Bures: Die Geschichte der Roma ist
Teil der Geschichte Österreichs
erstellt am
12. 04. 16
11:00 MEZDas Parlament würdigt Leben und Wirken Rudolf Sarközis
Wien (pk) – Die einstimmigen Beschlüsse von Nationalrat und Hauptausschuss zur Anerkennung der Roma als sechste österreichische Volksgruppe im Jahr 1993 waren der größte, aber bei weitem nicht der einzige politische Erfolg von Rudolf Sarközi, dem kürzlich verstorbenen Vorsitzenden des Volksgruppenbeirats der Roma, dessen Leben und Wirken das Parlament anlässlich des Internationalen Roma-Tags würdigte. Professor Rudolf Sarközi hat in den letzten Jahrzenten wesentlich dazu beigetragen, dass die durch Jahrhunderte verfolgten und von den Nationalsozialisten fast ausgelöschten Roma nicht nur eine schmerzliche Vergangenheit, sondern auch eine Geschichte haben, die jungen Roma ein Fundament für ihre Identität, für ihr Selbstbewusstsein und ihren Stolz gibt, sagte Nationalratspräsidentin Doris Bures am 12.04. bei der Begrüßung der Familie Rudolf Sarközis und seiner vielen prominenten Wegbegleiter, die sich in der Säulenhalle des Parlaments versammelten, um des großen Österreichers zu gedenken. Und Doris Bures fügte hinzu: "Wir danken und verneigen uns vor Rudolf Sarközi, vor dem Menschen und seinem beeindruckenden Lebenswerk. Rudolf Sarközi hinterlässt bleibende Spuren, die uns den Weg in die Zukunft weisen. Gehen wir diesen Weg wie Rudolf Sarközi - mit Ausdauer und Zuversicht, mit Freude und Offenheit".
Die Geschichte der Roma ist nichts Fremdes mehr, sondern Teil der Geschichte des Landes sowie der Republik Österreich und sie zeigt jungen Roma, dass sie Teil der Gesellschaft sind, führte die Nationalratspräsidentin aus. Die Folgen von Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma hat Rudolf Sarközi nicht gänzlich beseitigen können, aber er hat gezeigt, welch bedeutende Veränderungen ein Mensch bewirken kann, sagte Bures. Rudolf Sarközi hat - wie die meisten Roma und Sinti - viele Mitglieder seiner Familie nie kennengelernt, weil sie aus den NS-Lagern nicht zurückkehrten, daher setzte er sich für eine würdige Erinnerung an die ermordeten Roma und Sinti ein und kämpfte für ihre Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus, was erst 1995, nach dem Mordanschlag in Oberwart, gelang. Bis zuletzt habe Rudolf Sarközi seinen Sitz im Nationalfonds genutzt und sich mit Sensibilität, Konsequenz und Kompromissbereitschaft für Gedenken, Forschen und Aufklären eingesetzt. So hat Rudolf Sarközi die namentliche Erfassung der Roma-Opfer der NS-Zeit, die Errichtung von Mahnmalen für die ermordeten Roma in Mauthausen und in Lackenbach, aber auch in anderen Ländern initiiert und unterstützt, berichtete die Nationalratspräsidentin.
Franz Vranitzky: Rudolf Sarközi war auch ein Lehrer seiner Volksgruppe
Mit Rudolf Sarközi habe ihn Persönliches, gemeinsame politische Auffassungen in der Volksgruppenpolitik und insbesondere die antifaschistische Einstellung verbunden, sagte Bundeskanzler a.D. Franz Vranitzky in der Würdigung des Lebens und Wirkens seines Freundes Rudolf Sarközi. Er habe nicht nur die Anerkennung seiner Volksgruppe, ihrer Sprache und ihre Entschädigungsansprüche durchgesetzt und gegen rassistische Vorurteile gekämpft, sondern – als Lehrer seiner Volksgruppe - mit Erfolg für eine bessere Ausbildung junger Roma hingewirkt. Da Toleranz ohne Akzeptanz nicht ausreicht, empfahl Vranitzky dem einen oder anderen ostmitteleuropäischen EU-Land die Volksgruppenpolitik Rudolf Sarközis und Österreichs als Beispiel und Vorzeigeprojekt, wobei er an die rechtlichen Verpflichtungen erinnerte, die mit der Mitgliedschaft bei der Europäischen Union verbunden sind.
