Debatte über vorläufige Anwendung des Abkommens; Rechts-
und Legislativdienst des Parlaments soll Gutachten erstellen
Wien (pk) - Nach einer heftigen und teilweise emotional geführten Debatte vertagte der der EU-Unterausschuss
des Nationalrats am 13.04. mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und NEOS die Diskussion über CETA, das Handelsabkommen
zwischen der EU und Kanada. Stein des Anstoßes war die von der EU geplante vorläufige Anwendung des
fertig ausverhandelten Abkommens. Dazu hatte es schon im Vorfeld große mediale Aufregung gegeben, da in den
Augen vieler eine solche Vorgangsweise die Umgehung des Parlaments bedeuten würde. Die Abgeordneten kamen
überein, Nationalratspräsidentin Doris Bures zu ersuchen, vom Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen
Dienst des Parlaments ein Gutachten erstellen zu lassen, welche Teile des Abkommens in den gemischten, das heißt
nationalstaatlichen Bereich, und welche in EU-Kompetenz fallen. Das müsse von heimischer Seite geklärt
werden, begründete Christoph Matznetter (S) seinen Vertagungsantrag, bevor man beurteilen könne, welchen
Vorschlag die Kommission für eine vorläufige Anwendung vorlegt.
Ein Antrag der FPÖ, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ein Gutachten zu dieser Frage erstellen
zu lassen, wurde mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Team Stronach abgelehnt. Man wolle das Gutachten im
eigenen Haus erstellen lassen, so der Tenor, auch wenn weitere Gutachten von Vorteil wären. Ein weiterer Antrag
der Freiheitlichen sowie ein Antrag der Grünen, eine vorläufige Anwendung von CETA abzulehnen, bleibt
weiter in Verhandlung. Die Grünen haben zusätzlich einen Antrag vorgelegt, der darauf abzielt, dass bereits
die Beschlussformel zu CETA eine vorläufige Anwendung des Vertrags vor der Ratifizierung durch die nationalen
Parlamente eindeutig ausschließt. Auch diese Initiative wird weiter diskutiert.
Große Skepsis gegen vorläufige Anwendung des Abkommens
Die Oppositionsparteien wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine vorläufige Anwendung von Teilen
des Vertrags das österreichische Parlament seines Rechts beraubt, über den größten Teil des
Pakets und somit über den gesamten Text abzustimmen. Österreich und sein Parlament müssen selbst
bestimmen können, betonte Johannes Hübner (F) in der Begründung seines Antrags. Der Argwohn sei
berechtigt, denn es habe völlig an Transparenz gemangelt, assistierte ihm seine Klubkollegin Barbara Rosenkranz.
Auch wenn der Antrag der FPÖ schließlich mehrheitlich abgelehnt wurde, schlossen sich die anderen Parteien
- namentlich die Abgeordneten Christoph Matznetter (S), Josef Cap (S), Hannes Weninger (S), Reinhold Lopatka (V),
Werner Kogler (G), Wolfgang Pirklhuber (G) und Nikolaus Scherak (N) - der Argumentation an, man brauche Klarheit,
wo genau die Grenze zwischen EU-Kompetenz und nationaler Zuständigkeit liege, und dies solle durch ein eigenständiges
Gutachten des Parlaments, geklärt werden. Cap stellte das Instrument der vorläufigen Anwendung grundsätzlich
in Frage, da man damit einen unumkehrbaren Prozess in Gang setze und den Entscheidungsspielraum der nationalen
Parlamente einenge. Werner Kogler und Wolfgang Pirklhuber von den Grünen gingen noch weiter und forderten
mit Nachdruck die Abhaltung einer parlamentarischen Enquete unter Einbeziehung von JuristInnen, ExpertInnen für
die einzelnen betroffenen Wirtschaftszweige sowie der Zivilgesellschaft.
Wenn CETA angewendet wird so ist das das Einfallstor für amerikanische Betriebe, die Niederlassungen in Kanada
gründen werden, unterstrich Wolfgang Pirklhuber (G) die Sensibilität von CETA, das er auch als "Blaupause
für TTIP" bezeichnete. Deshalb halte er eine parlamentarische Enquete für unbedingt erforderlich,
um sämtliche Konsequenzen des Abkommens auszuloten. Durch die regulatorische Kooperation könnten Pestizid-Konzerne
ihre Interessen durchsetzen, Schweine- und Rindfleischimporte könnten sofort beginnen, warnte Pirklhuber,
der sich für den Schutz einer sinnvollen politischen Weiterentwicklung aussprach. Auch Josef Cap machte auf
mögliche negative Auswirkungen auf die österreichische Landwirtschaft und die Versorgungssicherheit aufmerksam
und Hannes Weninger fürchtete vor allem für die Daseinsvorsorge.
