Molekulare Grundlagen bereits 600 Millionen Jahre alt
Wien (universität) - Damit Zellen in unserem Körper "wissen", wo sie hingehören
und was sie werden sollen, werden früh in der Embryonalentwicklung zwei Körperachsen angelegt. Ein so
genannter "Organisator" ist für diese Achsenbildung verantwortlich. In einer aktuellen Publikation
im Fachjournal "Nature Communications" haben der Entwicklungsbiologe Ulrich Technau und Grigory Genikhovich
von der Universität Wien und sein Team herausgefunden, dass die molekularen Grundlagen dieses Organisators
sehr viel älter sind als angenommen und keineswegs eine "Erfindung" der Wirbeltiere: Diese Signalmoleküle
entwickelten sich bereits vor 600 Millionen Jahren in den gemeinsamen Vorfahren von Wirbeltieren und Seeanemonen.
Beim Menschen und bei Tieren ist die korrekte Position von Organen, Gewebe und Gliedmaßen von essentieller
Bedeutung. Diese Lage wird üblicherweise durch zwei Körperachsen (Vorder-Hinterende und Rücken-Bauch-Achse)
bestimmt, die ein Koordinatensystem aufbauen und damit jeder Zelle eine präzise Adresse zuweisen. So ist beispielsweise
das zentrale Nervensystem aller Wirbeltiere am Rücken lokalisiert, während der Magen-Darmtrakt auf der
Bauchseite angelegt ist.
Bei Wirbeltieren gibt es in der frühen Embryogenese einen "Organisator" im Bereich des Urmundes
(Blastoporus), der für die Achsenbildung des gesamten Organismus verantwortlich ist. Die Entdeckung dieses
Organisators wurde bereits 1935 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Das Organisator-Gewebe instruiert alle umliegenden
Zellen am Aufbau der Körperachsen teilzunehmen und zwingt ihnen gewissermaßen ihr Schicksal auf. Ohne
ihn wüsste der Embryo nicht, wo der Kopf und Schwanz bzw. wo Rücken und Bauch sein sollen. Fehler in
diesem frühen embryonalen Stadium können zu schweren Missbildungen wie siamesischen Zwillingen führen.
In den letzten 25 Jahren haben ForscherInnen die genetische Grundlage dieses besonderen Teils des Embryos bei Wirbeltieren
weitgehend entschlüsselt. Gängige Lehrmeinung war, dass der Organisator ausschließlich bei Wirbeltieren
vorkommt, da er sich bei Insekten oder Würmern nicht ohne weiteres finden lässt.
Die Arbeitsgruppe um Grigory Genikhovich und Ulrich Technau vom Department für Molekulare Evolution und Entwicklung
der Universität Wien konnte nun zeigen, dass nicht nur das Prinzip des Organisators, sondern auch seine molekulare
Grundlage sehr viel älter sind als ursprünglich angenommen. "Wir haben durch Transplantationen und
molekulare Untersuchungen bei Embryonen der Seeanemone Nematostella vectensis ebenfalls einen Blastoporus-Organisator
gefunden, der wie bei Wirbeltieren die gleiche Klasse von Signalmolekülen zur Achsenbildung nutzt", erklärt
Ulrich Technau. "Wir gehen daher davon aus, dass dieses Grundprinzip der embryonalen Regulation der Körperachsen
bereits im gemeinsamen Vorfahren von Wirbeltieren und Seeanemonen vor mehr als 600 Millionen Jahren entstanden
ist".
Publikation in "Nature Communications":
"Prebilaterian origin of the blastoporal axial organizer": Yulia Kraus, Andrew Aman, Ulrich Technau and
Grigory Genikhovich. Nature Communications 7:11694 DOI: 10.1038/ncomms11694
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