Neue Ausstellung im Jüdischen Museum Wien
Wien (stalzer) - Das Jüdische Museum Wien, ein Museum der Wien Holding, präsentiert von 19. Mai bis 17.
November 2016 im Museum Judenplatz die neue Ausstellung „Wiener Synagogen. Ein Memory“. Die Ausstellung rekonstruiert
mittels moderner Computertechnik zerstörte Wiener Synagogen und ermöglicht BesucherInnen so einen Blick
auf das Wien vor 1938.
Ansichten einer fast vergessenen Welt
Vor 1938 gab es in Wien fast einhundert Synagogen und Bethäuser. Sie alle wurden – mit Ausnahme des Stadttempels
in der Seitenstettengasse – im Zuge des Novemberpogroms, den von den Nazis zynisch „Reichskristallnacht“ genannten
Gewaltausbrüchen gegen die Wiener Jüdinnen und Juden, zerstört. In fast jedem Wiener Bezirk standen
damals eine große Synagoge – in der Leopoldstadt sogar fünf – und mehrere Bethäuser, heute ist
jede Spur davon verwischt.
Die Synagogen entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem Kaiser Franz Joseph I. den Jüdinnen und Juden
die Gründung einer Gemeinde gewährte und damit auch den Bau von im Stadtbild sichtbaren Gotteshäusern
gestattete, was zuvor über Jahrhunderte nicht möglich war. Die großen Wiener Synagogen bestachen
mit ihrer beeindruckenden stilistischen Vielfalt. Die Ausstellung „Wiener Synagogen. Ein Memory“ bietet die Möglichkeit,
die zerstörten Wiener Synagogen virtuell wieder zu besuchen. In Zusammenarbeit mit Univ.-Prof. Dr. Bob Martens
von der Technischen Universität Wien und dem Architekten Herbert Peter zeigt das Jüdische Museum Wien
innovative virtuelle Rekonstruktionen, Modelle und viele Ansichten dieser ausgelöschten Wiener Sakralbauten,
die heute zumeist durch Wohnbauten ersetzt sind. Die Ausstellung erlaubt den BesucherInnen damit einen Blick auf
das Wien vor 1938 und rückt die zerstörten Synagogen mit ihren räumlichen Wirkungen und städtebaulichen
Dimensionen wieder ins Bewusstsein.
Zur Geschichte der Wiener Synagogen
Seit mehr als 800 Jahren sind Synagogen in Wien urkundlich belegt. Fundstücke, die einen großen
Teil der permanenten Ausstellung im Museum Judenplatz ausmachen, bezeugen, dass es schon im Mittelalter eine lebendige
jüdische Gemeinde in Wien gab. Diese wurde 1420/21 gewaltsam aufgelöst und deren Synagoge abgetragen,
ihre Steine für einen Neubau der Wiener Universität verwendet. Die Fundamente der mittelalterlichen Synagoge
sind heute im Museum Judenplatz zu besichtigen. Erst wieder um 1600 konnte eine neue jüdische Gemeinde entstehen,
die 1625 in das Getto im Unteren Werd ziehen musste. Hier, hinter den Gettomauern entstanden drei Synagogen, die
auch von außen als solche erkennbar sein durften. Als die Jüdinnen und Juden bereits 1670 wieder vertrieben
wurden, wurde die Synagoge in eine Kirche umgebaut. Nach dem Namenspatron des Kaisers, der die Jüdinnen und
Juden vertrieben hatte, wurde sie Leopoldskirche genannt.
Erst 1810, fast dreißig Jahre nach dem Toleranzpatent, konnten die Wiener Jüdinnen und Juden in der
heutigen Seitenstettengasse im so genannten Dempfingerhof ein Bethaus errichten, das allerdings bald zu klein sein
sollte. Dem Bau des an derselben Stelle geplanten und sich noch heute dort befindlichen Stadttempels stimmte Kaiser
Franz I. nur unter der Bedingung zu, dass das Gotteshaus nicht von außen als solches erkennbar wäre.
Auch als Kaiser Franz Joseph I. den Jüdinnen und Juden 1852 endlich die Gründung einer jüdischen
Gemeinde erlaubte und damit Synagogen auch eine entsprechende Fassade haben durften, musste sich der Platz im Wiener
Stadtbild erst erkämpft werden. Die christliche Wiener Mehrheitsgesellschaft wollte durch die Synagogen keine
optische Konkurrenz zu den katholischen Kirchen in der Stadt. Mit dem Staatsgrundgesetz 1867 und der Bewegungs-
und Aufenthaltsfreiheit erreichten immer mehr jüdische ZuwandererInnen die Haupt- und Residenzstadt. Der Bedarf
an Gotteshäusern wuchs stetig.
