Aktuelle Europastunde über Chancen und Risiken der beiden Freihandelsabkommen mit den
USA und Kanada
Wien (pk) - Betont emotional aufgeladen und versehen mit äußerst unterschiedlichen Gesichtspunkten
verlief die Aktuelle Europastunde am 18.05. im Nationalrat zu TTIP und CETA. Dabei formulierten die RednerInnen
der Parlamentsfraktionen ihre Standpunkte pointiert und bekräftigten ihre unterschiedlichen Auffassungen,
die bereits in den EU-Ausschüssen beider Kammern angeklungen sind. Klar gegen TTIP und CETA sprachen sich
die FPÖ, die Grünen und das Team Stronach aus. Die Grünen verlangten einen Ausstieg aus den TTIP-Verhandlungen
mit den USA und lehnten eine vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens mit Kanada ab. Die Freiheitlichen hingegen
plädierten für eine Volksabstimmung über die jeweiligen Verhandlungsergebnisse und das Team Stronach
meinte, hinter CETA und TTIP stünde eine Mogelpackung mit einem hohen Preis für die Bevölkerung.
Auch die SozialdemokratInnen äußerten sich betont skeptisch, wobei sich deren MandatarInnen nicht grundsätzlich
gegen den Freihandel aussprachen, sondern auf die Einhaltung der Standards pochten. Einzig und allein die ÖVP
und die NEOS sahen in CETA und TTIP Chancen, wiesen auf das Verhandlungsmandat hin, das die Beibehaltung hoher
Standards einschließt, plädierten dafür, das Verhandlungsergebnis abzuwarten und schlossen daran
den Appell, sachlich zu diskutieren.
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner rief die Abgeordneten dazu auf, den sachlichen Weg zu beschreiten, sich vom Pathos
und den Emotionen wegzubewegen und über Inhalte zu diskutieren. Alles andere wäre ein schlechter Umgang
mit den Chancen, meinte er. Er habe selbstverständlich immer wieder die kritischen Positionen Österreichs
vorgebracht und stehe dafür, die Standards abzusichern und den Investitionsschutz rechtsstaatlich zu gestalten.
Grundlage für die Debatte war das Verlangen der Grünen, die Aktuelle Europastunde unter den Titel "TTIP
Verhandlungsstopp und ein NEIN zu CETA. Fairer Handel statt Konzernherrschaft!" zu stellen. CETA ist bereits
ausverhandelt und wird demnächst auch ausführlich in den EU-Ausschüssen des Nationalrats und des
Bundesrats behandelt. Wie Mitterlehner informierte, werden derzeit die Texte in die EU-Amtssprachen übersetzt
und sollen Mitte Juni vorliegen. Im Herbst entscheidet dann der Rat darüber, in weiterer Folge befasst sich
damit das Europäische Parlament. Danach beginnt der Ratifizierungsprozess in den nationalen Parlamenten, zumal
man davon ausgeht, dass es sich um eine sogenanntes gemischtes Abkommen handelt. "Sie entscheiden", rief
Mitterlehner den Abgeordneten zu.
Kogler: CETA ist kleiner böser Bruder von TTIP
Werner Kogler (G) begründete die Themenwahl mit dem Hinweis, dass die Handelsabkommen nun in eine entscheidende
Phase kommen. Für Kogler geht es dabei um die Frage, welche Wirtschaftsphilosophie in Zukunft Platz greift
- darum, wie man Wirtschaft und Handel in Zukunft organisieren will. Er lehnt CETA und TTIP deshalb ab, weil für
ihn beide Texte weniger Handelsabkommen als vielmehr Investitionsabkommen mit Deregulierungsmaßnahmen darstellen,
wobei CETA in seinen Augen nicht so schlecht wie TTIP ist, aber als "kleiner, böser Bruder" bezeichnet
werden kann. Kogler wandte sich daher entschieden gegen eine vorzeitige Anwendung des Abkommens und erinnerte auch
an die Entschließung des Nationalrats von September 2014, die ihm zufolge nur eine Ablehnung des vorliegenden
Textes bedeuten könne. Auch die Landeshauptleute hätten erst kürzlich wieder ihre Ablehnung bekräftigt.
Kogler stellte klar, dass bei den Grünen niemand etwas gegen ein vernünftiges Abkommen habe, er kritisierte
jedoch die mangelnde Transparenz und die Schiedsgerichte. Trotz der Verbesserungen könne er den neuen Investitionsgerichtshöfen
nicht zustimmen, da diese nach wie vor für Großkonzerne einen privilegierten Zugang zum Rechtssystem
ermöglichen und die Unabhängigkeit der RichterInnen nicht gewährleistet sei. Der Grüne Vizeklubchef
befürchtet auch, dass das europäische Vorsorgeprinzip torpediert und die Daseinsvorsorge gefährdet
wird. Die Konsequenz aus all dem kann ihm zufolge daher nur der Abbruch der Verhandlungen zu TTIP und die Ablehnung
von CETA sein.