Für die musikalische Umrahmung des gestrigen Abends sorgte das Martin Denic Ensemble mit der Roma-Hymne "Gelem Gelem", der Bundeshymne und Liedern der Roma. Ein ORF-Video-Beitrag zeigte Höhepunkte aus dem Leben Rudolf Sarközis. Durch das Programm führte als Moderatorin Sonja Kato.
Prof. Rudolf Sarközi (11.11.1944 - 12.3.2016)
Rudolf Sarközi kam im Herbst 1944 im Konzentrationslager Lackenbach im Burgenland zur Welt, wo die Nationalsozialisten Roma und Sinti internierten. Nach Befreiung und Auflösung des Lagers durch sowjetische Truppen im April 1945 kehrte Sarközis Mutter in das südburgenländische Dorf Unterschützen heim und zog dort ihre beiden Kinder als Bauhilfsarbeiterin alleine auf. Nach acht Jahren Volksschule wurde auch Rudolf Sarközi Hilfsarbeiter, weil er als "Zigeuner" keine Lehrstelle bekam. 1964 gründete Rudolf Sarközi eine Familie, übersiedelte nach Wien, leistete den Präsenzdienst beim Bundesheer und arbeitete sich in einer Elektrofirma vom Montagehelfer zum technischen Angestellten hinauf. 1981 wechselte er als Kraftfahrer zur Gemeinde Wien und war dort auch als Personalvertreter aktiv. Seit dieser Zeit interessierte sich Rudolf Sarközi für seine Herkunft und setzte sich für die Volksgruppe der Roma ein. 1989 gründete Sarközi den Verein "Roma in Oberwart" mit und rief 1991 den "Kulturverein österreichischer Roma in Wien" ins Leben, dem er bis zuletzt vorstand. Im selben Jahr leitete er das Verfahren zur Anerkennung der Roma als österreichische Volksgruppe ein. Den Beschluss dazu fasste der Hauptausschuss des Nationalrats einstimmig am 16. Dezember 1993, wodurch Österreich zum einzigen Land in Europa wurde, in dem die Roma und Sinti die gleichen Rechte haben wie andere Volksgruppen.
Bestärkt von diesem Erfolg setzte Rudolf Sarközi seine Arbeit fort, startete 1994 die Herausgabe der Zeitung Romano Kipo (Roma Bild), beriet als Vorsitzender des Volksgruppenbeirats der Roma und Sinti Bundes- und Landesregierungen, hielt Vorträge in Schulen und Universitäten, Kammern, Verbänden, Kirchen und NGOs und vertrat die Anliegen der größten Volksgruppe Europas auch auf internationalen Kongressen. Sarközi unterstützte Roma, die im Sommer aus vielen Ländern als Camper nach Wien kommen, bei der Suche nach Stellplätzen und lud sie in die "Roma-Doku " in Döbling ein, eine 1996 eröffnete Informations- und Dokumentationsstätte für die Geschichte der Roma sowie zur Förderung des Verständnisses zwischen Volksgruppe und Mehrheitsbevölkerung.
Eine dunkle Zeit in der Geschichte der Roma und im Leben Rudolf Sarközis war das Attentat in Oberwart im Februar 1995. Als Antwort auf den Anschlag, der vier Roma das Leben kostete, organisierte Rudolf Sarközi das legendäre Benefizkonzert "Stimmen gegen Hass und Gewalt" zugunsten der Familien der Opfer und schuf den Roma-Bildungsfonds zur Förderung der Aus- und Weiterbildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Die große Zahl der SonderschülerInnen bei den Roma in Oberwart sank seitdem auf null. Heute absolvieren viele junge Roma höhere berufsbildende Schulen und Erwachsene verbessern ihr Berufsleben auf dem zweiten Bildungsweg.
