EU-Ausschuss vertagt Verhandlungen bis Gutachten des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen
Dienst des Parlaments vorliegt
Wien (pk) - Wie bereits im EU-Unterausschuss des Nationalrats am 13.04. dieses Jahres vertagte auch am 11.05.
der EU-Ausschuss des Bundesrats die Beratungen über CETA – das rund 1600 Seiten umfassenden Handelsabkommen
zwischen der EU und Kanada. Man will das Ergebnis des Gutachtens des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen
Dienst des Parlaments abwarten, das klären soll, welche Teile des Abkommens in den nationalstaatlichen Bereich
und welche in EU-Kompetenz fallen, denn nur für letztere kommt eine vorläufige Anwendung in Frage, begründete
Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) die eher kurze Diskussion im Ausschuss. Erst wenn diese essentielle Vorfrage
geklärt sei, werde man sich intensiv mit den Inhalten des Abkommens auseinandersetzen. Dem schloss sich auch
Stefan Schennach (S/W) an, wobei er seine kritische Haltung zu dem Abkommen erkennen ließ und auch auf die
negative Stellungnahme der Landeshauptleute hinwies.
FPÖ und Grüne legen ihre kritische Haltung in Anträgen fest – Knackpunkt vorläufige Anwendung
von Vertragsteilen
Dennoch war die Frage der vorläufigen Anwendung im Ausschuss Thema, nachdem die FPÖ-BundesrätInnen
Monika Mühlwerth (F/W) Christoph Längle (F/V) und Bernhard Rösch (F/W) dazu einen Antrag auf Stellungnahme
eingebracht haben, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, sich auf europäischer Ebene einheitlich und
klar gegen eine vorläufige Anwendung von CETA auszusprechen. Das sei aus verfassungsrechtlichen und demokratiepolitischen
Gründen inakzeptabel, so die Begründung. Auch Stefan Schennach (S/W) machte darauf aufmerksam, dass eine
vorläufige Anwendung bei eventueller Ablehnung des Abkommens durch nationale Parlamente zu einer problematischen
Situation führen könnte.
Dazu stellte die Sektionschefin des Wirtschaftsministeriums, Bernadette Gierlinger, fest, eine etwaige vorläufige
Anwendung sei erst möglich, wenn das Europäische Parlament zugestimmt hat. Für eine vorläufige
Anwendung kämen nur jene Teile in Frage, die in die alleinige EU-Kompetenz fallen, hielt sie fest. Das betreffe
etwa den Zollabbau und die Beseitigung von Markthemmnissen. Die öffentlich noch immer umstrittenen Investitionsschutzbestimmungen
seien nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums jedoch von der vorläufigen Anwendung auszunehmen, da hier
auch die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten betroffen seien.
Trotzdem sieht FPÖ-Bundesrätin Mühlwerth eine Dringlichkeit, den Antrag abzustimmen, denn sie befürchtet,
dass der Ministerrat bereits im Mai das Abkommen unterzeichnen könnte, was seitens des Wirtschaftsministeriums
dezidiert in Abrede gestellt wurde. Die Kommission plane die Unterzeichnung des Abkommens anlässlich des EU-Kanada-Gipfels
im Oktober. Mühlwerth sprach sich seitens ihrer Fraktion dezidiert gegen CETA als Eintrittstor für TTIP
aus. Ihr zufolge spreche nichts dagegen, die Zölle abzubauen, bei CETA gehe es aber um viel mehr.
Auch Heidelinde Reiter (G/S) legte einen Antrag auf Stellungnahme vor. Darin verlangen die Grünen von der
Bundesregierung, CETA auf europäischer Ebene abzulehnen, solange die Forderungen des EU-Ausschusses in Bezug
auf TTIP, die dieser in Stellungnahmen formuliert hat, sowie jene der einheitlichen Länderstellungnahme vom
5. Mai 2014 nicht umgesetzt sind. Die Grünen kritisieren nach wie vor die Investitionsschutzklausel und befürchten
die Senkung ökologischer und sozialer Standards. CETA halten sie für ein Einfallstor für Agrarprodukte.
Reiter sprach sich daher mit Nachdruck dafür aus, sich ausreichend Zeit zu nehmen, um das vorliegende Verhandlungsergebnis
zu evaluieren und entsprechende Informationen zu sammeln.
