Chronische Entzündung treibt Krebsentstehung an – Bakterium „Alistipes“ kann Dickdarmkrebs
verursachen – Protein LCN2 bremst Keimwachstum
Innsbruck (i-med) - Einem Team um die Innsbrucker Gastroenterologen Herbert Tilg, Alexander Moschen und
Romana Gerner (Univ.-Klinik für Innere Medizin I) ist es gelungen, ein Darmbakterium als Auslöser für
Dickdarmkrebs zu entlarven. Die im Journal Cell Host&Microbe publizierte Forschungsarbeit beleuchtet auch die
Interaktion zwischen dem infektionsabwehrenden Eiweiß Lipocalin-2 (LCN2) und der Keimwelt des Darms (Mikrobiota)
und liefert damit neue Erkenntnisse für die Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen.
Menschen, die an CED, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, leiden, brauchen eine lebenslange Behandlung.
Für 20 Prozent der betroffenen, meist jungen Personen ist die Therapiesituation jedoch unbefriedigend. Dazu
kommt, dass aus CED nach zehn bis zwanzig Jahren Krebs entstehen kann. Neue Forschungserkenntnisse zum Verständnis
entzündlicher Erkrankungen sind also für Prävention und Behandlung besonders wichtig.
Krebskeim auf der Spur
Der Gastroenterologe Herbert Tilg hat bereits seit einigen Jahren die Entzündungsbiologie des Darms im
Visier und ist nun einem Krebskeim auf der Spur. Gemeinsam mit seinen MitarbeiterInnen Romana Gerner und Alexander
Moschen konnte er anhand eines vom Team neu etablierten genetischen Colitis-Modells zeigen, dass Mäuse, denen
krankheitsspezifisch das antientzündliche Zytokin IL-10 sowie auch das Protein LCN2 fehlt, eine schwerwiegendere
Entzündung und nach einer gewissen Zeit auch Tumoren entwickelten. Der Verdacht der ForscherInnen, wonach
der schwere Verlauf in einer veränderten Mikrobiota begründet ist, wurde bestätigt: Mit der Gabe
von Antibiotika entwickelten die Tiere keine Tumoren und nur eine milde Entzündung. „Die Sequnzierung der
Mikrobiota und die Schaffung einer Bakterienkultur führte uns zu einem Keim names Alistipes, der sich in unseren
Versuchen als Auslöser von Dickdarmkrebs enttarnen ließ“, so Romana Gerner. Nachdem in ersten klinischen
Untersuchen bei Dickdarmkrebs-PatientInnen bereits eine überdurchschnittliche Anhäufung von Alistipes-Bakterien
nachgewiesen wurde, belegen die Ergebnisse der Innsbrucker ForscherInnen nun auch den molekularbiologischen Zusammenhang.
LCN2 steuert Wachstum der Keime im Darm
Zudem konnten die ForscherInnen auch dem antimikrobiellen Protein LCN2 eine zentrale Rolle in diesem Zusammenhang
nachweisen, wodurch es ermöglicht wird, neue Ansätze für die Therapie chronisch entzündlicher
Darmerkrankungen zu finden. Das von weißen Blutkörperchen (neutrophilen Granulocyten) gebildete Protein
LCN2 wird im Rahmen von Entzündungen vor allem nahe der Darmschleimhaut vermehrt exprimiert und ist in der
Lage, mit den Keimen des Dams zu kommunizieren. “Indem es eisenbindende Moleküle, sogenannte Siderophore,
bindet, entzieht LCN2 den Bakterien das für ihr Wachstum nötige Eisen und dämmt so die Krebs fördernde
Entzündung ein“, erklärt Alexander Moschen.
LCN2 hat also eine schützende Funktion in der Entstehung von intestinalen Entzündungen und Darmtumoren,
die mit einer veränderten Mikrobiota in Zusammenhang stehen. Diese Erkenntnis wird für die Entwicklung
innovativer Therapien bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und damit assoziiertem Dickdarmkrebs von
besonderer Bedeutung sein.
Mikrobiota – Forschungsfeld mit hohem Therapiepotenzial
Die Zusammensetzung der Darmmikroorganismen wird als Mikrobiota bezeichnet und ist individuell verschieden. Die
komplexe Mikrobenwelt setzt sich aus mindestens 1014 Bakterien, Phagen und Viren zusammen und wiegt zusammen rund
1,5 Kilogramm. Die Zusammensetzung der Mikrobiota unterliegt äußeren Einflüssen, wie der Ernährung.
„Es hat sich gezeigt“, so Herbert Tilg, „dass sich die Mikrobiota bei an Krebs erkrankten Menschen stark von der
bei Gesunden unterscheidet“. Bei PatientInnen mit Darmkrebs sind etwa bestimmte Schlüsselkeime wie Bifidobaktieren
zu wenig, andere aggressive Keime jedoch in Überzahl vorhanden. Der Erforschung der Keimwelt des Darms wird
in Fachkreisen großes Potential für die Entwicklung innovativer Therapien bei Darmkrebs und CED, aber
auch bei vielen anderen Erkrankungen zugeschrieben.
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