Europäische Union muss Flüchtlingsfrage gemeinsam lösen – Kann nicht sein, dass
einige Mitgliedsländer der EU die Solidarität verweigern
Stift Göttweig (nlk) - „Die EU muss gemeinsam das Flüchtlingsproblem lösen. Diese Frage ist
die Nagelprobe für die EU, daran wird sich zeigen, ob in Europa die gelebte Solidarität stärker
ist als der nationale Egoismus“, sagte Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll am 11.06. im Zuge der Eröffnung
des diesjährigen Europa-Forums Wachau im Stift Göttweig. Bis 12.06. stand dort das Thema „Europa – in
Wohlstand geeint, in Krisen gespalten“ im Zentrum der Referate und Arbeitskreise. Den diesjährigen Vorsitz
führten Außenminister Sebastian Kurz und Landeshauptmann Erwin Pröll. In vier Arbeitskreisen beschäftigten
sich die ExpertInnen und TeilnehmerInnen mit den Themenschwerpunkten „Die EU, ein relevanter sicherheitspolitischer
Akteur für das 21. Jahrhundert?“, „Globale Krisen – regionale Lösungen“, „Wirtschaftswachstum – Sozialunion
– Nachhaltigkeit: europäische Quadratur des Kreises?“ sowie „Die sanfte Macht der Kultur: Kulturdiplomatie
als Weg der EU-Außenpolitik“. Moderiert wurde die Veranstaltung auch heuer wieder in bewährter Form
von Prof. Paul Lendvai.
Seit 21 Jahren diene das Europa-Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen auf dem Kontinent
und zur Kontakt-Aufnahme und Kontakt-Pflege zwischen Ländern, Regionen und Personen, betonte der Landeshauptmann.
Das Ziel sei in all den 21 Jahren gleich geblieben: so Pröll: „Wir wollen mit unseren Gesprächen über
Europa das Bewusstsein für Europa stärken.“ Dabei habe die Europäische Union „mit Sicherheit schon
bessere Zeiten erlebt“, meinte er: „Die Situation ist geprägt von der Flüchtlingskrise, eine Reihe von
anderen Krisen ist noch nicht endgültig bewältigt und es gibt Länder, die sich mit dem Gedanken
tragen, aus dem gemeinsamen Europa auszusteigen“, sagte der Landeshauptmann: „Immer öfter bröckelt der
europäische Gemeinschaftssinn, immer deutlicher verliert der europäische Geist an Kraft und das bringt
die Gefahr mit sich, dass das größere Europa immer mehr und mehr in das Nationale zerfällt. Das
ist der Nährboden, auf dem Nationalismus und Populismus wachsen können und wachsen werden. Das kann nicht
die Zukunft Europas sein und das darf nicht die Zukunft Europas sein.“
„Nationalismus und Populismus sind die Spaltpilze Europas und führen ins Verderben“, betonte Pröll in
seiner Rede: „Schon die europäischen Gründungsväter haben gewusst: Nur wenn der Völkerhass,
der nationale Egoismus und der Nationalismus überwunden werden können, kann es auch gelingen, dauerhaft
Frieden in Europa zu fixieren.“
Die Frage der Flüchtlinge sei „Nagelprobe für die EU“, betonte Pröll: „So wie mit der Flüchtlingsnot
derzeit umgegangen wird, kann es auf Dauer nicht funktionieren. Es kann nicht sein, dass einige Mitgliedsländer
die Solidarität verweigern, noch dazu jene, die sich nach dem Zerfall des Kommunismus der Solidarität
der anderen sicher sein konnten.“ Es sei „unverständlich, dass in einem Land die Flüchtlingsproblematik
bewältigt wird, und 50 Kilometer weiter gesagt wird: Das geht uns nichts an – da machen wir nicht mit“, so
der Landeshauptmann. Wer die Rechte einer Gemeinschaft beanspruche, der müsse auch wissen, dass er Verpflichtungen
habe: „Nur so kann Solidarität funktionieren, nur so können Partnerschaft und Nachbarschaft funktionieren
und nur so hat Europa Bestand.“
„Die EU muss als Existenzgarantie im weltweiten Konkurrenzkampf wahrgenommen werden“, sprach der Landeshauptmann
einen weiteren Aspekt an. Im Vergleich zu den großen Wirtschaftsräumen wie Amerika, China, Indien, Afrika
und Russland wirke das große Europa relativ bescheiden, und das werde vor allem auch im Zusammenhang mit
den Nationalstaaten in diesem Gefüge klar: „Unter diesen Größenverhältnissen sprechen wir
über globale Herausforderungen wie Klimawandel, Wirtschaftsinteressen, Geldströme und Terrorismus. Kein
Land in Europa ist groß genug, um sich alleine im globalen Wettbewerb behaupten zu können und bestehen
zu können. Nur als starke Gemeinschaft und gemeinsamer Wirtschaftsblock haben wir eine Chance, den anderen
Großmächten etwas entgegen zu setzen. Diese Rolle muss das gemeinsame Europa wahrnehmen, dann wird Europa
auch von den Menschen entsprechend wahrgenommen.“
Ein „Zurückbesinnen auf die Gründerväter“ forderte auch die Präsidentin des Europa-Forums Wachau,
Landesrätin Mag. Barbara Schwarz. „Sie haben damals beschlossen, ein Zeichen zu setzen und zusammen zu arbeiten,
das Trennende wegzuschieben und das Gemeinsame nach vorne zu bringen.“ Diesen Geist wünsche sie auch dem Europa-Forum
Wachau, so Schwarz.
