Salzburg (universität) - Es ist eine ständige Steigerung an Krisen, mit denen die Europäische
Union zunehmend überfordert ist: Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise vergrößert nun die Flüchtlingssituation
die Solidaritätsbrüche in der EU. Europa steht insgesamt vor einer großen Bewährungsprobe.
Die aktuellen Krisenzustände der EU und die gesellschaftlichen Folgen sind das Forschungsfeld des Salzburger
Soziologen Wolfgang Aschauer.
Kaum ein Wort wird in der aktuellen Flüchtlingskrise stärker strapaziert als „Solidarität“. Was
wie eine Floskel klingt, ist jedoch in den EU Verträgen juristisch verankert. Fakt ist, dass die Solidarität
als Gradmesser des sozialen Zusammenhalts und des Bewusstseins von Zusammengehörigkeit zwischen EU-Staaten
immer stärker bröckelt, so Wolfgang Aschauer, Assoziierter Professor am Fachbereich Politikwissenschaft
und Soziologie der Universität Salzburg. „Das vorherrschende Klima der Verunsicherung bewirkt eine verstärkte
Sehnsucht nach nationaler Abgrenzung; die eigenen Errungenschaften sollen zu ungunsten eines europäischen
Gemeinwohls abgesichert werden“.
Europa stehe am Scheideweg zwischen Integration und Zerfall. Es sei daher, so Aschauer, eine dringende Aufgabe
der Soziologie, die aktuellen Krisenzustände in Europa und die gesellschaftlichen Folgen näher zu beleuchten.
Einen ersten Schritt in diese Richtung setzte Wolfgang Aschauer gemeinsam mit seinen Mitherausgeberinnen Elisabeth
Donat und Julia Hofmann Ende 2015 mit dem im Springer Verlag erschienenen Sammelband „Solidaritätsbrüche
in der EU. Konzeptuelle Überlegungen und empirische Befunde“. Zehn namhafte SoziologInnen, die sich schon
seit Jahren mit Solidaritätsbrüchen in Europa befassen, liefern inhaltliche Analysen und empirische Studien
aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Polen. Das Themenspektrum reicht von Abstiegsängsten, die
zum Tritt nach unten verleiten, über Gerechtigkeitsvorstellungen der ÖsterreicherInnen bis zur wachsenden
Kluft zwischen der Systemintegration auf institutioneller Ebene und der Sozialintegration der BürgerInnen
in der EU. Dabei wird u.a. die Habermas´sche Theorie des kommunikativen Handelns auf ihre aktuelle Relevanz
hinterfragt.
„Das Buch soll als Initialzündung für eine überfällige soziologische Debatte zu Entsolidarisierungstendenzen
in Europa verstanden werden. Wir hoffen, dass die vorliegenden Arbeiten durch weitere Fallstudien ergänzt
werden“, sagt Aschauer.
Mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in der EU, speziell mit Einschränkungen beim sozialen Zusammenhalt
hat sich Aschauer zusätzlich intensiv in seiner 2015 abgeschlossenen Habilitationsschrift beschäftigt.
Die gegenwärtige Krise in der EU, die gekennzeichnet ist von einem erhöhten sozialen Misstrauen, Abstiegsängsten
und großer Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, lässt sich nach
Aschauer am treffendsten mit dem Leitbegriff des „Unbehagens“ beschreiben.
Dementsprechend lautet der Titel seiner Habilitationsschrift „Das gesellschaftliche Unbehagen in der EU. Ursachen,
Dimensionen, Folgen“. Die Monographie wird im Frühjahr 2016 im Springer Verlag veröffentlicht werden.
Im Fokus von Aschauers Analyse stehen die gegenwärtigen Herausforderungen der Sozialintegration der EU BürgerInnen.
Die zentrale These des Buches ist, dass genau diejenigen Faktoren, die das gesellschaftliche Unbehagen ausmachen,
die Abkehr vom solidarischen Handeln bewirken.
In einer ländervergleichenden Analyse auf Basis der Daten des European Social Survey 2006 und 2012 werden
der Wandel des gesellschaftlichen Wohlbefindens und potentielle Solidaritätseinschränkungen in 21 EU
Staaten analysiert. Dabei zeigt sich, dass in den letzten Jahren insbesondere das Vertrauen in das politische System
in vielen Staaten eine massive Beeinträchtigung erfährt.
Publikationen: Wolfgang Aschauer, Elisabeth
Donat, Julia Hofmann (Hrsg.): Solidaritätsbrüche in Europa. Konzeptuelle Überlegungen und empirische
Befunde. Springer 2015.
Wolfgang Aschauer: Das gesellschaftliche Unbehagen in der EU: Ursachen, Dimensionen, Folgen. Habilitationsschrift.
Wird im Frühjahr 2016 im Springer-Verlag veröffentlicht.
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