Eröffnung in Innsbrucker Congress mit Bundespräsident Fischer – Häupl fordert
"Humanität und Ordnung" in Bezug auf Flüchtlingspolitik –
Innsbruck (rk) - Bei der Eröffnung des 66. Österreichischen Städtetages im Congress Innsbruck
am 08.06. stand das Thema Finanzausgleich und das Thema Flüchtlinge im Mittelpunkt der Eröffnungsreden.
Bundespräsident Heinz Fischer, der in den 12 Jahren seiner Amtszeit insgesamt 10 Mal den Städtetag eröffnet
hatte, wurde von allen Seiten besonders begrüßt, erwähnt wurde auch der voraussichtlich letzte
Besuch des scheidenden Rechnungshofpräsidenten Josef Moser.
Christine Oppitz-Plörer, Bürgermeisterin von Innsbruck, verwies gleich zu Beginn auf die besondere Verantwortung,
die den BürgermeisterInnen in der Flüchtlingsfrage zukommt: „Wir sind verantwortlich für das, was
wir tun, aber im Besonderen für das, was wir nicht tun“, sagte sie in ihrer Begrüßungsrede.
„Verantwortlich sind wir zudem für jene, um die wir uns kümmern, erst recht aber für jene, um die
wir uns vorerst nicht kümmern“, so Oppitz-Plörer. Und weiter: „Wir sind ein reiches Land, trotzdem sollten
wir öfter einmal einen Blick auf andere Länder und Städte werfen, die zwar nicht reich an Ressourcen,
aber umso reicher an Solidarität und Menschlichkeit sind“, mahnte Oppitz-Plörer ein. Auch Städtebund-Präsident
Bürgermeister Michael Häupl ging in seiner Rede auf die Situation der Flüchtlinge in Österreich
ein: „Im vergangenen Jahr 2015 hat Österreich eindrucksvoll bewiesen, dass es zu großartigen Hilfeleistungen
fähig ist, wenn es wirklich drauf ankommt. Freiwillige, Hilfsorganisationen und Mitarbeiter der Städte
und Gemeinden haben dazu beigetragen, hunderttausende durchreisende Menschen versorgt wurden“, so Häupl. Angesichts
des jüngsten Brandanschlages auf ein Flüchtlingsquartier in Oberösterreich sagte er: „Wir dürfen
nicht zulassen, dass Menschlichkeit durch Gewalt und feigen Terror beantwortet wird. Wir Bürgermeisterinnen
und Bürgermeister sind hier gefordert eine ganz klare Haltung einzunehmen“. Der Umgang mit Flüchtlingen
sei getragen vom Mott „Humanität und Ordnung“, so Häupl: „Selbstverständlich kann Österreich
nicht die Verantwortung für ganz Europa tragen. Es muss eine europäische Lösung geben, um mit der
Situation der Flüchtlingsströme nach Europa umzugehen. Und wir werden nicht müde werden, diese europäische
Lösung einzufordern“.
Integration und Bildung bezeichnete er als die wichtigsten Zukunftsthemen: „Integration ist aber nicht nur eine
Investition in ein gutes Zusammenleben, sondern auch eine wichtige Investition in unsere Wirtschaft: denn wir brauchen
gut ausgebildete, wissbegierige, fitte junge Menschen. Sprache, Bildung und Qualifikation sind daher nicht nur
die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben, sondern sie schaffen auch ein Potential für die Zukunft
unseres Landes“, so Häupl.
Er ging auf die stark steigenden Kosten der Städte im Bereich Soziales ein: So werde die Mindestsicherung
etwa zur Hälfte durch Städte und Gemeinden durch Umlagen an das jeweilige Bundesland mitfinanziert. Häupl.
„Insbesondere für die größeren Städte, wo mehr Bezieherinnen und Bezieher der Mindestsicherung
leben, bedeutet das eine steigende finanzielle Belastung“.
Häupl forderte einmal mehr einen aufgabenorientierten Finanzausgleich: „Ein moderner Finanzausgleich muss
sich an den Aufgaben orientieren, er ist transparent und macht ein für alle Mal Schluss mit dem komplizierten
Transferwesen. Er gibt uns volle Kompetenz und Mitsprache, in den Bereichen, die wir mitfinanzieren und mittragen.
Ein konkretes Beispiel: Kinderbetreuung könnte zur Gänze in die Verantwortung der Städte und Gemeinden
übergehen, Gesundheit und Soziales zu den Ländern. Also: volle Verantwortung, aber auch volle Finanzierung“,
forderte Häupl.
|
Palermos Bürgermeister Orlando für internationale Freizügigkeit von
Menschen
Bei der Eröffnung des 66. Österreichischen Städtetages sprach sich Festredner Leoluca Orlando,
Bürgermeister von Siziliens Hauptstadt Palermo (I), bekannt als unermüdlicher Kämpfer gegen die
Mafia und Verfechter der Menschenrechte, für die internationale Freizügigkeit von Menschen über
die Grenzen der EU hinaus aus. Orlando ist durch seinen Kampf gegen die organisierte Kriminalität an Leib
und Leben bedroht. Er galt über viele Jahre hinweg als höchstplatziert auf der sogenannten „Abschussliste“
der Mafia. Sein Festhalten an der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption konnte zuletzt
das diesem Phänomenen zugrunde liegende Schweigen, die "omertà", brechen. In einem „Kampf
der Frauen“ fand Orlando ungewöhnlich breite Unterstützung in der weiblichen Bevölkerung.
