Bei mehr als einem halben Jahr Haft droht Mandatsaberkennung
Wien (pk) - Abgeordnete sind politisch ihren WählerInnen verantwortlich und können in diesem Sinn
bei Wahlen auch abgewählt werden. In bestimmten Ausnahmefällen hat aber auch der Verfassungsgerichtshof
(VfGH) die Möglichkeit, einem Abgeordneten – auf Antrag des Nationalrats – sein Mandat abzuerkennen. Das ist
etwa dann der Fall, wenn dieser über einen längeren Zeitraum hinweg ohne triftigen Grund nicht zu Nationalratssitzungen
erscheint oder seine Wählbarkeit zum Nationalrat aufgrund einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe
verloren hat. Die letztgenannte Bestimmung soll nun verschärft werden. Der Justizausschuss des Nationalrats
stimmte am 04.04. mit den Stimmen der Koalitionsparteien und der FPÖ einem entsprechenden Gesetzentwurf zu.
Ein Mandatsverlust droht demnach künftig bereits bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu mehr als einem
halben Jahr Haft bzw. bei einer bedingten Freiheitsstrafe von mehr als zwölf Monaten. Außerdem werden
die Amtsverlust-Regelungen in Hinkunft nicht nur für ParlamentarierInnen, sondern auch für Regierungsmitglieder,
die Landeshauptleute, den Bundespräsidenten, den Rechnungshofpräsidenten und die Mitglieder der Volksanwaltschaft
gelten. Den Grünen und den NEOS gehen allerdings auch die neuen Bestimmungen nicht weit genug, sie stimmten
daher, wie auch das Team Stronach, gegen den Gesetzentwurf.
Basis für den Beschluss bildete ein heute von den Koalitionsparteien im Ausschuss vorgelegter gesamtändernder
Abänderungsantrag, der den ursprünglichen Antrag, den auch das Team Stronach miteingebracht hat, ersetzt,
wobei die vorgenommenen Änderungen in erster Linie gesetzestechnischer Natur sind. So wurden einige Anregungen
aus dem vom Justizausschuss durchgeführten Begutachtungsverfahren berücksichtigt. Zudem soll eine begleitende
Änderung des Bundespräsidentenwahlgesetzes sicherstellen, dass die Wahlbehörde vor Veröffentlichung
der Wahlvorschläge prüfen kann, ob eine gerichtliche Verurteilung als Wahlausschlussgrund vorliegt. In
Form einer Ausschussfeststellung bekräftigt der Justizausschuss ausdrücklich, dass die neuen Verfassungsbestimmungen
keine Auswirkung auf die Wählbarkeit bei Gemeinderatswahlen haben. Diese Ausschussfeststellung wurde ebenfalls
mit S-V-F-Mehrheit gefasst, der Änderung des Bundespräsidentenwahlgesetzes stimmten auch die Grünen
zu.
Grüne und NEOS fordern noch strengere Regelungen
Sowohl die Grünen als auch die NEOS zeigten sich mit den neuen Bestimmungen unzufrieden. Man gehe mit dem
Gesetzesbeschluss zwar in die richtige Richtung, sei aber nicht konsequent genug, kritisierte NEOS-Abgeordneter
Nikolaus Scherak. Der Justizsprecher der Grünen Albert Steinhauser glaubt, dass die neuen Bestimmungen genauso
stumpf sein werden wie die alten. Aufsehenerregende Fälle der Vergangenheit, etwa Verurteilungen wegen falscher
Zeugenaussage oder wegen Korruption, hätten auch nach der neuen Rechtslage keine zwingenden Konsequenzen.
Für Steinhauser und seinen Fraktionskollegen Dieter Brosz ist vor allem die Vorstellung absurd, ein Abgeordneter
könnte sozusagen aus dem Gefängnis heraus Gesetze beschließen. Oder mit einer Fußfessel,
wie Scherak skizzierte. Die Grünen forderten in diesem Sinn einen Amtsverlust bei jedweder Haftstrafe. Außerdem
sollen nach Meinung der Grünen und der NEOS bei gewissen Deliktsgruppen auch geringfügige bedingte Verurteilungen
einen Amtsverlust nach sich ziehen, wobei Steinhauser als Beispiele etwa Wahlfälschung, Amtsmissbrauch und
nationalsozialistische Wiederbetätigung, Scherak Korruptionsdelikte nannte.
WählerInnen sollen entscheiden, wer im Nationalrat sitzt
Weder FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan noch SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim konnten den Forderungen
der Grünen und der NEOS jedoch etwas abgewinnen. In erster Line sollten die WählerInnen entscheiden,
wer im Nationalrat sitzt, nicht die Justiz, argumentierte Stefan. Die Sache sei sehr heikel, es sei notwendig,
die Balance zu wahren. Schließlich könne auch die Justiz Fehler machen. Auch einen speziellen Deliktekatalog
hält Stefan nicht für sinnvoll, ein Vergewaltigungsopfer würde nicht verstehen, warum ein Vergewaltiger
sein Mandat vielleicht behalten könne, ein Wahlfälscher aber nicht. Überdies gab er zu bedenken,
dass bestimmte Delikte, die heute verpönt sind, in einigen Jahren vielleicht toleriert werden. Grundsätzlich
sehe er überhaupt keine Notwendigkeit, die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu ändern, sagte Stefan,
seine Fraktion könne dem vorliegenden Kompromiss aber nähertreten.
