Vom 10. März bis 19. Juni 2016 im Unteren Belvedere
Wien (belvedere) - Form war in der Donaumonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr als
nur ein beschreibender Begriff. Sie war Ausdruck einer Erkenntnis, eines Bewusstseins und wurde um 1900 schließlich
zur Basis einer Vielfalt ungegenständlicher, oft ornamental anmutender Kunst. Die Ausstellung „Klimt, Kupka,
Picasso und andere – Formkunst“, die vom 10. März bis 19. Juni 2016 im Unteren Belvedere zu sehen ist, beschäftigt
sich mit den intellektuellen Konstellationen und Traditionslinien von Wissenschaft, Philosophie und Kunst in der
späten Habsburgermonarchie und zeigt damit das Beziehungsgeflecht eines ganzen Kulturraums auf. Die Kontinuität
und die Besonderheiten der Kunst der Donaumonarchie werden intensiv beleuchtet. Auch der Bezug zur damaligen Ausbildungssituation
und zur Pädagogik zeigt, in welch hohem Maße Bildung das Kunstschaffen in diesem Kulturraum beeinflusst
und somit langfristig wie nachhaltig zur Entwicklung eines kollektiven Bewusstseins beigetragen hat. Die Schau
verweist auf den Nährboden, der von 1900 an einen ganzen Stammbaum miteinander verwandter Kunst hervorgebracht
hat. Erstmals werden jene Vorbedingungen aufgezeigt, die eine wesensähnliche Kunst in der Donaumonarchie bedingten
und nachhaltig zur Entstehung einer ungegenständlichen Kunst führten.
Eine kulturhistorische Spurensuche in der Donaumonarchie
„Die Ausstellung ‚Klimt, Kupka, Picasso und andere – Formkunst‘ begibt sich auf eine kulturhistorische Spurensuche
in die ehemaligen Kronländer der Donaumonarchie und stellt erstmals das Schaffen des tschechischen Kubismus
und der Formkunst dem der Wiener Secession gegenüber – ein neuer Kontext, der spannende Parallelen aufdeckt“,
so Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere und des 21er Haus. „Dem Besucher eröffnet sich diese besondere
Sichtweise auf die Moderne in der Donaumonarchie anhand einer noch nie gezeigten Dichte prominenter Exponate. Das
nahezu vergessene Charakteristikum eines Kulturraums wieder ins Gedächtnis zu rufen und mit Kunstobjekte zu
visualisieren ist die vorrangige Intention dieser Ausstellung“, ergänzt Husslein-Arco.
Wenn auch auf den ersten Blick zwischen der Wiener Moderne und dem Prager Kubismus kein offensichtlicher Zusammenhang
besteht, finden sich bei näherer Betrachtung doch maßgebliche Gemeinsamkeiten. Hierauf basierend kann
die Verbindung zwischen jenen Künstlern der Donaumonarchie aufgezeigt werden, die bisher als Einzelpositionen
– wie etwa František Kupka – oder Sonderentwicklungen – wie die Formkünstler der Wiener Secession, des Prager
Kubismus oder des Wiener Kinetismus – interpretiert wurden. „Der ganzheitliche Anspruch und die Reduktion des künstlerischen
Ausdrucks auf die Form bilden hierbei die Beziehungspunkte zwischen den in Wien tätigen Formkünstlern
und dem tschechischen Kubismus“, erläutert Kurator Alexander Klee. „Nicht nur die Secessionisten, auch die
Prager Kubisten pflegten die Kunst in alle Lebensbereiche hineinzutragen.“ Die Affinität der Prager Kubisten
zum französischen Kubismus wiederum lässt sich auf dieser Grundlage nicht nur mit der bewussten Opposition
zu Wien oder mit einem Generationenwechsel erklären, sondern mit der Auffassung von Fläche und Form,
die in den frühen Arbeiten von Pablo Picasso oder Georges Braque zu finden ist.
Pädagogik als Grundlage künstlerischer Artikulation
Die besondere Bedeutung, die dem Zeichnen als Ausdrucksform beigemessen wurde, lässt sich nur vor dem
Hintergrund des damaligen Ausbildungssystems erklären. In diesem schlug sich der empirisch-psychologische
Ansatz des deutschen Philosophen, Psychologen und Pädagogen Johann Friedrich Herbart nieder. Grundlage des
allgemeinen Zeichenunterrichts war die geometrische Trigonometrie, die Zerlegung in Dreiecke, die eine elementare
Fähigkeit des Sehens und damit die Erkenntnis einer geordneten Welt erleichtern sollte. Diese mathematisch
begründete Pädagogik vermittelte das geometrische Gebilde als Grundlage des Formschönen und damit
eine Ästhetik, die komplexe Strukturen als ein Gefüge aus Form- und Verhältnisbestimmungen betrachtete.
Aus diesem Blickwinkel erscheinen die Werke vieler Künstler der Donaumonarchie in einem neuen Licht. In Wien
war es vor allem die Secession, die beinahe symbiotisch mit der k. u. k. Kunstgewerbeschule (ab 1900) die Verbreitung
der Formkunst betrieb und, mit den Wiener Werkstätten und der Galerie Miethke verflochten, deren internationale
Bedeutung propagierte.
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