Vorsitzender des EU-Ausschusses des estnischen Parlaments diskutiert mit österreichischen
Parlamentariern
Tallinn/Wien (PK) – "Wir müssen in Europa die Türen offen halten, dabei aber mit Umsicht
vorgehen". So brachte Kalle Palling, der Vorsitzende des EU-Ausschusses des estnischen Parlaments (Riikikogu)
am 14.04. gegenüber seinen österreichischen Kollegen aus den EU-Ausschüssen und Innenausschüssen
von Nationalrat und Bundesrat auf den Punkt. Palling besucht neben Österreich auch die Slowakei, um die Kooperation
auf parlamentarischer Ebene zu intensivieren.
Die derzeitige Migrationswelle sei eine Herausforderung für ganz Europa, sagte Palling, der massiv die mangelnde
Sicherung der EU-Außengrenzen kritisierte. Ohne sichere EU-Außengrenzen und ohne Überprüfung
und Registrierung der Flüchtlinge, sei eine faire Verteilung der Menschen innerhalb der EU nicht möglich,
hielt er unmissverständlich gegenüber Abgeordnetem Wolfgang Gertsl (V) und Bundesrat Stefan Schennach
(S/W), die in den beiden Unterredungen jeweils den Vorsitz auf österreichischer Seite führten, sowie
gegenüber den Abgeordneten Johannes Hübner (F), Christian Lausch (F), Christoph Vavrik (N) und Christoph
Hagen (T) und Bundesrat Christoph Längle (F/V) fest.
Das Abkommen mit der Türkei stellt für Palling keine endgültige Lösung der Problematik dar,
denn es würden nun Ausweichrouten genommen, etwa über Libyen. Notwendig seien sichere Außengrenzen,
die genaue Kenntnis, wer nach Europa kommt, und ein besserer Informationsaustausch, bekräftigte der Gast aus
Estland mehrmals. Estland organisiere daher auch den Schutz seiner EU-Außengrenze mit modernsten Mitteln
neu, sein Land nehme diese Aufgabe sehr ernst, unterstrich er. Vor allem aber sieht Palling auch die Notwendigkeit,
jenen Drittländern finanziell entsprechend unter die Arme zu greifen, die eine große Anzahl an Flüchtlingen
aufgenommen haben, wie etwa der Libanon und Jordanien. Diese Investition in die Nachbarländer Syriens, um
dort den Menschen zu helfen und ihnen Arbeit geben zu können, sei sinnvoller als sie nach Europa zu holen,
stimmte er mit Gerstl, Vavrik und Hagen überein.
Nicht ganz einig war man sich in der Frage der geforderten europäischen Solidarität bei der Bewältigung
der Flüchtlingskrise. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka und Bundesrat Stefan Schennach (S/W) wiesen darauf
hin, dass Österreich eine große Tradition habe, Schutzsuchende aufzunehmen, neben Deutschland und Schweden
derzeit am meisten vom Flüchtlingsstrom betroffen sei. Man sei nun an eine Grenze angelangt, sagte Lopatka
und forderte von anderen EU-Mitgliedstaaten, also auch von Estland, Solidarität ein. Estland, das strikt gegen
die Einführung von Quoten ist, habe zugesagt, in den kommenden zwei Jahren 550 Flüchtlinge im Rahmen
des vereinbarten Kontingents aufzunehmen, erwiderte daraufhin Palling. Sein Land habe wenig Erfahrungen mit Flüchtlingen
und sei für diese auch nicht so attraktiv. Man nehme diejenigen auf, die gerne kommen wollen. Es gehe darum,
den Menschen die Möglichkeit zu geben, eine Arbeit zu finden, die Sprache zu erlernen und ein neues Leben
zu beginnen. In diesem Sinne habe man auch Integrationsprogramme entwickelt. Außerdem dürfe man nicht
vergessen, dass Estland die Herausforderung zu bewältigen habe, seine russisch sprechende Bevölkerung,
die ca. ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmacht, zu integrieren, warb er um Verständnis für seine
Position.
Einig waren sich die Parlamentarier beider Länder, dass es eine gemeinsame europäische Lösung braucht.
Wolfgang Gerstl (V) begründete das Vorgehen Österreichs auch damit, dass die Sperre der Balkanroute und
die mögliche Schließung der Grenze zu Italien dazu führen werde, auf EU-Ebene endlich Maßnahmen
zu ergreifen. Eine andere Chance sehe er derzeit nicht.
Angesprochen wurden in dem Gedankenaustausch auch die Sanktionen gegen Russland, die von Estland voll unterstützt
werden, solange den Vereinbarungen von Minsk nicht Rechnung getragen wird. Eindringlich appellierte Palling, niemandem
außerhalb Europas die Chance zu geben, die EU auseinander zu dividieren.
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