Von einem haltbaren Kompromiss sprach auch Jarolim. Noch strengere Regelungen sind seiner Meinung nach nicht erforderlich,
schließlich gebe es unterschiedliche Urteile. Zudem würden gerichtliche Verurteilungen in der Regel
ohnehin schon allein durch die öffentliche Debatte zu Konsequenzen führen. Der gesamtändernde Abänderungsantrag
und die begleitende Änderung des Bundespräsidentenwahlgesetzes wurden von ÖVP-Justizsprecherin Michaela
Steinacker eingebracht, die sich auch für die offene Diskussion im Vorfeld der Ausschussberatungen bedankte.
Was den künftigen Zugang der Wahlbehörden zur Strafregisterauskunft betrifft, versicherte Wahlrechtsexperte
Robert Stein vom Innenministerium den Abgeordneten, dass der Datenschutz gewahrt bleibe. Eine kurze Diskussion
im Ausschuss gab es über Verurteilungen im Ausland, wobei Ausschussvorsitzende Steinacker festhielt, dass
sich hierbei nichts gegenüber der geltenden Rechtslage ändere.
Verschärfte Bestimmungen gelten auch für Kandidatur bei Wahlen
Rechtstechnisch bleiben die Regelungen über den Amtsverlust von Abgeordneten wie bisher mit der Wählbarkeit
einer Person zum Nationalrat verknüpft. Die entsprechende Bestimmung in der Nationalrats-Wahlordnung bzw.
der Europawahlordnung stellt künftig aber nicht mehr auf eine einjährige Freiheitsstrafe ab. Vielmehr
wird man bei Wahlen – vorübergehend – schon dann nicht mehr kandieren können, wenn man wegen einer oder
mehrerer mit Vorsatz begangener und von Amts wegen zu verfolgender gerichtlich strafbarer Handlungen rechtskräftig
zu mehr als einem halben Jahr Haft bzw. zu mehr als einer einjährigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt
wurde. Ob ein entsprechender Wahlausschließungsgrund vorliegt, müssen die Wahlbehörden prüfen.
Über den Amtsverlust eines gewählten Mandatars bzw. eines obersten Organs entscheidet im Endeffekt der
Verfassungsgerichtshof (VfGH). Entsprechende Anträge sind vom Nationalrat bzw. vom zuständigen Landtag,
im Falle des Bundespräsidenten von der Bundesversammlung, einzubringen.
Neues Procedere für Amtsverlustverfahren
Für das Procedere der Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof sind im Geschäftsordnungsgesetz des
Nationalrats neue Regelungen vorgesehen. Demnach wird der Präsident bzw. die Präsidentin des Nationalrats
dazu verpflichtet, den Amtsverlust eines Mandatars bzw. einer Mandatarin zu beantragen, wenn er von einer einschlägigen
Verurteilung in Kenntnis gesetzt wird. Tut er/sie das innerhalb einer bestimmten Frist nicht, kann der Nationalrat
mit einfacher Mehrheit einen entsprechenden Beschluss fassen. Kommt auch ein solcher nicht zustande, geht das Recht
der Antragstellung beim VfGH auf ein Drittel der Abgeordneten über.
Betrifft die Verurteilung den Präsidenten bzw. die Präsidentin selbst gilt die übliche Vertretungsregel
durch die beiden anderen NationalratspräsidentInnen. Ausdrücklich klargestellt wird außerdem, dass
ein Präsident des Nationalrats auch seine Funktion verliert, wenn ihm der Verfassungsgerichtshof sein Mandat
aberkennt. Mit dem Antrag werden überdies einige Gesetzeslücken geschlossen, etwa was die Möglichkeit
einer Anklage der VolksanwältInnen beim Verfassungsgerichtshof wegen einer schuldhaften Gesetzesverletzung
betrifft. Auch StaatssekretärInnen sind in Bezug auf schuldhafte Rechtsverletzungen künftig direkt dem
Nationalrat verantwortlich.
In Kraft treten sollen die strengeren Regeln gemäß Abänderungsantrag ein halbes Jahr später
als ursprünglich vorgesehen, nämlich am 1. Jänner 2017. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten,
wird außerdem normiert, dass die neuen Bestimmungen nur für strafgerichtliche Handlungen gelten, die
nach dem 31. Dezember 2016 gesetzt wurden. Die Länder erhalten bis 1. Jänner 2018 Zeit, die Landesgesetze
an die neuen Verfassungsbestimmungen anzupassen, wobei sie für ihren Zuständigkeitsbereich auch strengere
Regelungen festlegen können.
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