"Charta von Palermo" als Auslöser einer weltweiten Debatte
Leoluca Orlando, der pragmatisch und unbürokratisch mit Flüchtlingen umgeht, hat mit seiner „Charta
von Palermo“ im Jahr 2015 eine weltweite Debatte entfacht, wie das Sterben von Menschen auf der Flucht beendet
werden kann. Er setzt sich dafür ein, dass weltweit Aufenthaltsgenehmigungen abgeschafft werden und die Freizügigkeit
als unveräußerliches Menschenrecht anzuerkennen ist.
„Wir müssen uns bewusst werden, dass wir es mit einem Völkermord zu tun haben. Ich könnte Ihnen
Hunderte von Geschichten erzählen, beispielsweise die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens, das
seine Mutter vom Boot stoßen musste, um zu überleben. Ein Junge, den ich im Hafen von Palermo traf,
der zur mir sagte: Herr Bürgermeister, wie ich kann ich mich freuen, wenn ich zum Überleben zwei meiner
Brüder ermorden musste? Oder eine schwangere Frau aus Nigeria, die mir gebeichtet hat, dass sie jemanden auf
der Überfahrt umbringen musste, um ihr eigenes Kind zu retten. Ich glaube, das reicht aus, um Ihnen zu zeigen,
dass sich Europa angesichts dieses Verhaltens schämen sollte. Unser Ziel ist es, die Aufenthaltsgenehmigung
abzuschaffen“, so Orlando und meinte weiter: „Wir wissen was passiert, wir können nicht sagen, dass wir nicht
verantwortlich sind.“
„Kein Mensch hat sich den Ort, an dem er geboren wird, ausgesucht oder sucht diesen aus; jeder Mensch hat den Anspruch
darauf, den Ort, an dem er leben, besser leben oder nicht sterben möchte, frei zu wählen,“ so heißt
es in der Charta von Palermo 2015. Eine wichtige Rolle müsse, so Orlando, die Europäische Union einnehmen,
denn sie ist ein außergewöhnliches Beispiel für den Willen zusammenzuleben und zusammenzugehören
– angefangen bei ihrem Charakter als eine „Union der Minderheiten“. In Europa kann alleine aus Gründen der
Identität niemand für sich die Mehrheit reklamieren: nicht die Deutschen, nicht die Moslems, nicht die
Juden oder die Franzosen. Keine Identität ist mehrheitsfähig. Und es wäre an der Zeit, dass sich
die EU für die Abschaffung der Aufenthaltsgenehmigungen einsetzt – um neben dem freien Verkehr des Kapitals
und der Güter in einer globalisierten Welt – die Freizügigkeit von Menschen zu stärken – und nicht
nur innerhalb des Schengen-Raumes, sondern auf globaler Ebene.
„Globalisierung ist Mobilität, Mobilität hat ein Menschengesicht“, betont Orlando. Angesichts der abwehrenden
Reaktionen, die immer öfter aus unserer Gesellschaft kommen, wäre es notwendig, so Orlando, dass die
Institutionen mit einer Politik und einem Handeln reagieren, die das gegenseitige Kennenlernen, den Gleichbehandlungsgrundsatz
und demokratische Teilhabe fördern. Das wären die wirklichen Faktoren, die größere Sicherheit
garantieren können. Das Prinzip der Aufenthaltsgenehmigung zu überwinden, bedeutet, die Migranten als
Personen zu betrachten, als Menschen, unabhängig von dem Titel, der ihren Status festlegt. Es bedeutet auch,
in diesen Menschen nicht „soziale Lasten“ oder „Nutznießer von Ressourcen“ zu sehen, seien dies Arbeitsplätze,
soziale Unterstützung oder Sozialwohnungen, sondern aktive Bürger, die dazu in der Lage sind, der Gemeinschaft
und dem Ort, in der und an dem sie leben, einen Wert zu geben. Inklusions- und Sozialpolitik müssen Einwanderern
– wie anderen hilfsbedürftigen Gruppen der ansässigen Bevölkerung auch – menschenwürdige Wohnmöglichkeiten
garantieren. Dieses Recht darf kein Anlass für soziale Konflikte oder „Kriege zwischen Armen“ sein. Zusammenfassend
betont Orlando: „Die Idee der Abschaffung der Aufenthalts-genehmigung soll keine Provokation darstellen und ist
kein anmaßender Slogan. Aufenthaltsgenehmigungen sind die neue Sklaverei und Todesstrafe. Das Ziel ist die
Einhaltung der Menschenrechte“, und „die Mafia hätte mehr Angst vor den Menschenrechten als vor der Polizei
und den Gesetzen.“
|
Bundespräsident Fischer: "Macht behutsam ausüben"
Die Eröffnung des 66. Österreichischen Städtetages im Congress Innsbruck geriet auch zur
Verabschiedung von Bundespräsident Heinz Fischer, der mit 8. Juli 2016 seine zwölfjährige Amtsperiode
beendet. Er war bei zehn Städtetagen persönlich anwesend und bezeichnete in seiner Rede die Städte
– auch durch den Lauf der Geschichte - für „besonders wichtige Kristallisationspunkte der gesellschaftlichen
Entwicklung“.
