vom Menschenrechtausschuss zwei Aufträge in Sachen Asylpolitik erhalten. Zum einen sprechen
sich alle Fraktionen dafür aus, die besondere Situation von Frauen in der österreichischen Flüchtlingshilfe
zu berücksichtigen, zum anderen wollen die Abgeordneten der SPÖ und ÖVP, dass das Projekt "Polizei.Macht.Menschen.Rechte"
auch nach seinem Auslaufen 2015 in Richtung Zivilgesellschaft weiterentwickelt wird.
Vertagt wurden hingegen zwei Anträge der Grünen, in denen sie für asylsuchende Menschen mit Behinderung
und unbegleitete Minderjährige aktiv werden wollen. Keine Zustimmung fand die Forderung der NEOS für
einen Nationalen Aktionsplan für Asyl in Österreich.
Idomeni: Es braucht Bereitschaft der Flüchtlinge
Die Situation an der griechisch-mazedonischen Grenze, an der tausende Schutzsuchende gestrandet sind, sprach vor
allem die Menschenrechtssprecherin der Grünen Alev Korun an. Sie war vergangene Woche vor Ort. Die Menschen,
darunter viele Kinder, würden dort im Schlamm leben sowie in Zelten, die nicht trocken sind. Zudem gebe es
keine staatlichen Strukturen, erläuterte Korun ihre Eindrücke, für die der "Alleingang Österreichs"
eine gesamteuropäische Lösung erschwert.
Die Bilder aus Idomeni seien zwar schrecklich, manche Fluchtsuchende hätten sich aber auch gewehrt, vom Grenzgebiet
in eine andere Unterbringungsmöglichkeit zu gehen, so Mikl-Leitner. Sie hofft, dass die Fluchtsuchenden überzeugt
werden können, in eine menschenwürdige Unterbringung zu übersiedeln, wie sie sagte. Dazu brauche
es aber die Bereitschaft der Flüchtlinge.
Was die Unterstützung für Griechenland angeht, so wurden im Zeitraum 2007 bis 2013 Gelder in der Höhe
von 376 Mio. € ausgeschüttet, um das dortige Asylsystem und den Grenzschutz auszubauen. Bis zum Jahr 2020
gerechnet werden insgesamt 820 Mio. € nach Griechenland fließen. Dazurechnen müsse man noch diverse
Soforthilfen sowie Mittel aus dem Nothilfepaket der EU-Kommission (700 Mio. €), wobei ein Großteil davon
Griechenland zu Gute kommen wird. Fest überzeugt zeigte sich Mikl-Leitner davon, dass die Initiativen und
Maßnahmen von Seiten Österreichs (Obergrenze, Tageskontingente etc.) die Bereitschaft in der EU erhöht
haben, rascher eine gemeinsame europäische Lösung zu finden.
Asyl-Kriminalität: Zahl der Tatverdächtigen in Relation nicht gestiegen
Die FPÖ sprach angesichts der Übergriffe gegenüber Frauen in Köln und Salzburg sicherheitspolitische
Aspekte in der Flüchtlingsfrage an. "Diese Übergriffe sind nicht zu tolerieren", meinte Mikl-Leitner.
In Sachen Kriminalitätsstatistik liegen die Rohdaten für 2015 vor. Demnach lässt sich in Österreich
laut Ministerin ein Rückgang in der Gesamtkriminalität verbuchen, die Zahl der tatverdächtigen AsylwerberInnen
sei in absoluten Zahlen aber am Steigen. Deshalb in absoluten Zahlen, weil es 2014 im Gegensatz zu rund 90.000
im Jahr 2015 nur 28.000 Asylanträge gab. In Relation ist die Anzahl von tatverdächtigen AsylwerberInnen
demnach nicht im Ausmaß der Asylanträge gestiegen. Die Straftaten, die von AsylwerberInnen begangen
wurden, haben sich zwischen Ende 2014 sowie Ende 2015 von 4.505 auf 7.939 erhöht. Dabei handelt es sich meist
um Kleinkriminalität, Diebstahl, Körperverletzungen oder Suchtgiftdelikte, wie Mikl-Leitner gegenüber
Günther Kumpitsch (F) sagte.
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Info-Kampagne: Mikl-Leitner sieht keine Ähnlichkeit mit FPÖ-Plakaten
Thema war auch die erst kürzlich vom Innenministerium in Afghanistan gestartete Info-Kampagne, die darauf
abzielt, Menschen davon abzuhalten, sich auf den Weg nach Österreich zu machen. Es handle sich um einen "Akt
der Fairness" gegenüber Wirtschaftsflüchtlingen in Afghanistan, sagte Mikl-Leitner. Sie hat vor,
die Kampagne auf Pakistan sowie die Maghrebländer auszuweiten, wie Mikl-Leitner gegenüber Scherak erklärte.
Angesprochen von Tanja Windbüchler-Souschill (G) auf eine besonders in den Sozialen Medien in Diskussion gebrachte
"Kooperation mit dem Generalsekretär der FPÖ", sagte die Innenministerin, dass es sich bei
der Farbe Rot um eine Signalfarbe handelt, die aus diesem Grund bei der Kampagne gewählt wurde.