Aufgrund der Vertagung der Materie wurden auch diesen beiden Anträge in der heutigen Sitzung nicht abgestimmt
und bleiben weiter in Verhandlung.
Kanada hat sich in Verhandlungen sehr bewegt
Im Gegensatz zu den ablehnenden Wortmeldungen seitens der FPÖ und der Grünen betonte Ferdinand Tiefnig
(V/O), in den Verhandlungen habe sich sehr viel bewegt, Kanada habe keine Einwendungen mehr gegen den rechtlichen
Status eines gemischten Abkommens und habe auch die EU-Position zu den Schiedsgerichten akzeptiert. Man müsse
sich nun den Text genauer anschauen und Informationen sammeln, sagte er und kritisierte insbesondere die Kampagnen
seitens der Krone und der Handelskette Spar gegen CETA und TTIP, welche die öffentliche Meinung stark beeinflusst
hätten. Spar könnte bereits heute mehr heimische Produkte anbieten anstatt Billigprodukte aus dem Ausland
für seine S-Budget-Linie einzukaufen.
Einig war man sich, dass es ich dabei um ein gemischtes Abkommen handelt, das in den nationalen Parlamenten zu
ratifizieren ist, zumal nicht alle Teile davon in EU-Kompetenz, sondern einige in nationalstaatliche Kompetenz
fallen. Auch seitens des Wirtschaftsministeriums ließ man keinen Zweifel daran, dass man den Vertrag als
ein gemischtes Abkommen betrachtet, und diese Meinung würden auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten vertreten.
Neues Investitionskapitel in CETA wäre wichtiges Signal für TTIP
Wie in der dazu vom Wirtschaftsministerium vorgelegten Information betont wird, konnte in den Verhandlungen für
die wichtigsten österreichischen Anliegen ein gutes Ergebnis erzielt werden. So sei das Investitionskapitel
auf österreichisches Betreiben fundamental überarbeitet worden und enthalte jetzt die wesentlichen neuen
Elemente des Kommissionsvorschlags für TTIP. In diesem Zusammenhang streicht die Unterlage insbesondere die
Einführung eines bilateralen Investitionsgerichts und einer Berufungsinstanz hervor. Die RichterInnen sollen
durch die Vertrags- und nicht Streitparteien mit strengen Anforderungen an Qualifikation, Unabhängigkeit und
Unparteilichkeit ernannt werden. Außerdem verpflichten sich die Vertragsparteien, an der Etablierung eines
multilateralen Investitionsgerichts zu arbeiten. Explizit wurde eine Klausel zum staatlichen Regelungsrecht und
Verfahrenserleichterungen für Kleine und Mittlere Betriebe (KMU) aufgenommen.
Wie die zuständige Sektionschefin unterstrich, wäre eine Verabschiedung dieser reformierten Bestimmungen
ein wichtiges Signal für die laufenden Verhandlungen zu TTIP mit den USA, aber auch ein Signal an China und
Japan. Österreichischen Investoren würde mit CETA ein zusätzliches Instrument zur Durchsetzung ihrer
Rechte im komplexen kanadischen Rechtssystem zur Verfügung gestellt, da Österreich derzeit über
kein bilaterales Investitionsschutzabkommen mit Kanada verfügt. Sie stellte auch klar, dass sich ein Unternehmen
nur dann als kanadischer Investor auf die Investitionsschutzbestimmungen aus CETA berufen könne, wenn es nach
kanadischem Recht begründet oder geführt ist, ferner entweder selbst eine substantielle Geschäftstätigkeit
in Kanada ausübt oder im Eigentum beziehungsweise unter Kontrolle einer natürlichen Person aus Kanada
oder eines Unternehmens mit substantieller Geschäftstätigkeit in Kanada steht. Damit seien insbesondere
rechtlich unselbständige Zweigniederlassungen und auch Briefkastenfirmen nicht klagsberechtigt.
Wirtschaftsministerium hebt positive Verhandlungsergebnisse hervor
Als wesentliche Punkte aus österreichischer Sicht weist das Papier des Wirtschaftsministeriums auf die umfassende
Absicherung der öffentlichen Dienstleistungen und die volle Aufrechterhaltung der Möglichkeit zur Förderung
der kulturellen Vielfalt hin. Unterstrichen werden darin die breiten Ausnahmen für die Wasserversorgung, für
die Erzeugung nuklearer Energie und für öffentlich finanzierte Bildungs -, Sozial - und Gesundheitsdienstleistungen.
