Chapeau! Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes

 

erstellt am
31. 05. 16
11:00 MEZ

Von 9. Juni bis 30. Oktober 2016 im Wien Museum am Karlsplatz
Wien (wien museum) - Hüte bzw. Kopfbedeckungen bieten nicht einfach nur Schutz vor Wind und Wetter, sie sind auch Zeichen, Statements, Kommunikatoren. Man spricht über sie und - sie sprechen selbst: Sie plaudern von modischen Vorlieben, geben Auskunft über kulturelle und religiöse Zugehörigkeit, verraten politische Einstellungen und unterweisen in Sachen Rang und Stand. Denn - so könnte man frei formulieren - wie man sich "hütet", so ist man.

Chapeau! folgt diesem Gedanken und entwickelt eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes vom Revolutionsjahr 1848 bis in die Gegenwart. In fünf thematischen Schwerpunkten werden gesellschaftliche Prozesse reflektiert und Wiener Geschichte erzählt - vom Kopf her: Hüte als Zeichen der Macht, als Ausdruck des Wohlstands und der gesellschaftlichen Stellung; Kappen als Bestandteile von Berufsuniformen, als modische Accessoires oder als Merkmale einer politischen Haltung; Hauben, Kippot und Kopftücher als persönliche "Markenzeichen" oder als Symbole religiöser und kultureller Identität. Sie alle erzählen Geschichten über ihre TrägerInnen und deren Verankerung in der Wiener Gesellschaft. Zentrales Anliegen der Ausstellung ist es, einen sozialwissenschaftlichen Blick auf Mode zu öffnen und Wiener Modegeschichte

als Sozialgeschichte lesbar zu machen. Zu sehen sind rund 140 Objekte, darunter 100 Hüte und sonstige Kopfbedeckungen, ein Teil davon aus der Modesammlung des Wien Museums. Es werden etwa 80 Leihgaben von insgesamt 57 LeihgeberInnen gezeigt.

Hut auf! - Politische Köpfe
Kalabreser oder Zylinder? So lautete die entscheidende Frage 1848 und bringt das Wesentliche dieses Jahres verkürzt auf den Punkt: Revolution oder Reaktion. Die Studenten der Nationalgarde griffen bei der Wahl ihrer Kopfbedeckung auf den breitkrempigen Kalabreser, den Hut der italienischen Aufständischen des Risorgimento, zurück und vermittelten damit weithin sichtbar, wofür sie standen. Gegen Ende der Monarchie musste sich das in der Zwischenzeit erstarkte Bürgertum den drängenden Anliegen des Proletariats stellen, Zylinder trafen nun auf Arbeitermützen. Im Kampf der Sozialdemokraten für die Verbesserung der politischen und sozialen Stellung der ArbeiterInnen wurde der Zylinderträger markantes Symbol in der antikapitalistischen Propaganda und in bildlichen Darstellungen - zumeist dick und Zigarre rauchend - auf zahlreichen Plakaten und Karikaturen verewigt.

In der jüngeren Geschichte brachte ein Pferd mit einer Kappe die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs in das breite öffentliche Bewusstsein zurück. Die Aussage des Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim 1986, er sei bei der SA "nur mitgeritten", aber kein Mitglied gewesen, mobilisierte die Zivilgesellschaft, die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit einzufordern. Das trojanische Waldheim-Holzpferd wurde zum Symbol des neu gegründeten "Republikanischen Clubs - Neues Österreich". Auf seinem Kopf sitzt eine SA-Kappe - als unauslöschliches Zeichen österreichischer Zeitgeschichte.

Hut ab? Kopfsache Emanzipation
Mit der Frauenbewegung des frühen 20. Jahrhunderts sollten die zuvor im Hause "wohlbehüteten" Frauen des Bürgertums und die sozialistischen Arbeiterfrauen für eine gemeinsame Sache eintreten, die da hieß: politisches Wahlrecht und Gleichberechtigung. Diese Selbstermächtigung und der Vorstoß in die zuvor ausschließlich Männern vorbehaltenen Bereiche des öffentlichen Lebens ging auch mit der Forderung nach einer neuen Frauenkleidung einher: Raus aus dem Korsett und hinein in Kleider mit natürlicher Taille, die für Freiheit, Beweglichkeit und Mobilität standen. Die Aneignung typisch männlicher Kleidungsstücke wie Hose oder Anzug im Frauenalltag sollte noch länger dauern, in der Kunst- und Unterhaltungswelt aber finden sich in der Zwischenkriegszeit Frauen, die auch nach dem Männerhut griffen: Wer kennt sie nicht, die Bilder von Marlene Dietrich in weiter Hose oder Anzug mit Kappe oder Zylinder am Kopf. Wie in Chapeau! zu sehen, wurde ihr aufsehenerregender Stil auch in Wien kopiert.