Investitionsschutz bleibt trotz Neuerungen weiter umstritten
Er sei sich der Sensibilität der Thematik durchaus bewusst, reagierte Vizekanzler und Wirtschaftsminister
Reinhold Mitterlehner auf die Diskussion, zumal CETA das erste umfassende Handelsabkommen mit einem entwickelten
Industriestaat und dem Abkommen mit den USA (TTIP) inhaltlich vorgelagert sei. Der Minister räumte auch Probleme
mit der Transparenz während des Verhandlungsvorgangs zu beiden Abkommen sowie mit dem Investitionsschutz ein,
wobei er eindringlich darauf hinwies, dass dieser in einer neuen Form nachträglich eingearbeitet wurde.
Mitterlehner stellte im Ausschuss mehrmals klar, dass Österreich wie die anderen Mitgliedstaaten die Auffassung
vertritt, dass es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handelt, das von den nationalen Parlamenten ratifiziert
werden muss. Eine vorzeitige Anwendung solcher Abkommen sei durchaus üblich und betreffe nur jene Teile, die
nicht in den gemischten Bereich hineinfallen. Eine vorläufige Anwendung sei auch erst dann möglich, wenn
das Europäische Parlament dem zugestimmt hat, diese Vorgangsweise entspreche den Bestimmungen des Lissabon-Vertrags
und sei auch vom Europäischen Gerichtshof nicht in Frage gestellt worden. Das bedeute, eine vorläufige
Anwendung betreffe unter anderem nicht den Investitionsschutz, bekräftigte Mitterlehner. Österreich werde
sich genau an diese Linie halten, versicherte er, wie dies auch bei anderen Abkommen der Fall gewesen sei.
Er informierte den Ausschuss darüber hinaus, dass über die Gesamtanwendung und vorläufige Anwendung
von CETA noch nicht im nächsten Rat abgestimmt werde, sondern wahrscheinlich erst im Juni. Dann erfolge die
Abstimmung im Parlament.
Keine politische Mehrheit für CETA und TTIP
Die Divergenzen über die inhaltliche Ausrichtung von CETA und TTIP bestehen jedoch nicht nur zwischen Wirtschaftsministerium
und Oppositionsparteien, sondern auch innerhalb der Koalition. So ließen Josef Cap und Christoph Matznetter
(beide S) einmal mehr mit Skepsis gegenüber CETA und TTIP aufhorchen. Grundsätzlich halte er Freihandelsabkommen
im Interesse des Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum für positiv, sagte Cap, viele solcher Verträge
gebe es aber auch ohne privaten Investitionsschutz. Auch die neue Form des Investitionskapitels sehe kein öffentliches
Gericht vor, brachte Cap seine Kritik auf den Punkt und stellte allgemein die Frage, warum man in einem Abkommen
zwischen Ländern mit funktionierenden öffentlichen Gerichten überhaupt ein solches Investitionsschutzkapitel
braucht. Er plädierte für eine ausführliche und faire Debatte, in der man um eine gute Lösung
im Sinne Österreichs ringt. Sein Klubkollege Hannes Weninger sowie der Grün-Abgeordnete Wolfgang Pirklhuber
verstärkten die Bedenken unter Hinweis darauf, dass es weder für CETA noch für TTIP eine politische
Mehrheit gibt.
Positive Stimmen zu CETA kamen nur seitens der ÖVP. Georg Vetter sprach von Wohlstandsgewinnen für die
Welt und einzelne Länder und gab zu bedenken, dass durch derartige Handelsabkommen der Protektionismus einzelner
Länder abgebaut wird. Seine Klubkollegin Angelika Winzig führte insbesondere die hohe Exportquote Österreichs
ins Treffen und begrüßte allgemein die inhaltliche Ausrichtung des Abkommens, indem sie die Einschätzung
des Wirtschaftsministeriums und seines Ressortchefs Mitterlehner unterstützte.
Mitterlehner: CETA ist ein inhaltlich sehr gutes Abkommen
Dem EU-Ausschuss lag heute der vollständige Text des Abkommens vor – ein Konvolut von rund 1.600 Seiten. Wie
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner betonte, fanden österreichische Positionen weitgehend Eingang in
das Schlussdokument. So sei das Investitionskapitel auf österreichisches Betreiben fundamental überarbeitet
worden und enthalte jetzt die wesentlichen neuen Elemente des Kommissionsvorschlags für TTIP. In diesem Zusammenhang
strich er insbesondere die Einführung eines bilateralen Investitionsgerichts und einer Berufungsinstanz hervor.
