Heftige Debatte über Reform und Wirksamkeit des Finanzausgleichs im Rechnungshofausschuss
des Parlaments
Wien (pk) - Einfacher, transparenter und aufgabenorientierter soll der Finanzausgleich mit 1.1.2017 sein,
wenn es nach den aktuellen Konzepten vom Finanzministerium zur geplanten Reform des Finanzausgleichs geht, wie
Minister Hans Jörg Schelling am 01.06. im Rechnungshofausschuss des Parlaments erklärte. Weitere Punkte,
die mit den Ländern und Gemeinden in Diskussion stehen, betreffen die Steigerung der Abgabenautonomie der
Kommunen sowie die Transfers. Nach Vorstellung des Finanzministers sollten die Mittel im neuen Finanzausgleich
direkt dort hinfließen, wo sie gebraucht werden und nicht den Umweg über die Länder nehmen. Geklärt
will Schelling außerdem die Frage nach Aufgabenverantwortlichkeiten wissen. Grundsätzlich machte er
klar, dass eine Reform des Finanzausgleichs eine Bundesstaatsreform nicht ersetzen könne, in der die Kompetenzen
nach dem Subsidiaritätsprinzip zwischen Bund, Ländern und Gemeinden diskutiert werden.
Sollten die Finanzausgleichsverhandlungen scheitern, will Schelling ein eigenes Papier von Seiten des Finanzministerium
ausarbeiten, das den Ländern und Gemeinden und der Öffentlichkeit übermittelt wird. Das nächste
wegweisende Finanzausgleichstreffen wird nächsten Montag, dem 6.6.2016, stattfinden, dann werden die am Tisch
liegenden Vorschläge des Finanzministeriums mit den Ländern diskutiert. Man werde sehen, wo und ob es
Zustimmung gibt, sagte der Minister. Schelling rechnet im August mit den notwenigen Eckpfeilern im neuen Finanzausgleich,
der Anfang nächsten Jahres in Kraft treten soll.
Schwere Rechnungshofkritik am aktuellen Finanzausgleich
Anlass für den Einblick, den Schelling in die laufenden Finanzausgleichsverhandlungen gab, bot ein vom Ausschuss
letztlich einstimmig akzeptierter Bericht des Rechnungshofs zum Finanzzeitraum 2008 bis 2013 ( III-249 d.B.) samt
Fallbeispielen aus Niederösterreich und der Steiermark über zentrale Berechnungskriterien der Gemeindefinanzierung,
nämlich den abgestuften Bevölkerungsschlüssel und die Bedarfszuweisungen. Den abgestuften Bevölkerungsschlüssel
verwendet der Bund, um den Anteil der Gemeinden am gemeinsamen Steuerertrag (2013: 7,71 Mrd. €) auf alle Gemeinden
aufzuteilen. Mit Bedarfszuweisungen (2013: 1,12 Mrd. €) versuchen die Länder, einen Ausgleich für finanziell
notleidende Kommunen zu schaffen. Seine Kritik am abgestuften Bevölkerungsschlüssel begründet der
Rechnungshof mit dem Hinweis auf ein historisch gewachsenes System, dem der Bezug zu aktuellen Entwicklungen fehlt.
Die Bedarfszuweisungen, die nach der Finanzkraft der Gemeinden errechnet werden, ohne Ausgabenstruktur und Einsparungspotentiale
zu berücksichtigen, verschieben die Pro-Kopf-Finanzkraft von großen zu kleinen Gemeinden, ohne dass
diese Wirkung als Ziel ausgewiesen wäre, stellen die RH-PrüferInnen kritisch fest und empfehlen, diese
Zahlungen zu evaluieren und für eine einheitliche und transparente Aufteilung von Bedarfszuweisungen an Gemeinden
samt Festlegung von Wirkungszielen zu sorgen. Die unterschiedlichen Anforderungen der Gemeinden sowie Finanzkraft
und Finanzkraft–Kopfquote sollten nach einheitlichen Methoden ermittelt werden. Zur Vereinfachung der Verwaltung
empfiehlt der Rechnungshof, Bedarfszuweisungen in den Finanzausgleich einzubeziehen und das Bedarfszuweisungsgesetz
außer Kraft zu setzen.