Dass einen Männerhut zu tragen aber auch ein halbes Jahrhundert später noch als unzulässiger Eingriff gesehen wurde, brachte die Schriftstellerin Elfriede Gerstl auf den Punkt: "Hut zu tragen ist offensichtlich Anmaßung. Er vergrößert, das ist das erste Vergehen. Wagt ein weibliches Wesen mit Männerhut durch die Stadt zu gehen, wird es seine Anmaßung zu spüren bekommen." Chapeau! zeigt Hüte aus dem persönlichen Besitz der Literatin, die selbst eine passionierte Modesammlerin war.

Hüte dich! Religion auf den Köpfen
In den monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum bestimmen im Wesentlichen Brauch und Tradition die Wahl der Kopfbedeckung der Männer, Vorschriften für das Ver- und Bedecken von Kopf und Haaren gelten hingegen für Frauen. Gemein ist ihr Ursprung in den gesellschaftlichen Konventionen der Antike: Nur Prostituierte durften sich dazumal ohne Kopfbedeckung auf der Straße blicken lassen. Abseits religiöser Normen kann das Tragen oder nicht-Tragen von Hut, Kippa oder Kopftuch aber auch Zeichen selbstbestimmter religiöser Identität sein, die damit bewusst nach außen sichtbar gemacht wird. In der heutigen "Kopftuchdebatte" treffen Fragen von Religion, Emanzipation und Integration aufeinander. Das traditionelle Kopftuch der Musliminnen steht mit an erster Stelle in den Auseinandersetzungen zum Thema Frauen und Migration.

In der Ausstellung dazu zu sehen: Kopftücher, wie sie beim Eingang von russisch- orthodoxen Kirchen für Kirchgängerinnen in Körben bereitgestellt werden, aber auch Tücher aus dem Privatbesitz moderner Musliminnen.

Die "besseren" Hüte der Gesellschaft
Zylinder-, Melone- und Girardi-Träger flanieren über die Ringstraße, den Prachtboulevard des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Begleitet werden sie von Damen mit ausladenden Hutkreationen, durchkreuzt von den ersten Radfahrern Wiens und ihren Schirmkappen. Das Gemälde "Ringstraßencorso" von Carl Schuster aus der Sammlung des Wien Museums zeigt die "Hutgesellschaft" der Neureichen und Frischgeadelten, die sich hier zwischen Sirk-Ecke und Schwarzenbergplatz ihr Stelldichein gab. Auch zu Hause war die bürgerliche Dame meist nicht ohne Kopfbedeckung anzutreffen. Das feine Morgenhäubchen aus zartem Batist wurde zum Negligé getragen, der Mann von Welt trug die Hauskappe für Herren zur bequemen Hausjacke oder zum Hausmantel.

Die prächtigen Ausführungen der kunstvoll drapierten Damenhüte mit ihren aufgestickten Perlen, Samtbändern und Seidenblüten wurden in mühevoller Handarbeit in zahllosen Arbeitsstunden von den Arbeiterinnen der Hutmanufakturen hergestellt. Die Tatsache, dass sie für die Herstellerinnen selbst nie und nimmer leistbar waren, macht die aufwendigen Modestücke zum augenfälligsten Zeichen sozialer Distinktion.

Gut behütet - Wiener Mode auf dem Kopf
In der Modesammlung des Wien Museums, einer der umfangreichsten Europas, finden sich rund 1.400 Kopfbedeckungen. Das kommt nicht von ungefähr, denn Wien war eine
"Hutstadt". Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bzw. gegen Ende der Monarchie, als die Stadt ihren Bevölkerungshöchststand erreichte und Wien neben London und Paris eine bedeutende europäische Metropole war, florierte die Produktion. Es gab zahlreiche Hutmacherwerkstätten, Fabriken und Hutgeschäfte.