Ähnlichkeit bestehe wenn überhaupt mit der "No Way-"Kampagne Australiens oder der Informationskampagne
im Kosovo. "In Afghanistan weiß nicht einmal jemand, wer die FPÖ ist", so Mikl-Leitner, die
Kampagne wurde demnach im Innenministerium von "eigenen Kreativen" gestaltet.
Beim Thema Wertevermittlung sagte Mikl-Leitner, dass es schon bald für ganz Europa eine Kommunikationsstrategie
geben wird. Mit der Europäischen Grundrechteagentur sei man bereits in engem Kontakt, eine wichtige Rolle
werde das Vorhaben bei der Balkankonferenz im Herbst spielen.
Mit dem Flugzeug von der Türkei nach Deutschland
"Ich habe etwa dagegen, dass Merkel die halbe Welt einlädt", sagte Christoph Hagen (T) mit Verweis
auf Flüchtlinge, die aus ökonomischen Gründen nach Mitteleuropa wollen. Gegenüber dem Abgeordneten
bestätigte Mikl-Leitner, dass sich Asylsuchende das Land, in dem sie Schutz bekommen, nicht aussuchen können.
Ein falsches Signal wäre es laut der Innenministerin, wenn Deutschland Flüchtlinge direkt von der Türkei
via Flugzeug übernehmen würde, wie von Hagen in einem Szenario aufs Tapet gebracht. Damit würden
sich nur noch mehr Menschen auf den Weg machen. Hagen meinte, dass andere Länder damit wenigstens verschont
würden.
Durchgriffsrecht bisher 15 Mal angewendet
In Beantwortung von Fragen der Abgeordneten Ulrike Königsberger-Ludwig (S) teilte die Innenministerin mit,
dass sie in Bezug auf die Unterbringung von Flüchtlingen bisher 15 Mal vom Durchgriffsrecht Gebrauch machen
musste. Bis Ende Februar wurden in Österreich 11.000 Asylantrage gestellt, in den letzten beiden Wochen waren
es jeweils rund 800.
Übergriffe in Wien: Laufende Strafverfahren gegen Polizisten
Im Fall der mit einer Handy-Kamera gefilmten Übergriffe von Polizisten auf einen bereits festgenommenen, mutmaßlichen
Dieb in Wien, seien die beiden Polizisten in den Innendienst verwiesen worden, berichtete Mikl-Leitner gegenüber
Petra Bayr (S). Aufgrund des laufendes Strafverfahrens sind der Innenministerin zufolge aber keine weiteren Informationen
über Konsequenzen dieses Falles möglich.
Die beiden SPÖ-Abgeordneten Franz Kirchgatterer sowie Harry Buchmayr wollten wissen, wie sich die Anzahl rechts-
bzw. linksradikaler Delikte entwickelt. Kirchgatterer regte hier einen jährlichen schriftlichen Bericht für
den Menschenrechtsausschuss an. Mikl-Leitner verwies auf den Verfassungsschutzbericht, der jedes Jahr im Mai veröffentlich
wird. Ein eigener Extremismusbericht würde sich davon im Inhalt nicht unterscheiden. "Wir sind weder
auf dem linken, noch auf dem rechten Auge blind", so die Innenministerin.
Zur Frage von Kirchgatterer zum jüngst verabschiedeten Staatsschutzgesetz, ob Mikl-Leitner eine Ausweitung
der parlamentarischen Kontrolle auf den Justiz- bzw. Verfassungsausschuss als sinnvoll erachtet, meinte sie, dass
dies ausschließlich Sache des Parlaments sei. Dementsprechende Verhandlungen laufen ihr zufolge zwischen
den beiden Sicherheitssprechern der Koalition.
Gemeinsame Initiative: Besserer Schutz für flüchtende Frauen und Kinder
Die besondere Situation von Frauen und Kindern auf der Flucht stand im Fokus eines Entschließungsantrags,
der von allen sechs Fraktionen eingebracht und einstimmig beschlossen wurde ( 1435/A(E)). Die Frauensprecherinnen
Gisela Wurm (S), Dorothea Schittenhelm (V), Carmen Schimanek (F), Berivan Aslan (G), Martina Schenk (T) sowie Abgeordnete
Claudia Gamon (N) fordern von der Bundesregierung, verstärkt in diesem Bereich tätig zu werden. So sollten
etwa Frauen und Kinder, die Opfer von Menschenhandel oder anderen Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt und
Missbrauch geworden sind, Zugang zu Schutz- und Hilfsmaßnahmen erhalten.
Dialogplattform "Polizei.Macht.Menschen.Rechte" soll weiter in Richtung Zivilgesellschaft ausgebaut
werden
2008 hat das Innenministerium das Projekt "Polizei.Macht.Medien.Rechte" ins Leben gerufen, um die heimischen
ExekutivbeamtInnen noch mehr für den Schutz von Menschenrechten zu sensibilisieren. Das Projekt ist 2015 ausgelaufen,
die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen der Zivilgesellschaft und der Sicherheitsexekutive
soll aber im Sinne echter Partizipation strukturiert und als strategisches Ziel in der Polizei weiterentwickelt
werden, so der zweite Auftrag des heutigen Menschenrechtsausschuss an die Regierung ( 1530/A(E)). Das Sicherheitsgefühl
der Bevölkerung soll damit erhöht und das Vertrauen in die Polizei gestärkt werden, so die Überlegungen
von Franz Kirchgatterer (S) und Elisabeth Pfurtscheller (V). Der SPÖ-ÖVP-Antrag wurde einstimmig angenommen.