Moser: Enormer Reformbedarf in Richtung Aufgabenorientierung
Die Aufteilung des unmittelbaren Anteils der Gemeinden am gemeinsamen Steuerertrag Österreichs erfolgt nach
der Bevölkerungszahl der Kommunen und nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel, der für große
Gemeinden mehr Ertragsanteile pro Einwohner als für kleine vorsieht. Auch Fixschlüssel wie der Getränkesteuerausgleich
sind historisch begründet, wahren vergangenen Besitzstand, berücksichtigen aktuelle Entwicklungen aber
nicht ausreichend, lautet die Kritik von Rechnungshofpräsident Josef Moser. Er empfiehlt ein klares strategisches
Konzept für den abgestuften Bevölkerungsschlüssel, das Aufgaben und Leistungen der Gemeinden berücksichtigt
und Kriterien für den Ausgleich regionaler Unterschiede enthält.
Der Prüfbericht zeigt, dass bisherige Änderungen beim abgestuften Bevölkerungsschlüssel kleineren
Gemeinden mit weniger als 9.000 EinwohnerInnen nutzten. 2013 machten die Ertragsanteile pro Kopf außerhalb
Wiens im Durchschnitt 871 € aus, lagen in 2.106 oder 89,5 % aller Gemeinden, wo zwei Drittel der Bevölkerung
Österreichs lebten, unter diesem Betrag, während 22 Gemeinden mehr als 1.157 € pro EinwohnerIn erhielten.
Die komplizierte Berechnung der Gemeindeertragsanteile in den Ländern macht deren Zuteilung im Einzelnen fehleranfällig
und schwer nachvollziehbar, wie Moser kritisierte. Berechnungs- und Zuteilungsfehler belegen die Rechnungshofprüfer
in den Jahre zwischen 2009 und 2013 in fünf von acht Bundesländern sowie Fehler bei der Verbuchung der
Gemeindeertragsanteile in vier Ländern. Diese Fehler haben negative Folgen für die Aussagekraft von Rechnungsabschlüssen,
Statistiken und Finanzplanungen. "Es existiert enormer Reformbedarf, wenn fünf von acht Ländern
nicht mehr in der Lage sind, ihre Rechnung richtig zu machen", gab Moser im Ausschuss zu bedenken. So wie
Schelling sieht auch er die Notwendigkeit, den Finanzausgleich aufgabenbezogener auszurichten und die Mittel direkt
an die Kommunen auszuzahlen. In Sachen Aufgabenautonomie ist aus seiner Sicht Vorsicht geboten, zuerst müsse
man über Verantwortlichkeiten reden. "Wir haben Probleme bei den Ausgaben, nicht bei den Einnahmen",
so Moser. Der Finanzminister tritt wiederum für eine vernünftige, koordinierte Abgabenautonomie ein,
die nicht, wie etwa in der Schweiz, zu einem ruinösen Steuerwettbewerb führt.
Zum Prüfbericht des Rechnungshofs meinte Schelling, dass die Reform des Finanzausgleichs für ihn außer
Diskussion steht. Die Rechnungshofempfehlungen hält er deswegen für richtig, merkte aber auch an, dass
der größte Teil davon die Länder betrifft. Als intransparent bewertet ähnlich wie der Rechnungshof
auch Schelling die Transfers zwischen den Ländern und Gemeinden. Es gebe nicht nur Verwerfungen im Finanzausgleich
aufgrund von Verteilungsschlüsseln, sondern auch aufgrund von Verwerfungen durch Transfers. Dennoch wird der
abgestufte Bevölkerungsschlüssel nach Ansicht Schellings nicht zu 100% durch eine aufgabenorientierte
Ausrichtung ersetzbar sein, weil regionale Gesichtspunkte bedacht werden müssten. Für die Reform des
Finanzausgleichs gilt für Schelling primär der Grundsatz, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
in eine Hand zu bekommen.
Geht es um die Transparenzdatenbank, gibt es in zwei Bereichen – nämlich Energie und Umwelt – die Zusage der
Länder, Daten zu liefern. Prinzipiell gehe es darum, Mehrfachförderungen zu verhindern und die Wirkung
von Förderungen zu gewährleisten.
Rechnungshofausschuss unterstreicht Notwendigkeit von Reformen
Die Abgeordneten aller Fraktionen bestätigten im Rechnungshofausschuss die Notwendigkeit von Reformen im Finanzausgleich.
Claudia Gamon von den NEOS appellierte, dessen grundsätzliche Logik neu zu überdenken und sprach sich
wie Hermann Gahr (V) und Bruno Rossmann (G) für eine aufgabenorientiertere Mittelaufteilung aus.