Die Richter sollen durch die Vertrags- und nicht Streitparteien mit strengen Anforderungen an Qualifikation, Unabhängigkeit
und Unparteilichkeit ernannt werden. Außerdem verpflichten sich die Vertragsparteien, an der Etablierung
eines multilateralen Investitionsgerichts zu arbeiten. Explizit wurde eine Klausel zum staatlichen Regelungsrecht
und Verfahrenserleichterungen für Kleine und Mittlere Betriebe (KMU) aufgenommen.
Als wesentliche Punkte aus österreichischer Sicht weist das Papier des Wirtschaftsministeriums auf die umfassende
Absicherung der öffentlichen Dienstleistungen und die volle Aufrechterhaltung der Möglichkeit zur Förderung
der kulturellen Vielfalt hin. Unterstrichen werden darin die breiten Ausnahmen für die Wasserversorgung, für
die Erzeugung nuklearer Energie und für öffentlich finanzierte Bildungs -, Sozial - und Gesundheitsdienstleistungen.
Auch bleibe praktisch bis auf wenige Ausnahmen die Arbeitsmarktprüfung bei der Personenbewegung durchgehend
aufrecht. Zudem werde dem österreichischen Anliegen nach substantieller Öffnung des kanadischen Beschaffungsmarktes
v.a. auf subföderaler Ebene (Provinzen inkl. Gemeindeebene) Rechnung getragen. Neue Exportchancen erhofft
sich Österreich durch die kanadische Marktöffnung vor allem auch in den für Österreich interessanten
Sektoren Energie und Transport. Ein eigenes Webportal soll den Zugang zu Vergabemöglichkeiten insbesondere
für KMUs erleichtern.
Positiv verzeichnet das Wirtschaftsministerium auch die Tatsache, dass das Nachhaltigkeitskapitel integraler Bestandteil
des Abkommens ist. Die wesentlichen österreichischen Anliegen seien erfüllt, es werde durch die Wahrung
des "right to regulate" der Vertragsparteien zu keiner Senkung von Sozial- und Umweltstandards zugunsten
von Investitionen kommen, versichert man. Dieses "right to regulate" ist bereits in der Präambel
des Abkommens sowie in anderen Kapiteln zu Nachhaltigkeit und Investitionen ausdrücklich festgehalten. Nachhaltige
Ziele wie Corporate Social Responsibility oder Fair Trade würden gefördert, dazu soll eine möglichst
hohe Transparenz sowie die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, vor allem bei der Überwachung der Implementierung
und der Regelung möglicher Differenzen durch unabhängige Experten beitragen. Man werde sich auch bemühen,
weitere internationale Übereinkommen wie insbesondere das ILO-Übereinkommen zu ratifizieren.
Für die EU und Österreich ging es in den Verhandlungen auch darum, den Schutz des geistigen Eigentums
in Kanada anzuheben, da es dabei zu Problemen gekommen ist. Dies betrifft vor allem eine Verbesserung des Urheberrechtsschutzes,
aber auch die Verstärkung des Schutzes für wesentliche agrarische geographische Herkunftsbezeichnungen
der EU wie z.B. für Österreich "Tiroler Speck", "Steirischeres Kürbiskernöl".
Verbessert wird laut Ministerium auch der patentrechtliche Schutz insbesondere für pharmazeutische Produkte.
Österreich erhofft sich durch CETA signifikante wirtschaftliche Vorteile
Mit CETA fallen die meisten Zölle weg, bei sensiblen Agrarprodukten wurden jedoch Marktzugangsquoten für
Kanada vereinbart, wird in der Unterlage des Ministeriums hervorgehoben. Allgemein erwartet sich Österreich
"signifikante wirtschaftliche Vorteile" durch das Abkommen. Wie das Wirtschaftsressort ausführt,
sind die außenwirtschaftlichen Verflechtungen Österreichs mit Kanada im Vergleich zu anderen EU-Staaten
noch ausbaufähig, auch wenn mit dem Handelsvolumen im Vorjahr mit 1,5 Mrd. € ein neuer Höchstwert erzielt
werden konnte. Laut einer Studie kann Österreich mit einem Exportanstieg bei Waren und Dienstleistungen von
50% bzw. 586 Mio. US-Dollar rechnen, wobei die größten Anstiege bei Nahrungsmitteln (131%), Textilien
und Bekleidung (116%), Motorfahrzeugen (88%), sonstiger Transportausrüstung (60,3%) und elektrischen Maschinen
(66,2%) erwartet werden.
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