Für eine solide Aufgabenteilung und für Subsidiarität trat in seiner Rede der EU-Kommissar für
europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, Dr. Johannes Hahn, ein. Die Herausforderungen
für Europa werde man nur bewältigen können, wenn man gemeinsam agiere, betonte Hahn weiters: „Wir
brauchen nicht nur ein Wir-Gefühl, wir brauchen auch ein nachhaltiges, europäisches Wir-Verhalten.“
Vizekanzler Bundesminister Dr. Reinhold Mitterlehner bedankte sich dafür, dass diese Einrichtung fast schon
ein Vierteljahrhundert aufrecht erhalten werde. „Wir sind Europa und die Auseinandersetzung ist, wie man an den
Themen bemerkt hat, wichtig", stellte Mitterlehner auch die Frage ob man ein Haus gebaut habe, „das von der
Konstruktion ein Schönwetter-Haus ist". Es sei aber nicht entscheidend, ob die Gründerväter
diese Problematik erkannt hätten. So sei die EU letztlich eine Reaktion auf die Krise gewesen. „Wir definieren
uns am Projekt. Wir definieren uns an der Krise", betonte Mitterlehner, dass die Frage nicht sei, ob der Bau
richtig sei, denn es sei „die Idee richtig". „Wir haben auch viel erreicht", hob Mitterlehner den Frieden
und die damit verbundene längste Friedensperiode hervor. „Europa wird immer noch zitiert als das Modell, das
andere Nationen anstreben". Die EU müsse „big on big things and small on small things" sein. Ein
weiterer Punkt seien die gesellschaftlichen Herausforderungen. „Europa ist lern-, Europa ist vor allem entwicklungsfähig.
Es ist ‚work in progress'", so Mitterlehner.
Dr. Miro Kovac, der Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten der Republik Kroatien,
meinte: „Die EU hat immer wieder bewiesen, dass es ihr gelingt, aus Krisen stärker hervorzugehen.“ Auch er
bezog sich auf die Gründungsväter: „Sie waren stolz auf die Errungenschaften ihrer Länder, aber
sie strebten auch eine gemeinsame Zukunft an.“ Man könne stolz auf das Erreichte sein, so Kovac: „Die EU ist
eine Erfolgsgeschichte, sie hat Frieden und Wohlstand geschaffen.“
Die EU sei am Scheideweg, sagte Dr. Lazar Comanescu, Außenminister von Rumänien. „Die EU ist im Laufe
ihrer Geschichte durch Krisen gegangen, aber letzten Endes hatten diese Krisen einen unterstützenden Effekt
für Reformen.“ In Rumänien glaube die Bevölkerung an das europäische Projekt, betonte er: „Kein
europäischer Mitgliedsstaat kann es alleine schaffen, und deswegen muss im Rahmen unserer Zusammenarbeit alles
getan werden, um das europäische Projekt zu stärken.“
„Wir brauchen eine ehrliche Debatte über Europa“, betonte Daniel Mitov, der Minister für auswärtige
Angelegenheiten der Republik Bulgarien: „Das ist jetzt besonders wichtig.“ Um die Krisen zu bewältigen, brauche
es „ein Krisenmanagement, und wir müssen versuchen, Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen.“ Man müsse
die Herausforderungen, vor denen man stehe, „ganz klar erkennen“ und „die Dinge beim Namen nennen“, so Mitov.
In ganz Europa erlebe man derzeit die Situation, „dass gegensätzliche Konzepte aufeinander prallen“, sagte
der österreichische Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz, in
seiner Rede. Es brauche daher „eine offene Diskussion“, und er sei „froh, dass dieses Europa-Forum Wachau jedes
Jahr ein Forum ist, bei dem diese Debatten offen geführt werden.“ Die Chance, wieder mehr Identifikation mit
Europa zu erreichen, liege in einer besseren Aufgabenteilung und in einem Mehr an Subsidiarität, so Kurz weiters.
Nach der Plenarveranstaltung am heutigen Vormittag wird das Europa-Forum Wachau am Nachmittag mit Arbeitskreisen
zu europäischen Themen fortgesetzt. Am morgigen Sonntag werden die Ergebnisse der Arbeitskreise unter Einbeziehung
von Schülerinnen und Schülern des BRG Kremszeile präsentiert. Als Redner sind im Zuge der morgigen
Plenarveranstaltung Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll, der Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und
Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei Franz-Josef Lersch-Mense, der Geschäftsführende
Direktor des Europäischen Fonds für Strategische Investitionen Mag. Wilhelm Molterer, der ehemalige Präsident
und Premierminister der Tschechischen Republik Prof. Dr. Vaclav Klaus und der österreichische Vizekanzler
und Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Dr. Reinhold Mitterlehner vorgesehen.
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