Kurz für Kooperation mit der Türkei,
 aber nicht um jeden Preis

 

erstellt am
02. 06. 16
11:00 MEZ

Aktuelle Aussprache im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats
Wien (pk) – Außenminister Sebastian Kurz sprach sich am 01.06. im Außenpolitischen Ausschuss dafür aus, die Anstrengungen der EU zum Schutz ihrer Außengrenzen zu verstärken, vor allem was die Seegrenze zur Türkei betrifft. Die Kooperation mit der Türkei sei wichtig und er stehe nach wie vor hinter der Vereinbarung, sagte er. Die EU dürfe sich aber nicht auf diese Kooperation verlassen und sich damit erpressbar machen. Eine Kooperation um jeden Preis sei abzulehnen, man dürfe nicht über Menschenrechtsverletzungen hinwegsehen.

Kurz berichtete, dass er in zahlreichen Kontakten mit offiziellen türkischen Vertretern immer wieder problematische Punkte wie die Aufhebung der Immunität türkischer Abgeordneter angesprochen habe, die Reaktion sei aber "relativ ernüchternd" gewesen. Sanktionen gegen die Türkei stehen laut Kurz derzeit allerdings nicht im Raum, weder er noch einer seiner EU-Amtskollegen habe einen solchen Schritt vorgeschlagen. Der Minister begrüßte aber, dass Brüssel zuletzt seine Reaktionen gegenüber der Türkei wieder verschärft habe. Zuvor hatte etwa Peter Pilz (G) ein Waffenembargo Österreichs ins Spiel gebracht.

Weitere Themen der Aussprache mit den Mitgliedern des Außenpolitischen Ausschusses waren der Besuch von Kurz in Israel, die Lage in der Ukraine und die bevorstehende Wahl des neuen UN-Generalsekretärs. Zur aktuellen Diskussion in Österreich über die Asylwerber-Obergrenze merkte der Minister an, er sei selbst "ein Stück überrascht über die Diskussion" und könne nicht sagen, wie das mit der Zählung weitergehe. Das müsse innerhalb der Regierung geklärt werden. Die vereinbarte Obergrenze von 37.500 sei für ihn jedenfalls eine sehr hohe. Was immer wieder aufgetretene Unstimmigkeiten mit Ungarn betrifft, meinte Kurz, er bemühe sich, einen Beitrag zum Abrüsten der Worte zu leisten.

In Bezug auf die Flüchtlingssituation bekräftigte Kurz, die Schließung der Westbalkanroute habe dazu beigetragen, dass sich viel weniger Menschen auf den Weg nach Europa machten. Er ist auch überzeugt, dass es möglich ist, die Seegrenzen der EU zu schützen. Man müsse die Bootsflüchtlinge retten, allerdings solle nicht jeder, der gerettet wird, weitertransportiert werden. Schließlich sei es leichter, die Flüchtlinge von einer Insel wie Lesbos in ihre Heimatländer zurückzuführen als etwa von Berlin, so Kurz.

Der Außenminister sprach sich in diesem Zusammenhang auch dafür aus, die Druckmittel auf die Herkunftsländer von Flüchtlingen zu erhöhen, um die Rückübernahme von Flüchtlingen im Falle einer Abschiebung sicherzustellen. Ausdrücklich bekannte er sich dabei auch dazu, mit einer Kürzung von Entwicklungshilfegeldern zu drohen. Die betreffenden Länder hätten ein starkes Interesse an möglichst großen Communities im Ausland, da diese ein enormer wirtschaftlicher Faktor für sie sind, daher braucht es seiner Meinung nach eine "Drohkulisse", um eine Haltungsänderung zu bewirken.

Schlechte Stimmung in Israel gegenüber Europa
Sein Besuch in Israel ist laut Kurz gut verlaufen, er wies aber darauf hin, dass die Stimmung in Israel gegenüber Europa, sowohl in der Regierung als auch in der Bevölkerung, eine sehr negative sei. Die Israelis fühlten sich allein gelassen, die Frustation sei bereits sehr groß. Europa müsse aufpassen, dass sich diese Entwicklung nicht fortsetze, es müsse in den Kontakten mit Israel auch andere Themen als die israelische Siedlungspolitik geben. Die Situation hinsichtlich der Friedensbemühungen wertete Kurz als schwierig, sowohl er als auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder glauben, dass die jüngste Regierungsumbildung die Chancen auf die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung weiter verschlechtert hat.