Auch bleibe praktisch bis auf wenige Ausnahmen die Arbeitsmarktprüfung bei der Personenbewegung durchgehend
aufrecht. Zudem werde dem österreichischen Anliegen nach substantieller Öffnung des kanadischen Beschaffungsmarktes
vor allem auf subföderaler Ebene (Provinzen inklusive Gemeindeebene) Rechnung getragen. Neue Exportchancen
erhofft sich Österreich durch die kanadische Marktöffnung vor allem auch in den für Österreich
interessanten Sektoren Energie und Transport. Ein eigenes Webportal soll den Zugang zu Vergabemöglichkeiten
insbesondere für KMUs erleichtern.
Positiv verzeichnet das Wirtschaftsministerium auch die Tatsache, dass das Nachhaltigkeitskapitel integraler Bestandteil
des Abkommens ist. Die wesentlichen österreichischen Anliegen seien erfüllt, es werde durch die Wahrung
des "right to regulate" der Vertragsparteien zu keiner Senkung von Sozial- und Umweltstandards zugunsten
von Investitionen kommen, versichert man. Dieses "right to regulate" ist bereits in der Präambel
des Abkommens sowie in anderen Kapiteln zu Nachhaltigkeit und Investitionen ausdrücklich festgehalten. Nachhaltige
Ziele wie Corporate Social Responsibility oder Fair Trade würden gefördert, dazu soll eine möglichst
hohe Transparenz sowie die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, vor allem bei der Überwachung der Implementierung
und der Regelung möglicher Differenzen durch unabhängige Experten, beitragen. Man werde sich auch bemühen,
weitere internationale Übereinkommen wie insbesondere das ILO-Übereinkommen (Internationale Arbeitsorganisation)
zu ratifizieren.
Für die EU und Österreich ging es in den Verhandlungen auch darum, den Schutz des geistigen Eigentums
in Kanada anzuheben, da es dabei zu Problemen gekommen ist. Dies betrifft vor allem eine Verbesserung des Urheberrechtsschutzes,
aber auch die Verstärkung des Schutzes für wesentliche agrarische geographische Herkunftsbezeichnungen
der EU wie z.B. für Österreich "Tiroler Speck", "Steirischeres Kürbiskernöl".
Verbessert wird laut Ministerium auch der patentrechtliche Schutz insbesondere für pharmazeutische Produkte.
Österreich erhofft sich durch CETA signifikante wirtschaftliche Vorteile
Mit CETA fallen die meisten Zölle weg, bei sensiblen Agrarprodukten wurden jedoch Marktzugangsquoten für
Kanada vereinbart, wird in der Unterlage des Ministeriums hervorgehoben. Allgemein erwartet sich Österreich
"signifikante wirtschaftliche Vorteile" durch das Abkommen. Wie das Wirtschaftsressort ausführt,
sind die außenwirtschaftlichen Verflechtungen Österreichs mit Kanada im Vergleich zu anderen EU-Staaten
noch ausbaufähig, auch wenn mit dem Handelsvolumen im Vorjahr mit 1,5 Mrd. € ein neuer Höchstwert erzielt
werden konnte. Laut einer Studie kann Österreich mit einem Exportanstieg bei Waren und Dienstleistungen von
50% bzw. 586 Mio. US-Dollar rechnen, wobei die größten Anstiege bei Nahrungsmitteln (131%), Textilien
und Bekleidung (116%), Motorfahrzeugen (88%), sonstiger Transportausrüstung (60,3%) und elektrischen Maschinen
(66,2%) erwartet werden.
Zeitplan
Sektionschefin Gierlinger informierte den Ausschuss, dass die Unterzeichnung des Abkommens für Oktober vorgesehen
sei. Für Juni 2016 sei nur die Vorlage der formellen Entwürfe für die Ratsbeschlüsse geplant.
Die Unterzeichnung des Abkommens durch Österreich setze eine Befassung des Ministerrats voraus. Nach der Unterzeichnung
des Abkommens werde es dem EU-Parlament weitergeleitet. Sobald dort über den Text abgestimmt wurde, erhalten
die nationalen Parlamente den Text zur Ratifizierung.
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