Jewish Welcome Service bringt 50 Personen aus vier Kontinenten nach Wien – Mailath ehrt Zeitzeuginnen:
"Respekt und Anerkennung für die Weitergabe von Erinnerung"
Wien (rk) - Der Jewish Welcome Service Vienna ist vom 10. bis 17. April Gastgeber einer Gruppe Jüdinnen
und Juden der 1. und 2. Generation aus Wien bzw. mit österreichischen Wurzeln. Die Gruppe besteht aus insgesamt
50 Personen, darunter auch Kinder und Enkelkinder. Die Gäste kommen aus den USA, Israel, Brasilien, Uruguay,
Argentinien und Frankreich. Im Rahmen des Aufenthalts stehen Besuche jüdischer Einrichtungen, eine Stadtrundfahrt,
ein Besuch im Rathaus und in der Hofburg auf dem Programm sowie ein immer beliebter Heurigenbesuch.
Finanziert wird die Tätigkeit des Jewish Welcome Service von der Stadt Wien, mit Unterstützung der Republik
Österreich.
„Seit drei Jahrzehnten lädt der Jewish Welcome Service Vienna Gruppen vertriebener Jüdinnen und Juden
nach Wien. Diese Geste einer weltoffenen und geschichtsbewussten Stadt gegenüber jenen, die aus ihrer Heimat
vertrieben wurden, wird durch Vermittlungs- und Bildungsprojekte ergänzt. Wien leistet somit einen wichtigen
Beitrag zu einer wechselseitigen Verbindung, die auch in die Zukunft reicht,“ betont Wiens Kulturstadtrat Andreas
Mailath-Pokorny im Rahmen des Empfangs im Wiener Rathaus.
„Mit diesen Einladungen zeigt die Stadt Wien, wie wichtig ihr die öffentliche Wahrnehmung und die Anerkennung
des Leides der Holocaust-Überlebenden und ihrer Familien ist,“ so Susanne Trauneck, Generalsekretärin
des Jewish Welcome Service.
Seit 2012 unterstützt auch der Wiener Städtische Versicherungsverein, Hauptaktionär der Vienna Insurance
Group, die Arbeit des Jewish Welcome Service. Neben der Förderung von kulturellen und sozialen Projekten sieht
sich der Wiener Städtische Versicherungsverein vor allem auch als Brückenbauer zwischen Kulturen und
Generationen.
Der Jewish Welcome Service
1980 wurde die Organisation auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Leopold Gratz und des Stadtrates Heinz
Nittel gemeinsam mit dem 2007 verstorbenen Leon Zelman gegründet. Präsident ist der jeweilige Bürgermeister
der Stadt Wien. Weitere Aufgaben neben dem Besuchsprogramm sind die Unterstützung von Gedenk- und Erinnerungsinitiativen
sowie Information und Service für jüdische Wien-BesucherInnen. Darüber hinaus organisiert der Jewish
Welcome Service auch Einladungen für die jüngere Generation.
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„Erinnerung vermitteln, weitergeben und wachhalten ist eine der schwierigsten Aufgaben. Die eigene Geschichte
für junge Generationen nachvollziehbar machen und nicht verdrängen oder verschweigen, dafür gebührt
größte Anerkennung, Respekt und Dank“, sagte Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny anlässlich
einer bewegenden und berührenden Ehrenzeichenverleihung im Wiener Rathaus an Zeitzeuginnen: Danuta Nemling
erhielt das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich, Helga Kinsky das Goldene Verdienstzeichen des
Landes Wien und Tanja Eckstein das Silberne Verdienstzeichen des Landes Wien.
„Danuta Nemling gibt heute Interviews und hält Vorträge an Schulen. Sie ist eine unermüdliche Kämpferin
für das Gute im Menschen“, so Laudator Lothar Hahn.
„Helga Kinsky erzählt in Schulklassen, auf internationalen Versammlungen und wissenschaftlichen Tagungen ihre
Lebensgeschichte, ganz ohne unterschwellige Anklage und Vorwürfe. Das ist heute wieder mehr denn je notwendig,
da sich Millionen Menschen wegen Krieg und Terror auf der Flucht befinden und nicht wissen, wo sie Schutz finden
werden“, betont Peter Gstettner, ehemals Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Klagenfurt,
in seiner Laudatio auf die Zeitzeugin.
„Tanja Eckstein hat an die siebzig Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geführt und diese in einer
übersichtlichen Online-Datenbank verfügbar gemacht. Sie organisiert Besuche in Schulen und monatliche
Treffen mit den von ihr interviewten Menschen“, weiß Rita Dauber, Vizepräsidentin des WIZO-Österreich,
der Women’s International Zionist Organization. „Es geht dabei auch um Wien, um Menschen, die hier aufwuchsen,
vertrieben wurden, zurückkehrten und heute hier ihren Lebensabend verbringen. Ecksteins Interviews sind Beiträge
für die Wissenschaft und tragen zu einem besseren Verständnis für Geschichte bei“.