Wenig positiv beurteilte Kurz auch die Lage in der Ukraine. Der Waffenstillstand sei weiter sehr brüchig, die Umsetzung des Minsker Abkommens mache keine Fortschritte. Vielleicht könnte man Dynamik in den Prozess bringen, wenn man Zug um Zug die Sanktionen aufhebe, meinte Kurz, stimmte NEOS-Abgeordnetem Chrisoph Vavrik aber zu, dass eine solche Vorgangsweise auch Gefahren berge.

Wahl der UNO-Spitze: Kurz sieht wenig Einflussmöglichkeit Österreichs
Wenig Einflussmöglichkeiten Österreichs sieht Kurz bei der Wahl des neuen UN-Generalsekretärs bzw. der neuen UN-Generalsekretärin. Österreich sei in einer Gruppe von Ländern, der es darum gehe, die Transparenz des Bestellungsprocederes zu erhöhen, allerdings lasse sich dieses für die kommende Wahl nicht mehr ändern. Grundsätzlich würde es Kurz als positives Signal sehen, wenn erstmals eine Frau an der Spitze der UNO stehe und jemand aus Osteuropa.

Die Beiträge Österreichs zum World-Food-Program bezifferte Kurz gegenüber Grün-Abgeordnetem Pilz mit 5,7 Mio. € 2015 und bisher 1,6 Mio. € im Jahr 2016. Was die Abstimmung in Großbritannien über einen EU-Austritt betrifft, ortet er ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Abgeordnete besorgt über Lage in der Türkei
Besorgt über die Lage in de Türkei äußerten sich auch zahlreiche Abgeordnete. Vor allem die Aufhebung der Immunität türkischer Abgeordneter stieß auf breiten Unmut. Grün-Abgeordnete Alev Korun ist überzeugt, dass dieser Schritt gesetzt wurde, um die Kurdenpartei HDP zu zerschlagen und der Regierungspartei die verfassungsgebende Mehrheit im Parlament zu sichern. Wenn man Minderheiten die Chance nehme, ihre Probleme politisch zu lösen, steige die Gefahr eines Bürgerkriegs, hielt ihre Fraktionskollegin Aygül Berivan Aslan fest. FPÖ-Abgeordneter Andreas Karlsböck und Grün-Abgeordneter Peter Pilz brachten das Thema Sanktionen ins Spiel. Nach Meinung von Karlsböck wird gegenüber Russland und der Türkei mit zweierlei Maß gemessen. Ausschussvorsitzender Josef Cap (S) betonte, man müsse alle Maßnahmen setzen, um nicht einseitig von der Türkei abhängig zu sein.

Unterschiedliche Einschätzungen gab es in Bezug auf die Sicherung der Seegrenze zwischen Griechenland und der Türkei. So ist sich FPÖ-Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch sicher, dass ein Schutz der Grenze möglich ist, wenn man wolle. Für ihn ist es vollkommen unglaubwürdig, dass es nicht gelingt, zwischen den NATO-Ländern Türkei und Griechenland ein Abkommen zu schließen. Solange es die EU nicht schaffe, ihre Grenzen zur Türkei zu sichern, solange bleibe man erpressbar, mahnte er. Bösch sprach sich zudem für eine konsequente Rückführung der im Mittelmehr geretteten Flüchtlinge auf den afrikanischen Kontinent aus.

NEOS-Abgeordneter Christoph Vavrik äußerte hingegen Zweifel, ob es zum Flüchtlingsabkommen mit der Türkei tatsächlich eine Alternative gibt. Beim Besuch einer österreichsichen Parlamentarierdelegation in Griechenland hätten die Vertreter vor Ort ziemlich einhellig die Meinung vertreten, dass die Seegrenze nur dann effizient geschützt werden könne, wenn beide Seiten kooperieren. Ein einseitiger Schutz wäre technisch nicht möglich.

Seitens des Team Stronach sprach sich Christoph Hagen einmal mehr für eine rasche Ausweisung illegal in Österreich aufhältiger bzw. straffällig gewordener Fremder aus. Sowohl er als auch Abgeordneter Karlsböck kritisierten außerdem "deplatzierte" Äußerungen über die Flüchtlingspolitik Ungarns. Massive Kritik übte Karlsböck auch an der Ernennung von Muna Duzdar zur Staatsekretärin, er hält sie aufgrund ihrer Tätigkeit in der Österreichisch-Palästinensischen Gesellschaft für untragbar.

Grün-Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill lehnte eine Verknüpfung zwischen der Auszahlung von Entwicklungshilfegeldern und der Kooperationsbereitschaft der Länder zur Rückübernahme von Flüchtlingen ab. Neben ihr sprachen außerdem die Abgeordneten Gisela Wurm (S), Petra Bayr (S) und Christoph Vavrik (N) die bevorstehende Wahl des neuen UN-Generalsekretärs an.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
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