Für Gahr (V) ist der aktuell gültige Finanzausgleich "an Komplexität nicht zu überbieten",
Elmar Mayer (S) sprach den hohen Verwaltungsaufwand an. "Da gehört entstaubt", meinte er. Es gehe
um die Verteilung des wirklich großen Kuchens, brachte Gerald Hauser von den Freiheitlichen die Brisanz des
Themas pointiert auf den Punkt. Hauser sprach zudem die finanziell schwierige Lage kleiner Gemeinden an, die am
Land unter zu wenig Geld stöhnen würden. In Wien würden pro Kopf viermal so viele Mittel aus dem
Finanzausgleich überwiesen wie auf dem Land, obwohl der ländliche Raum immer mehr öffentliche Aufgaben
zu erfüllen hätte, bemängelte er. Rossmann kritisierte, dass in den letzten Jahren zu wenig passiert
sei. Für ihn müssen die geplanten Reformen darin bestehen, Ziele klar zu formulieren, die Komplexität
zu reduzieren, den Finanzausgleich aufgabenorientierter auszurichten sowie die Einnahmen- und Ausgabenverantwortung
zusammenzuziehen. Zudem braucht es aus seiner Sicht eine neue Verhandlungs- und Gesprächskultur zwischen Bund,
Ländern und Gemeinden. Dem Vorschlag seiner Grünen Fraktionskollegin Gabriela Moser, im Herbst eine gemeinsame
Sitzung des Budget- und Rechnungshofausschusses mit FinanzausgleichsverhandlerInnen aus den Ländern im Parlament
abzuhalten, wurde prinzipiell positiv begegnet.
Bedarfszuweisungen und intransparente Zahlungsströme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
Im zweiten Teil der Ausschussdebatte über die Reform des Finanzausgleichs konzentrierten sich Abgeordnete,
Finanzminister und Rechnungshofpräsident auf die Bedarfszuweisungen und damit auf jene Mittel, die Länder
an Gemeinden in finanziellen Notlagen verteilen. Diese Bedarfszuweisungen verändern die durchschnittliche
Finanzkraft pro Gemeinde-BewohnerIn wesentlich, zeigen Erhebungen in den Jahren 2008 bis 2013: In Gemeinden mit
weniger als 500 EinwohnerInnen nahm sie in Niederösterreich um 481 € (Steiermark: +389 €) pro Kopf, in Gemeinden
mit mehr als 10.000 EinwohnerInnen aber nur um 50 € (Steiermark +73 €) zu, während Kleinstgemeinden durch
Bedarfszuweisungen die durchschnittliche Finanzkraft von Gemeinden mit mehr als 10.000 EinwohnerInnen erreichten.
Kleinstgemeinden werden durch teilweise Abdeckung von Abgängen und Investitionen begünstigt, stellt der
Rechnungshof fest und rät, die erwünschten Verteilungswirkungen von Bedarfszuweisungen festzulegen.
Die finanziellen Dimensionen der Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden machen die Zahlen
des Jahres 2013 deutlich: Im Rahmen des Finanzausgleichs flossen 21,987 Mrd. € an die Länder und 9,172 Mrd.
€ an die Gemeinden. Darüber hinaus wuchs die Bedeutung von Zahlungen des Bundes an die Länder außerhalb
des Finanzausgleichs, die von 2008 bis 2013 mit 26,7% stärker zunahmen als die im Finanzausgleich verteilten
Mittel (+17,5%). Rechnungshofpräsident Josef Moser und Finanzminister Hans Jörg Schelling plädierten
an dieser Stelle für eine grundlegende Neuausrichtung des Finanzausgleichs durch Einbeziehung aller Finanzierungsregelungen
zwischen den Gebietskörperschaften, um eine konsistente finanzielle Steuerung der Finanzströme zu gewährleisten.
Im Einzelnen empfiehlt der Rechnungshof, den Finanzausgleich zu vereinfachen und Sonderregelungen zu beseitigen,
etwa durch Einbeziehung von Werbeabgabe und Spielbankabgabe in einen einheitlichen Aufteilungsschlüssel. Um
die Transparenz zu verbessern, sollte auch die Umsatzsteuer einfacher aufgeteilt werden. Der Rechnungshof plädiert
auch für eine Evaluierung der Bedarfszuweisungen und ihrer Zielsetzungen im Finanz-Verfassungsgesetz sowie
für eine einheitliche und transparente Aufteilung von Bedarfszuweisungen an Gemeinden. Die Zuweisungen sollten
weniger stark von der Finanzkraft abhängen und deren Steuerungs– und Verteilungsziele festgelegt werden. Die
Anforderungen der Gemeinden sowie Finanzkraft und Finanzkraft–Kopfquote sollten bundesweit mit möglichst geringem
Verwaltungsaufwand ermittelt werden.