Biographie Danuta Nemling
Danuta Nemling, geboren 1930, überlebte als Jugendliche das Konzentrationslager Ravensbrück. Später
engagierte sie sich im Rahmen des auslandspolnischen Vereins- und Verbandswesens in Österreich. So war sie
Präsidentin des Verbandes der Polen in Österreich „Strzecha“. 1894 gegründet, widmet sich der Verein
vor allem dem kulturellen Austausch zwischen Polen und Österreich.
Nemling war auch an der Gründung des Dachverbandes polnischer Organisationen in Österreich, dem „Forum
der Polen“ (Forum Polonii), beteiligt. Die Hauptaufgabe des Forums liegt in der Interessenvertretung der in Österreich
ansässigen Polen. Diese gemeinsame Vertretung soll die Interessen der Polen in ihren Kontakten mit österreichischen,
polnischen und internationalen Institutionen umfassen, ohne dabei in die inneren Angelegenheiten einzelner Vereine
einzugreifen. Überdies strebt es die Pflege der Muttersprache und der polnischen Kultur sowie die Entwicklung
guter Beziehungen zwischen den beiden Ländern und Völkern an.
Biographie Helga Kinsky
Helga Kinsky wurde 1930 in Wien als Kind jüdischer Eltern geboren. Ihr Vater Otto Pollak führte das
Café Palmhof in der äußeren Mariahilferstraße, das er zu einem renommierten Künstler-
und Veranstaltungslokal entwickelte.
Nachdem am 20. Mai 1938 die „Nürnberger Rassengesetze“ in Österreich in Kraft getreten waren, kehrte
Helga Kinsky von ihrem Sommerurlaub bei Verwandten im tschechischen Kyojov nicht mehr nach Wien zurück. Otto
Pollak kam im September 1941 von Wien zu seiner Tochter nach Kyojov. Im Januar 1943 wurden die beiden schließlich
nach Theresienstadt deportiert, wo Helga im Mädchenheim L 410 in einem Zimmer mit bis zu 30 anderen Mädchen
untergebracht war. Am 23. Oktober 1944 wurde sie in einem Viehwaggon nach Auschwitz deportiert, wurde dort aber
für den Arbeitsdienst in einer Chemiefabrik in Sachsen ausgewählt und weitergeschickt. Die Befreiung
durch die Alliierten erlebte Helga Kinsky gemeinsam mit ihrem Vater in Theresienstadt, wohin sie Ende April 1945
deportiert worden war.
1946 übersiedelte Helga Kinsky zu ihrer Mutter nach London. Dort machte sie ihre Matura und besuchte das College.
Sie heiratete 1951 Gerhard Max Kinsky, einen aus Ostpreußen stammenden jüdischen Emigranten, mit dem
sie zunächst in Bangkok, danach in Addis Abeba, Äthiopien, lebte. 1957 übersiedelte die Familie
nach Wien, wo Helga Pollak-Kinsky bis heute lebt.
Ihre Bekanntheit als Zeitzeugin und Überlebende von Theresienstadt gründet auf dem Tagebuch, das die
12- bis 14-jährige Helga in den Jahren 1943 und 1944 auf Tschechisch führte. Als Zeitdokument dem Tagebuch
der Anne Frank vergleichbar schildert es den Alltag im Lager Theresienstadt, das Zusammenleben Dutzender Mädchen
in einem Zimmer, die Angst vor der bevorstehenden Deportation nach Auschwitz und den Verlust von Freunden und Verwandten.
Helga Kinsky engagiert sich seit 2002 als Vortragende und Vorlesende zum Thema Holocaust.
Biographie Tanja Eckstein
Tanja Eckstein wurde 1949 in Berlin/Zehlendorf geboren und ist in der Deutschen Demokratischen Republik aufgewachsen.
Nach der Schule arbeitete sie in Verlagen und im Buchhandel. 1984 emigrierte Eckstein nach Wien, wo sie 15 Jahre
als Buchhändlerin tätig war. Seit 2002 arbeitet sie für den Verein Centropa (Zentrum zur Erforschung
und Dokumentation jüdischen Lebens in Ost- und Mitteleuropa). Der Fokus von Centropa liegt nicht auf dem Holocaust,
sondern darauf, jüdische Erinnerungen anhand von Interviews („Oral History“) und Familienfotos zu bewahren.
Tanja Eckstein hat im Zuge ihrer Arbeit für Centropa an die 70 Lebensgeschichten von vor allem in Wien lebenden
Juden, die den Holocaust überlebten, dokumentiert. Im Jahr 2008 erschien im Mandelbaum-Verlag das Buch „Wie
wir gelebt haben. Wiener Juden erinnern sich an ihr 20. Jahrhundert“, bei dem sie Mitherausgeberin ist. Außerdem
besucht Tanja Eckstein gemeinsam mit den ZeitzeugInnen im Rahmen von Zeitgeschichte-Projekten Schulen.
Darüber hinaus leitet Tanja Eckstein das Café Centropa, den größten jüdischen Seniorenclub
Mitteleuropas. Sie organisiert nicht nur die monatlichen Treffen, sondern auch kulturelle Veranstaltungen und gemeinsame
Ausflüge für die SeniorInnen.
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