Wien (öaw) - Physiker um Anton Zeilinger haben erstmals die fast 100jährige Geschichte quantenphysikalischer
„Delayed-choice“-Experimente aufgeschrieben und ausgewertet – von den theoretischen Anfängen bei Albert Einstein
bis zu den neuesten Forschungs- arbeiten der Gegenwart. Die umfassende Studie ist nun in der renommierten Fachzeitschrift
„Reviews of Modern Physics“ erschienen.
Seit dem 17. Jahrhundert beschäftigte die Wissenschaft die Frage, was Licht ist. Issac Newton war überzeugt,
dass es ein Strom von Teilchen ist. Sein Zeitgenosse Christiaan Huygens hingegen argumentierte, dass es sich um
Wellen handelt. Die moderne Quantenphysik sagt, dass beide richtig lagen. Licht kann sowohl als Teilchen als auch
als Welle beobachtet werden – je nachdem, welche Eigenschaft in einem Experiment gemessen wird, zeigt es sich mehr
als das eine oder das andere. Dieser sogenannte Welle-Teilchen-Dualismus ist eines der grundlegenden Prinzipien
der Quantenphysik. Doch diese Annahme fordert das Alltagsverständnis heraus: Kann ein und dasselbe tatsächlich
zwei verschiedene Dinge zugleich sein?
Das Unbestimmte messen
Die fundamentale Unbestimmtheit quantenphysikalischer Phänomene verglich der amerikanische Physiker John Archibald
Wheeler (1911–2008) bereits in den 1970er Jahren metaphorisch mit einem „großen, rauchenden Drachen“: Man
sieht den Schwanz, also die Quelle der Teilchen, und das Maul, sprich die Messergebnisse. Aber dazwischen befindet
sich ein von Qualm umnebelter Körper. Und dieser Nebel lässt sich nicht lichten: Denn erst die Messung
bestimmt das Phänomen, nicht umgekehrt. Um das zu beweisen, führte Wheeler ein berühmt gewordenes
Gedankenexperiment durch. Beim „Delayed-choice“-Experiment wird die Wahl, ob die Teilchen- oder die Welleneigenschaft
bestimmt wird, verzögert bzw. sogar während des Experiments verändert. Dadurch zeigt sich ein und
dasselbe Phänomen, wie beispielsweise Licht, in ein und demselben Experiment einmal als Teilchen und einmal
als Welle. Es kann also tatsächlich beides sein, abhängig von Zeitpunkt und Art der Messung.
Zahlreiche Quantenphysiker/innen haben in den vergangenen Jahrzehnten versucht, Wheelers Gedanken experimentell
zu überprüfen, um damit den Welle-Teilchen-Dualismus auch empirisch zu untermauern. Wie erfolgreich dieses
Unterfangen war, haben nun Xiao-song Ma von der Nanjing University, Johannes Kofler vom Max-Planck-Institut für
Quantenoptik und Anton Zeilinger, Quantenphysiker an der Universität Wien und dem Institut für Quantenoptik
und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erstmals in einer umfassenden
Studie gezeigt, welche die gesamte Geschichte der „Delayed-choice“-Experimente zusammenfasst und evaluiert.
Obwohl sich der Gedanke des Welle-Teilchen-Dualismus bis zu Albert Einsteins Erklärung des photoelektrischen
Effekts durch Lichtteilchen im Jahr 1905 zurückverfolgen lässt, dauerte es bis in die 1980er Jahre bis
erste „Delayed-choice“-Experimente durchgeführt werden konnten. „Erst durch die Entwicklung neuer quantenoptischer
Techniken für die schnelle und präzise Messung von Licht, war es möglich, Wheelers Gedankenexperiment
in die Tat umzusetzen“, sagt Xiao-song Ma, der Erstautor der Studie.
Bedeutsam für Quantenkryptographie und Quantencomputer
„Experimente dieser Art konfrontieren uns mit Grundsatzfragen der Quantenphysik“, ergänzt Anton Zeilinger.
„Doch auch für zukünftige innovative Anwendungen haben sie große Bedeutung, etwa in der Quantenkryptographie
oder in der Weiterentwicklung des Quantencomputers.“ So lassen sich „Delayed-choice“-Experimente auch auf das quantenphysikalische
Phänomen der Verschränkung anwenden, was für die Sicherheit von Quantenkommunikation eine wichtige
Rolle spielt. Bei Quantencomputern kann sich in bestimmten Fällen durch die Anwendung von „Delayed-choice“-Experimenten
die Rechengeschwindigkeit erhöhen lassen. Die Autoren der Studie, die nun in der Fachzeitschrift „Reviews
of Modern Physics“ veröffentlicht wurde, erwarten sich daher auch in Zukunft durch „Delayed-choice“-Experimente
weitere neue Erkenntnisse in der Quantenphysik und praktische Anwendungen für darauf basierende Technologien.
Publikation: Delayed-choice gedanken
experiments and their realizations. Xiao-song Ma, Johannes Kofler, Anton Zeilinger. Reviews of Modern Physics,
2016
http://link.aps.org/doi/10.1103/RevModPhys.88.015005
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