Nach Plänen des Stararchitekten Ludwig Förster entstand zwischen 1854 und 1858 die Zentralsynagoge in
der heutigen Tempelgasse mit heute unvorstellbaren 2.240 Sitz- und 1.500 Stehplätzen. Kontinuierlich entstanden
nun Synagogen und Bethäuser – von repräsentativen Bauten über ganz schlichte Gebäude bis hin
zu kaum sichtbaren Räumlichkeiten in verschiedenen Wiener Bezirken. Die teilweise berühmten ausführenden
Architekten ermöglichten eine große stilistische Vielfalt: Wilhelm Stiassny, Hugo von Wiedenfeld, Ludwig
Tischler, Andreas Streit, Johann Schäffer, Max Fleischer, Jakob Gartner, Ignaz N. Reiser sind nur einige der
Namen von Architekten, die maßgeblich an der Errichtung der sakralen Gebäude in Wien beteiligt waren.
Die Wiener Architekten waren auch in Böhmen, Mähren und Ungarn in viele Synagogenprojekte involviert.
In nur einer Nacht waren die Wiener Synagogen Geschichte – vom 9. auf den 10. November 1938 setzten die Nazis die
Synagogen in Brand und machten diese damit dem Erdboden gleich.
Virtuelle Rekonstruktion und Gegenwart
Während die Wiener Synagogen aus dem Stadtbild gelöscht wurden, blieben die Planunterlagen, mit denen
die Architekten ihre Projekte einreichten, zum Großteil erhalten. Die Einreichpläne dienten als Basis
eines Projekts, an dem Bob Martens, Professor an der Technischen Universität Wien, und Architekt Herbert Peter
nun seit über fünfzehn Jahren arbeiten. Ziel ihrer Unternehmung ist es, die zerstörten Synagogen
in Wien, in den österreichischen Bundesländern und in der ehemaligen k. u. k.-Monarchie wieder virtuell
begehbar zu machen. Unterstützt wurden sie bei ihrem Rekonstruktionsprojekt von ihren DiplomstudentInnen.
Zahlreichen Ansichtskarten, zeitgenössischen Darstellungen, Pläne, Modelle, Dokumentationen wie das Brandbuch
der Wiener Feuerwehr vom November 1938 und insbesondere die virtuellen, computergestützten Rekonstruktionen,
dienen dazu, sich die räumliche Wirkung dieser zerstörten Wiener Bauwerke vorzustellen. Die zerstörten
Synagogen werden in Form eines dreidimensionalen Computermodells nachgebaut. Das virtuelle Rekonstruieren ist durchaus
mit archäologischen Tätigkeiten vergleichbar: Auch hier ist jedes neue Rekonstruktionsprojekt eine neue
Suche nach einer unerfüllbaren Vollständigkeit von Informationen in Plänen, Fotografien, Skizzen
und sonstigen Dokumenten. Computergestützte Darstellungsformen können die zerstörten Wiener Synagogen
nicht wiederherstellen. Sie können jedoch helfen, sich ausgelöschte Gebäude und Räume in ihren
Dimensionen und in ihrer einstigen Wirkung vorzustellen.
Auf den meisten Grundstücken, an denen einst Synagogen standen, befinden sich heute vor allem Gemeinde- und
Genossenschaftsbauten der 1950er und 1960er Jahre. Auf den ersten Blick erinnert nichts an die eindrucksvollen
Sakralbauten – lediglich kleine Gedenktafeln weisen an fast allen Standorten auf die düstere Geschichte hin.
Einzig der Wiener Stadttempel ist bis heute erhalten geblieben, was er vermutlich nur der Tatsache verdankt, dass
ein Brand dieser Synagoge ein großes Feuer im Zentrum von Wien verursacht hätte. Der Stadttempel ist
nach wie vor spiritueller Mittelpunkt der Wiener jüdischen Gemeinde.
Zu der von Danielle Spera und Werner Hanak-Lettner gemeinsam mit dem Architektenteam Bob Martens und Herbert Peter
kuratierten Ausstellung erscheint ein zweisprachiger Katalog (ISBN-Nr. 978-3-99300-266-4) im Metroverlag zum Preis
von EUR 24, der ab sofort im Bookshop des Museums und im Buchhandel erhältlich ist. Außerdem gibt es
ein Memo zum Preis von EUR 12. Im Kombipreis erhalten Sie Katalog und Memo um EUR 30. Die Ausstellung „Wiener Synagogen.
Ein Memory“ ist von 19. Mai bis 17. November 2016 im Museum Judenplatz, einem Museum der Wien Holding, zu sehen.
|