Mitterlehner drängt auf Versachlichung der Debatte und warnt vor Isolationspolitik
Dieser Darstellung wiedersprach Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner heftig. Wohlstand, Wirtschaftswachstum
und Arbeitsplätze könne man nur absichern, wenn man sich dem internationalen Wettbewerb stellt, sagte
Mitterlehner, der auch im Hinblick auf die beiden Hofburgkandidaten bedauerte, dass es en vogue sei, sich gegen
TTIP und CETA zu stellen. Diese Befindlichkeit beunruhige ihn sehr, so Mitterlehner. Er warnte in diesem Sinne
auch vor einer Isolationspolitik. Ein Land wie Österreich, das auf Export ausgerichtet ist, müsse Handel
betreiben. Dafür brauche es selbstverständlich Regeln.
"Glauben sie wirklich, dass amerikanische und europäische Großkonzerne das Abkommen brauchen",
fragte er in die Runde der Abkommensgegner. Vielmehr seien österreichische Klein- und Mittelbetriebe (KMU)
auf die Marktöffnung angewiesen, denn die Zertifizierungen bei den Exporten kosten derzeit enormes Geld. "Glauben
sie, dass die USA und Kanada ihre Bürger Gefährdungen aussetzen wollen", so der Wirtschaftsminister.
Der Abgasskandal sei nicht in Europa, sondern in den USA aufgedeckt worden, suchte Mitterlehner Verständnis
für das Abkommen. Wichtig sei selbstverständlich, ein gutes Vertragswerk zustande zu bringen, und das
ist ihm zufolge bei CETA auch gelungen. Mitterlehner sprach dabei unter anderem das right-to-regulate an, wonach
jeder Staat seine Standards selbst bestimmen kann; ferner den verbesserten Investitionsschutz, die Einhaltung der
Standards der internationalen Arbeitsorganisation ILO oder die Chance für die KMU bei der öffentlichen
Beschaffung. Was TTIP betrifft, so appellierte er, nicht etwas abzulehnen was man nicht kennt.
Bei SPÖ überwiegt Skepsis
Die Wortmeldungen der SPÖ-RednerInnen machten in der Debatte die unterschiedlichen Meinungen innerhalb
der Koalition deutlich. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder sowie Christine Muttonen (S) und die EU-Abgeordnete
Karoline Graswander-Hainz (S) ließen keinen Zweifel an ihrer skeptischen Haltung aufkommen. Schieder hinterfragte,
ob es angesichts des ohnehin weitgehenden freien Handels nicht sinnvoller wäre, nur die bestehenden Hemmnisse
abzubauen, anstatt ein allumfassendes globales Abkommen abzuschließen. Die SPÖ stelle sich nicht prinzipiell
gegen ein solches Abkommen, es komme darauf an, ob es gelingt, die europäischen hohen Standards hinein zu
verhandeln. Schieder und Muttonen gaben zu bedenken, dass CETA und TTIP tief eingreifen und weder Umweltschutz
noch sozialer Schutz noch Konsumentenschutz noch Rechtsstaat ausgehöhlt werden dürfen. Auch müsse
die Daseinsvorsorge geschützt werden. Das sei bis jetzt noch nicht gelungen, meinten beide, weshalb sich auch
Muttonen derzeit gegen CETA und TTIP aussprach. Beim Investitionsschutz komme man vom Regen in die Traufe, stellte
Muttonen fest, multinationale Unternehmen könnten Österreich mit Millionenklagen überziehen. Sie
wandte sich entschieden gegen eine vorläufige Anwendung des Abkommens, bevor das österreichische Parlament
zugestimmt hat.
Auch Graswander-Hainz (S) vertrat die Auffassung, weder die öffentliche Vorsorge noch hohe Standards seien
derzeit geschützt, der Investorenschutz sei nur für ausländische Unternehmen da. Die Europaparlamentarierin
glaubt nicht, dass noch unter der Obama-Administration TTIP abgeschlossen werden kann, zumal die Verhandlungspositionen
zwischen den USA und der EU weit auseinander liegen. Es habe nicht den Anschein, als hätten die USA vor, ihren
Protektionismus aufzugeben, gab Graswander-Hainz zu bedenken.
