Rudolf Weiss - ein Schüler Otto Wagners – von 14. April bis 18. September 2016 im Wien
Museum Karlsplatz
Wien (wienmuseum) - Von 1894 bis 1913 unterrichtete Otto Wagner an der Wiener Akademie der bildenden Künste.
Die Wagner-Schule wurde in dieser Zeit zum wichtigsten Laboratorium der modernen Architektur, deren Basis Material,
Zweck und Konstruktion bildeten. Wagner vollzog damit einen radikalen Bruch mit dem bis dahin dominierenden Historismus,
auch und gerade in der Architektenausbildung. Bei der Verbreitung dieser bahnbrechenden Ideen spielten Zeichnungen
eine entscheidende Rolle: Sie wurden in internationalen Zeitschriften, eigenen bibliophilen Publikationen und Ausstellungen
gezeigt und vermittelten ein visionäres Bild von Architektur.
Rudolf Weiß war einer der letzten Schüler Otto Wagners - und ein begnadeter Zeichner, dessen kunstvolle
Arbeiten die Quintessenz der Wagner-Schule repräsentieren. Auf dem internationalen Markt sind solche Papierarbeiten
Raritäten. Dass 2014 ein Großteil von Rudolf Weiß´ grafischen Blättern aus dem Nachlass
in die Sammlung des Wien Museums kam, ist einem Ankauf durch den Verein der Freunde
des Wien Museums zu verdanken. Das umfangreiche Konvolut an Architekturzeichnungen, Plänen und Skizzen erweist
sich als ideale Ergänzung des Nachlasses von Otto Wagner, der zum Kernbestand des Wien Museums zählt.
Die Ausstellung präsentiert also nicht nur erstmals das Werk eines weithin unbekannten Wagner-Schülers,
sondern versteht sich vor allem auch als Beitrag zu den Anfängen der "Medialisierung" von Architektur,
die gerade in jüngster Zeit zusätzlich an Bedeutung gewonnen hat.
Rudolf Weiß, als Sohn eines Großbauern und Zimmerermeisters in Kaltenleutgeben (NÖ) geboren, besuchte
die k.k. Staatsgewerbeschule in Wien, ehe er 1910 die Aufnahmeprüfung bei Otto Wagner erfolgreich bestand
(wichtigstes Kriterium dafür war ein hoch entwickeltes Zeichentalent). Anhand der jeweiligen Jahresprojekte
erlaubt die Ausstellung Einblicke in die Architekturklasse an der Akademie und das enge Verhältnis zwischen
dem Meister und seinen Schülern. Im ersten Jahr entwarf Weiß ein Eckzinshaus, bei dem Wagners Häuser
an der Wienzeile und in der Neustiftgasse Pate standen. Neben dem Warenhaus galten Hotels als paradigmatische Orte
der Moderne: Im zweiten Studienjahr plante Weiß ein sachliches, zugleich höchst repräsentatives
"Hotel Wien". Der Perspektivschnitt dazu vermittelt die kühne Eisenbeton-Konstruktion, Zimmeransichten
den Geist einer neuen Epoche.
Im darauf folgenden Jahr hatten die Studenten ein größer dimensioniertes Projekt zu wählen, Weiß
entschied sich für ein mächtiges, ganz im Sinne von Wagner durchkomponiertes Lustschloss auf der äußersten
Spitze der Halbinsel Sirmione am Gardasee. Mit diesem Projekt schloss Weiß sein Studium bei Wagner ab, bis
ins hohe Alter variierte er das Thema in weiteren phantasievollen Skizzen und Plänen. Ebenfalls präsentiert
werden Wettbewerbsbeiträge von Weiß (viele von Wagners Studenten nahmen an solchen teil) sowie freie
Entwürfe unterschiedlichster Thematik. Konzentriert vereinen sie alle typischen Präsentationselemente
der Wagner-Schule: steile Perspektiven, eindrucksvolle Übereckansichten, dramatische Bildausschnitte, harte,
unnatürliche Kontraste. Oft kommt eine Vielzahl von zeichnerischen Techniken (von Tusche bis Aquarell) auf
einem einzelnen Blatt zum Einsatz, was den Effekt zusätzlich erhöht.
Die Wagner-Schule hatte international einen erheblichen Einfluss, ihr Elan blieb jedoch größtenteils
auf die "gezeichnete Moderne" beschränkt. Nur wenige Projekte gelangten tatsächlich zur Ausführung
- ein Charakteristikum, das auch für Rudolf Weiß` weiteres Leben bestimmend wurde. Der Erste Weltkrieg
schien die Vision einer durch Architektur verbesserten, modernen Welt hinwegzufegen, Rudolf Weiß blieb nur
der Rückzug in Phantasieprojekte . Von 1919 bis 1928 war er als Gemeinderat für die Christlichsoziale
Partei in Kaltenleutgeben tätig, von 1928 bis 1938 bekleidete er das Bürgermeisteramt. Nach dem Zweiten
Weltkrieg blieb er weiterhin in politischen Funktionen tätig, arbeitete jedoch auch als freischaffender Architekt.
So plante er den Waldfriedhof in Kaltenleutgeben, das Haus der Landwirtschaft in Mödling sowie einige Einfamilienhäuser.
Der Kreis zur Wagner-Schule schloss sich in seiner Tätigkeit als Professor für Architektur an der Staatsgewerbeschule
(HTL) in Mödling. Hier konnte er - noch immer beseelt von Otto Wagners bahnbrechenden Arbeiten - den Schülern
(unter ihnen etwa Ottokar Uhl) seine Grundhaltung zur Architekturgeschichte vermitteln. Den Abschluss der Ausstellung
bilden zwanzig Blätter einer "Baustilgeschichte", die Weiß als Unterrichtsvorlage konzipiert
hatte und die sein zeichnerisches Können noch einmal eindrucksvoll unter Beweis stellt. Der zeitliche Bogen
spannt sich von Ägypten bis zur Moderne, an deren Spitze erwartungsgemäß Wagner steht. Das aus
der Sicht der Wagner-Schule als stillos erachtete 19. Jahrhundert bleibt in dieser Baustilgeschichte übrigens
vollkommen ausgeblendet.
Die kompakte Ausstellung zeigt 118 Arbeiten von Rudolf Weiß, der Großteil aus dem Bestand des Wien
Museums, ergänzt um private Leihgaben. Zur Schau erscheint im Metroverlag ein Katalog mit Beiträgen von
Kurator Andreas Nierhaus sowie Richard Kurdiovsky und Gerd Pichler.
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