Aus dieser Zeit stammen etwa die mit Tüll und Straußenfedern geschmückte Capote aus dem Hause Betti Galimberti - die k.u.k. Hofmodistin führte in der Mariahilfer Straße ein großes internationales Unternehmen; der nach dem populären Wiener Operettenstar Alexander Girardi benannte Girardi-Strohhut, das Aushängeschild der Firma Ladstätter & Söhne, die Zweigniederlassungen in Paris und New York führte; oder die noblen Seidenzylinder aus den Häusern J.Heinrich Ita und P.& C. Habig.

Wiener Hut-Couture aus den 1930/40er-Jahren zeigt die Ausstellung etwa mit Modellen von Adele List, der Grande Dame der Wiener Modistinnen, die während des NS- Regimes in den Modezeitschriften hochgelobt wurde: als Schöpferin von Hüten "für den Typ der deutschen Frau". Zu ihren Kundinnen zählten etwa die Schauspielerinnen Paula Wessely, Lilo Pulver oder Maria Schell.

Heute existiert nur mehr eine Handvoll Hutmanufakturen, von denen auch aktuelle Kreationen in der Schau präsentiert werden, ebenso wie Einzelstücke junger DesignerInnen. Wenn auch längst nicht mehr so populär und verbreitet, so sind die Weichen für die Wiener Hut-Zukunft dennoch gelegt: Als einzige Modeschule im deutschsprachigen Raum bietet die Modeschule Hetzendorf heute eine Modistenausbildung. AbsolventInnen haben nach ihrem Abschluss die Hochschulreife erworben und zudem eine Berufsausbildung als Designer/in mit dem Schwerpunkt Modisterei.

Hutgeschichten
Der Katalog zur Ausstellung enthält eine vielfältige Zusammenstellung aus biografischen, wissenschaftlichen und literarischen Texten: Robert Menasse schreibt über ein Geschenk seiner 1938 nach Jerusalem emigrierten Tante Lia aus "Jaffa" - eine mit Enzian und Edelweiß bestickte Kippa. Stefanie Sargnagel berichtet über ihre frühe Vorliebe für Kopfbedeckungen und wie schließlich die rote Baskenmütze zu ihrem
"Markenzeichen" wurde. Elfriede Jelinek erzählt in einem eigens für den Katalog verfassten Beitrag von einer Zeit, in der sie mit der zierlichen "großen" Elfriede Gerstl Hüte probierte und wie sie beim gemeinsamen Spaziergang in der Wiener Innenstadt dafür belächelt wurden.

Julia Hürner von der Vienna Design Week stellt den "Taiknam Hat" von Ebru Kurbak vor, den die aus Istanbul stammende Designerin und Forscherin gemeinsam mit dem Künstler Ricardo O'Nascimento entwickelt hat. Auf den ersten Blick sieht die auffällige Kopfbedeckung am ehesten wie ein traditioneller, mit Federn geschmückter Damenhut aus. Seine eigentliche Raffinesse aber präsentiert er, wenn ein Mobiltelefon in der Nähe elektromagnetische Strahlen aussendet. Dann nämlich gerät die schwarze Federnpracht in Bewegung und stellt sich turmartig am Kopf auf.

Und so zeigt sich wieder: Hüte bzw. Kopfbedeckungen sind nicht einfach "nur" Schmuck oder Schutz, sie sind auch Zeichen, Symbole, Kommunikatoren. Ob Ware von der Stange oder kunstvolle Couture, man spricht über sie oder sie sprechen selbst.

Passend zur Ausstellung findet am 11. und 12. Juni von 11 bis 18 Uhr ein Pop-Up- Hutstore im Atrium des Wien Museum Karlsplatz statt, bei dem Wiener Hutmanufakturen und Manufakturen die neuesten Kollektionen präsentieren. Die Veranstaltung wird gesponsert von Wirtschaftskammer Wien, Landesinnung der Mode und Bekleidungstechnik und Creativ Space.

Anfang September findet dann in Kooperation mit der Modeschule Hetzendorf eine Modeschau statt, bei der Entwürfe von Studierenden präsentiert und die besten Hüte prämiert werden (genaues Datum noch nicht fixiert).

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.wienmuseum.at

 

 

 

 

 

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