ÖVP: Hohe Standards sind nicht verhandelbar
Die ÖVP-Abgeordneten plädierten dafür, die Verhandlungen zu TTIP abzuwarten, und unterstrichen,
auf die Absicherung hoher Standards zu achten. Europa könne sich nicht vor der Globalisierung drücken,
sagte Angelika Winzig (V), man werde die gesetzten Grenzen nicht unterschreiten, bekräftigte sie. Die Konsequenz
könne aber nicht sein, die Verhandlungen abzubrechen. "Wir spielen kein Theater", es gehe darum,
unverhandelbare Punkte klarzustellen, ließ auch Hermann Schultes (V) keinen Zweifel an seiner Position, Österreichische
und EU-Standards in keiner Weise aushöhlen zu wollen. Marktöffnung finde fortlaufend statt, man müsse
ständig um die Anpassung kämpfen, und dabei sei es notwendig, genau zu wissen, was man zu schützen
habe. Für ihn steht fest, dass das Vorsorgeprinzip bleiben muss und weder Hormonfleisch auf heimische Teller
kommen noch gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen in Österreich Platz haben sollen. Sollte all das
nicht klar geregelt sein, werde es keine Zustimmung geben, stellte Schultes fest.
ÖVP-Klubkollege auf europäische Ebene, Othmar Karas (V) warnte vor einer Abschottung. "Wer sich
abschottet, der verliert", warnte er und rief zu einer Versachlichung der Debatte auf. Die Information sollte
dabei im Mittelpunkt stehen. Derzeit sei diese zu wenig faktenbasiert. Wenn wir einen fairen Handel wollen, dann
müssen wir verhandeln sagte er in Richtung jener, die aus den TTIP-Verhandlungen aussteigen wollen. Nur so
könne es gelingen, eine globale Wirtschaft "nach unseren Regeln" zu schaffen.
CETA bezeichneten sowohl Schultes als auch Winzig sowie Karas als ein hervorragendes Abkommen. Sie begrüßten
den neuen Investitionsschutz, das right-to-regulate, die Absicherung der Daseinsvorsorge und die Chancen für
die KMU. Die Bedingungen seien erfüllt, meinten alle drei übereinstimmend.
FPÖ will Volksabstimmung über TTIP
Mit diesem Zugang konnten die wollten sich die Freiheitlichen nicht zufrieden geben. Johannes Hübner, Axel
Kassegger und EU-Mandatar Harald Vilimsky (alle F) sprachen sich vehement dafür aus, TTIP den Bürgerinnen
und Bürgern zur Abstimmung vorzulegen. CETA ist gelaufen, TTIP ist weitgehend ausverhandelt, so Hübner,
nun müsse man Nein zu den vorliegenden Ergebnissen sagen. Kassegger schlug sogar vor, der Bundeskanzler möge
das Verhandlungsmandat an die EU Kommission zurückziehen. Die Abkommen seien ein Werk von Großkonzernen
für Großkonzerne, wodurch letztendlich auch die Parlamente entmachtet werden sollen.
Vilimsky warnte vor allem vor den negativen Auswirkungen für die Landwirtschaft und die Lebensmittelqualität
und Hübner stellte grundsätzlich in Frage, ob man tatsächlich den freien Handel braucht. Es mache
beispielsweise keinen Sinn, Wasser quer durch Europa zu transportieren oder die österreichische Landwirtschaft
in den Wettbewerb mit der Agroindustrie zu schicken. Wesentlich ist seiner Meinung nach die Erhaltung der regionalen
Kreisläufe.
Grüne: Mit TTIP kommen die europäischen Standards unter Druck
Mit ähnlich schweren Geschützen fuhren die Grünen gegen TTIP und CETA vor. TTIP und CETA seien das
beste Beispiel, wie man so etwas nicht macht, meinte EU-Parlamentarier Michel Reimon (G). Mit TTIP würden
keine gemeinsamen Standards geschaffen, erklärte er, sondern nur über die gegenseitige Anerkennung verhandelt.
Das führe dazu, dass man keine Standards mehr erhöhen werde können, denn die damit verbundenen höheren
Kosten mache die Betriebe weniger wettbewerbsfähig. Es drohe zudem die Gefahr, verklagt zu werden, wenn man
nationale Gesetze erlässt. Reimon kritisierte scharf, dass die Europäer für die Öffnung des
europäischen Markts für amerikanische Agrarprodukte die Zulassung schlechter europäischer Finanzmarktprodukte
in den USA abtauschen wollen. Damit sei die Absicht verbunden, den regulierten US-Finanzmarkt wieder zu deregulieren.
Gestärkt werden müsse der faire Handel, so das Plädoyer von Wolfgang Pirkelhuber (G), der wie Klubobfrau
Eva Glawischnig-Piesczek (G) die Aushöhlung sozialer und ökologischer Standards sowie das Abgehen vom
Vorsorgeprinzip befürchtet. Landwirtschaft und Lebensmittel seien eine kulturelle Frage, sagte Glawischnig-Piesczek,
Europa habe in diesem Bereich viel zu verlieren, warnte sie vor einer Entwicklung zu einer agrarindustriellen Landwirtschaft.