In der Debatte problematisierten Claudia Gamon (N) und Bruno Rossmann (G) Bedarfszuweisungen prinzipiell, weil
diese den Bundesländern die Möglichkeit bieten, sich gegenüber den Gemeinden "als Wohltäter
aufzuspielen". Rossmann (G) vermisste ausreichende Richtlinien für die Verteilung des "Körberlgelds"
der Landeshauptleute und drängte darauf, Richtlinien – so welche bestehen - einzuhalten.
Johann Singer (V) bekannte sich zum Paradigmenwechsel hin zur Aufgabenorientierung im Finanzausgleich. Dies bedeute
aber, das gesamte System neu aufsetzen zu müssen. Von einer Abschaffung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels
befürchtete der Bürgermeister finanzielle Verschlechterungen für kleine Gemeinden. Bedarfszuweisungen
erfolgen nach der Finanzkraft der Gemeinden, bestätigte Singer und machte darauf aufmerksam, dass die Gemeinden
in für sie unvorhergesehenen Situationen Geldmittel brauchen. Das System sei im einzelnen transparenter als
es die Diskussion darüber erscheinen lasse, sagte Singer.
Marianne Gusenbauer-Jäger (S) hielt einen hohen pro Kopf-Anteil kleiner Gemeinden an den Gemeindemitteln "nicht
für ungerecht" und plädierte nachdrücklich dafür, den Kommunen die Mittel zu geben, die
sie brauchen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Beim neuen Finanzausgleich will Gusenbauer auch darauf achten,
dass für alle BürgerInnen gleiche Lebensbedingungen gewahrt bleiben – egal ob sie in kleinen oder großen
Gemeinden leben.
Gerald Hauser (F) erklärte Bedarfszuweisungen mit der Notwendigkeit, einen unzulänglichen Finanzausgleich
zu korrigieren. Sein Vorschlag lautete, den Gemeinden zugleich Aufgaben und die für deren Erfüllung notwendigen
Finanzierungsmittel zuzuweisen.
Johann Hell (S) warf zum Thema Transparenz ein, dass Bedarfszuweisungen in Niederösterreich nach festgelegten
Schwerpunkten verteilt werden.
Erwin Preiner (S) plädierte dafür, Verantwortlichkeiten bei der Erfüllung und bei der Finanzierung
der Aufgaben zusammenzuführen und unterstrich die Notwendigkeit, kleinen Gemeinden in strukturschwachen Regionen
die Möglichkeit zu geben, ihre von Jahr zu Jahr zunehmenden Aufgaben zu erfüllen. Preiner schlug vor,
im Sinne der Gerechtigkeit für die GemeindebürgerInnen Basisfinanzierung und Aufgabenorientierung zu
kombinieren.
Schelling für Aufgabenkritik als Voraussetzung einer Reform
Eine Reform des Finanzausgleichs setzt auch eine Aufgabenkritik voraus, sagte Finanzminister Hans Jörg Schelling,
der dafür plädierte, Beharrungstendenzen zu überwinden, etwa bei der Erhaltung von Kleinstschulen.
Zudem setzt der Finanzminister auf interkommunale Zusammenarbeit, wie sie bei Müll und Abwasser bereits funktioniere
und erwartet sich von einem aufgabenorientierten Finanzausgleich auch ein insgesamt einfacheres System. Grundsätzlich
spricht sich Schelling gegen Symptomkuren und für die Umsetzung von Rechnungshofempfehlungen aus.
Beim Thema Fixschlüssel machte RH-Präsident Josef Moser auf den hohen Verwaltungsaufwand aufmerksam und
forderte mehr Transparenz für die Gemeinden, die wegen einer unübersichtlichen Datenlage oft nicht wüssten,
wieviel Geld ihnen im Einzelnen zusteht. Wichtig war dem Rechnungshofpräsidenten die Beobachtung, dass die
Finanzkraft der Gemeinden - Grundlage für die Berechnung der Bedarfszuweisungen - von Bundesland zu Bundesland
unterschiedlich bewertet werden. Daran knüpfte Moser die Empfehlung einer einheitlichen Ermittlungsmethode.
Außerdem sollten die Struktur der Ausgaben und mögliche Einsparungspotentiale der jeweiligen Gemeinde
berücksichtigt werden.
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