NEOS für nationalen Asyl-Aktionsplan und Abkehr von Dublin III
Keine Mehrheit fand sodann die Forderung der NEOS nach einem nationalen Aktionsplan in Sachen Asyl ( 1208/A(E)).
Um der "brenzligen Asylsituation sowohl in Österreich als auch in der gesamten Europäischen Union"
Herr zu werden, braucht es laut Antragssteller Nikolaus Scherak einen Masterplan. Das bedeutet für die NEOS
keine Zeltlager, sondern längerfristige Lösungsansätze für die Unterbringung, die Beschaffung
finanzieller Mittel, die personelle Aufstockung sowie die Implementierung von Integrationsmaßnahmen. Derzeit
werde die Verantwortung nur zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben, das Wohl der Schutzsuchenden
dabei aus den Augen verloren, argumentierte Scherak im Ausschuss. Auch Abgeordnete Alev Korun unterstützte
dieses Ansinnen. Da auch im heurigen Jahr mit einer hohen Anzahl an Flüchtlingen zu rechnen ist, sollten die
entsprechenden Vorbereitungen getroffen und ein umfassender Masterplan erarbeitet werden, gab sie zu bedenken.
Keinen Bedarf dafür sahen hingegen die Abgeordneten Georg Vetter und Elisabeth Pfurtscheller (beide V), zumal
die Regierung nunmehr einen Plan habe und an einem Strang ziehe.
Die pinke Oppositionsfraktion sprach sich zudem für einen europaweiten Verteilungsschlüssel von AsylwerberInnen
aus. Dieser sollte sich nach Bevölkerungszahl, Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenrate und bereits angenommenen
AsylwerberInnen in den Mitgliedsstaaten richten, so ihr Vorschlag. Die Regierung sollte aus ihrer Sicht mehr Druck
machen, europaweit von der Dublin III-Verordnung abzukehren ( 1209/A(E)). Auch wenn es nicht so deutlich ausgesprochen
wird, aber die Mehrheit der PolitikerInnen sind sich darüber einig, dass Dublin III de facto tot ist, meinte
Alev Korun (G). Kritik übte sie an den nationalen Alleingängen, weil diese verhindern würden, dass
ein alternatives System entwickelt wird. Solange es nichts Besseres auf EU-Ebene gibt, sollte man an Dublin-III
festhalten, argumentierte Abgeordnete Elisabeth Pfurtscheller (V). – Der Antrag wurde schließlich mehrheitlich
vertagt.
Flüchtlinge: Grüne werden für Menschen mit Behinderung und unbegleitete Minderjährige aktiv
Laut der Studie "Hidden Victims" von Handicap International und HelpAge sind 30% der syrischen Flüchtlinge
von einer dauerhaften Behinderung, einer chronischen Erkrankung oder einer Verletzung betroffen. Darauf verweisen
die Grünen in einer Initiative ( 1372/A(E)) und fordern die Bundesregierung auf, mit den Ländern angemessene
Vorkehrungen (z.B. barrierefreie Unterkünfte, adäquate medizinische und therapeutische Behandlung) für
Flüchtlinge mit Behinderungen zu treffen. Den Grünen geht es dabei nicht um Spezialeinrichtungen, sondern
um eine Versorgung, die der besonderen Bedarfssituation von Flüchtlingen angemessen ist, wie Abgeordnete Helene
Jarmer (G) im Ausschuss sagte.
In einem weiteren Entschließungsantrag verlangen die Grünen von der Regierung, ein Maßnahmenpaket
zum Schutz unbegleiteter minderjähriger AsylwerberInnen vor Verschleppung und Ausbeutung durch Menschenhändler
zu schnüren ( 1544/A(E)). Konkret wollen sie eine legale Einreisemöglichkeit sowie eine kinder- und jugendgerechte
Betreuungsstruktur. Geht es nach ihnen, sollte die Zuständigkeit für Minderjährige, die alleine
nach Österreich kommen, ab deren Ankunft in einer Bundesbetreuungsstelle von der Kinder- und Jugendhilfe übernommen
werden.
Die AntragstellerInnen weisen u.a. darauf hin, dass nach den Angaben von Europol rund 10.000 unbegleitete Schutzsuchende
unter 18 Jahren in Europa verschwunden sind. In Österreich würden alleine 474 Minderjährige aus
Nicht-EU-Ländern vermisst. Berichten zufolge seien kriminelle Banden, die bisher als Schleuser aufgetreten
sind, dazu übergegangen, Flüchtlinge für Sexarbeit und Sklaverei auszunutzen, wie die Menschenrechtsprecherin
außerdem im Ausschuss darlegte. Beide Anliegen wurden vertagt.
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