Beide Grün-Politiker kritisierten auch die Sonderklagsrechte sowohl in CETA als auch in TTIP und wiesen darauf
hin, dass die USA zahlreiche Tochterunternehmen in Kanada haben. Mit CETA würde daher TTIP durch die Hintertür
eingeführt, CETA sei eine Blaupause für TTIP. Pirkelhuber forderte für eine intensive Diskussion
die Abhaltung einer Parlamentarischen Enquete. Er bezweifelte auch die Vorteile für die Wirtschaft in Europa
und den Arbeitsmarkt, denn in den Studien würde nicht gegengerechnet, wie viel landwirtschaftliche Betriebe
und wie viele KMU aufgeben müssen.
NEOS gegen Populismus und Emotionalisierung
Von der Debatte enttäuscht zeigten sich vor allem die RednerInnen der NEOS. FPÖ und Grünen warf
Josef Schellhorn (N) Populismus vor. Er forderte seine KollegInnen im Plenum auf, sachlich über Inhalte zu
diskutieren und erst dann zu werten, wenn die Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Eine Deeskalation der Debatte verlangte
eindringlich EU-Abgeordnete Angelika Mlinar. Derzeit würde aber bewusst eine Emotionalisierung geschürt,
was die Aggression steigere und einen vernünftigen Austausch der Meinung unmöglich mache. In der Debatte
gehe es um Stimmen und Ideologie, nicht aber um Fakten und Wissen, sagte sie, und das erinnere sie an die unsäglichen
Diskussion vor dem EU-Beitritt.
Freiheitliche und Grüne würden sich anhören, als hätte die EU zu wenig Kraft und Selbstvertrauen,
wobei die EU doch mehr Einwohner und eine höhere Wertschöpfung habe, ergänzte Klubkollege Michael
Pock (N). Er rief auch zu mehr Mut und Visionen auf und meinte in Anspielung an die Zeit nach 1945, die Verzahnung
und Kooperation der westlichen Demokratien habe sich als gut erwiesen. Die weitverbreitete negative Stimmung versteht
Pock als einen klaren Auftrag, mit dem Dialog zu beginnen. Auch Angelika Mlinar, Europaabgeordnete der NEOS, sieht
im freien Handel Vorteile, sofern er auf klaren Vereinbarungen und Regeln basiert. Er steigere Wachstum und Wohlstand,
Österreich profitiere überproportional vom freien Handel, und Länder, die untereinander mit freien
Handel verbunden sind, führten keine Kriege, warb sie für einen positiveren Zugang. Mlinar erwartet sich
in diesem Zusammenhang Ergebnisse, die im Sinne der Bevölkerung liegen. Man dürfe keinesfalls glauben,
in Österreich bleibe ohne TTIP alles, so wie es ist. Schellhorn wies darauf hin, dass die USA auch mit Ländern
im pazifischen Raum verhandeln, und das würde den Druck auf Europa noch mehr erhöhen. Jetzt aber habe
man die Chance, in den Verhandlungen die Standards zu heben, so Schellhorn. Europa hat ein starkes Mandat und das
solle man unterstützen.
Team Stronach: Ablehnung von TTIP wäre wirtschaftlich verkraftbar
Als eine Mogelpackung bezeichnete Ulrike Weigerstorfer seitens des Team Stronach TTIP und CETA und nahm als Beispiel
das Handelsabkommen NAFTA, was zu einem Absinken des Lohnniveaus in Mexiko geführt habe. Gewinner seien die
Großkonzerne gewesen. Weigerstorfer warnte vor den laxeren Bestimmung, was die Pestizide betrifft, und meinte,
die Standards der ILO würden nicht eingehalten. Ähnlich die Warnungen von Leopold Steinbichler (T), der
von der Aggressivität der Märkte sprach und um die regionalen Marken im globalisierten Handel fürchtete.
Er vermisste auch ausreichend Transparenz, da man eigentlich nicht wisse, wo die berühmten roten Linien liegen.
Für das Team Stronach wäre die Ablehnung von TTIP wirtschaftlich verkraftbar.
In die Reihen der Gegner von CETA und TTIP gesellte sich auch die fraktionslose Abgeordnete Susanne Winter. Sie
meinte, freien Handel gebe es bereits, die Zölle zwischen der EU und den USA seien ohnehin gering. CETA und
TTIP bedeuten ihrer Meinung nach ein "Selbstermächtigungsgesetz für Konzerninteressen" und
die Entmachtung der Parlamente. Es würde der Raubtierkapitalismus gewinnen und das Vorsorgeprinzip ginge verloren.
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