Beiträge zur österreichischen Gedenkkultur
Mehr als eine halbe Million Roma und Sinti fielen in Europa dem NS-Terror zum Opfer. Mehr als 90% der österreichischen Roma kehrten aus den Lagern nicht mehr heim. Da auch Rudolf Sarközi die meisten seiner Angehörigen nie kennenlernte und lange nicht wusste, wo und wie sie umkamen, engagierte er sich für eine würdige Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Roma. Sarközi initiierte historische Forschungen sowie die Errichtung und Erhaltung von Gedenkstätten im In- und Ausland – in Mauthausen die erste Gedenktafel und ein Mahnmal für ermordete Roma und Sinti, in Auschwitz die ständige Ausstellung "NS-Völkermord an den Roma und Sinti", in Lodz Gedenktafeln und -stätten zum "Zigeunerlager" im jüdischen Ghetto. In Lodz suchte Sarközi gemeinsam mit dem Historiker Gerhard Baumgartner und Oberrabiner Simcha Keller nach den Gräbern tausender österreichischer Roma und Sinti sowie tausender Wiener Juden. Seit 1990 findet alljährlich in Lackenbach, vor dem Mahnmal für Roma und Sinti, eine Gedenkkundgebung statt. Die Historiker Gerhard Baumgartner und Florian Freund verfassten auf Anregung Rudolf Sarközis eine Geschichte der Roma nach 1945, forschten über Vermögensentzug, Restitution und Entschädigung und errichteten eine Datenbank mit den Namen der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti, die im "Roma-Doku" laufend ergänzt wird.
Es gibt keine Rassen, nur Menschen anderer Hautfarbe und anderer Nationalität
Sein Grundsatz "Es gibt keine Rassen, es gibt nur Menschen anderer Hautfarbe und anderer Nationalität" leitete Rudolf Sarközi in seiner Arbeit im Kulturverein österreichischer Roma, im Volksgruppenbeirat der Roma, im Österreichischen Volksgruppenzentrum, im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, im Verein "Niemals Vergessen", als Kurator des Roma-Fonds und als Mitglied der Kuratorien des Mauthausen Komitees Österreich, des Internationalen Forums Mauthausen, des Nationalfonds der Republik Österreich und des Allgemeinen Entschädigungsfonds sowie als Juror von CIVIS, des Europäischen Medienpreises für Integration. Für seine Verdienste erhielt Rudolf Sarközi von mehreren Bundesländern, der Republik Österreich, europäischen Ländern und Organisationen höchste Ehrenzeichen. Er wurde mit dem Europäischen Menschenrechtspreis ausgezeichnet und im Jahr 2002 zum Professor ernannt.
Mit dem Österreichischen Parlament verband Rudolf Sarközi auch das Bemühen um eine österreichische Gedenk- und Erinnerungskultur. Am 5. Mai 2004 (siehe Meldung der Parlamentskorrespondenz Nr. 314/2004), am Nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus sprach Rudolf Sarközi im Parlament "Gegen Vergessen, Roma - 10 Jahre Österreichische Volksgruppe". 2008 präsentierte Prof. Rudolf Sarközi sein Buch "Roma - Österreichische Volksgruppe. Von der Verfolgung bis zur Anerkennung" (PK-Meldung Nr. 819/2008), und 2011 ein weiteres Buch: "Vom Rand in die Mitte - 20 Jahre Kulturverein österreichischer Roma". Am Internationalen Roma-Tag 2013 feierte das Parlament "20 Jahre Anerkennung der Roma als Volksgruppe" gemeinsam mit Rudolf Sarközi. "Wir sind vom Rand der Dörfer in die Mitte gerückt", sagte Prof. Rudolf Sarközi bei diesem Festakt und beschrieb damit die jüngste Entwicklung seiner Volksgruppe, ein bedeutendes Kapitel der Geschichte Österreichs und zugleich sein eigenes politisches Lebenswerk.
Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at
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