Er nahm seine Ansprache zum Anlass, um auf sein Amtsverständnis und Macht und Machtbefugnis des österreichischen
Bundespräsidenten einzugehen: „Manche Wahlkampfreden und vor allem der berühmte Satz des Präsidentschaftskandidaten
Hofer - Sie werden sich noch wundern, was alles möglich sein wird - hat eine besorgte Diskussion darüber
entfacht, ob der Bundespräsident nicht in Wahrheit zu mächtig ist und ob er nicht Entscheidungen treffen
könnte, welche die für die Demokratie nützliche Ausgewogenheit zwischen Bundespräsident, Parlament
und Regierung nachhaltig stören,“ so Fischer. Dies sehe er anders: „Der Bundespräsident hat weder zu
viel, noch zu wenig Kompetenzen“, so Fischer, „weil ich davon ausgehe, dass ein vom Volk gewählter Präsident
seine Macht auch in Zukunft behutsam und verantwortungsvoll ausüben wird, sodass er gefährliche Situationen
zu bremsen versuchen wird, aber sich nicht in die alltägliche Arbeit anderer Staatsorgane einmischen wird.“
Fischer zur Briefwahl
Fischer äußerte sich auch zur angekündigten Wahlanfechtung der jüngsten Bundespräsidentenwahl:
„Es liegt ein Wahlergebnis vor, dieses kann natürlich angefochten werden“, so Fischer. „Ich wünsche mir
aber, dass am Fahrplan, dass am 8. Juli der neue Bundespräsident angelobt wird, festgehalten wird.“ Und weiter:
„Man kann nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und gleich die Briefwahl abschaffen, denn es hat bis dorthin
eine lange demokratische Entwicklung gegeben: Durch die Briefwahl sollte die Wahlbeteiligung erhöht werden,
indem allen, die zum Zeitpunkt der Wahl nicht anwesend sind, die Möglichkeit haben, dennoch ihr Wahlrecht
auszuüben“, gab Fischer zu bedenken. Solange die Spielregeln für die Briefwahl eingehalten würden,
sei alles in Ordnung. Wenn die Spielregeln von einzelnen verletzt werden, ist das kein Grund, die Briefwahl abzuschaffen!“,
schloss Fischer.
Grußworte von Mödlhammer und Platter
Helmut Mödlhammer, Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, bezeichnete Wien in Bezug auf
Flüchtlinge und Schutzsuchende „als die Stadt der Menschlichkeit“ und sprach seinen Dank an Städtebundpräsident
Bürgermeister Häupl aus. Städte und Gemeinden hätten im vergangenen Jahr in der Freiwilligenarbeit
„Großartiges, Übermenschliches geleistet“, hätten aber auch die Grenzen der Belastbarkeit erreicht.
Er betonte, ebenso den Schulterschluss zwischen Städten und Gemeinden und stellte das hohe Niveau kommunaler
Leistungen in den Vordergrund.
Landeshauptmann Günther Platter hob hervor, dass „wir in einer Zeit des Umbruches leben, in der sich politische
Systeme und überholte Strukturen ändern“. Er ging auch auf die Herausforderungen in der Flüchtlingskrise
ein: „Wir haben die humanitäre Verpflichtung, Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten, Schutz zu
bieten“, so Platter, der Solidarität aller EU-Mitgliedsstaaten einforderte. Tirols Landeshauptmann unterstrich
seine Forderung einer zivil-militärischen Mission im Mittelmeer bzw. an der afrikanischen Küste: "Denn
wenn wir das nicht machen, geht das Sterben im Mittelmeer weiter“, so Platter. Es müssten auch Kontrollen
bei der Einreise nach Österreich stattfinden, um unkontrollierten Zuzug zu verhindern. Platter: „Wenn Italien
seine Verpflichtungen erfüllt und kontrolliert, dann brauchen wir keine Kontrollen am Brennerpass.“
Platter mahnte des weiteren Einigkeit bei den Finanzausgleichsverhandlungen ein; es mache keinen Sinn, wenn die
kommunale Ebene mit den Bundesländern uneins sei. Man müsse geschlossen gegenüber dem Bund auftreten.
Abschließend meinte Platter: „Wir haben auf den sozialen Frieden zu achten, denn es ist ein Privileg, in
Österreich zu leben und zu arbeiten.“
|