Ombudsstelle hält rechtliche Standards von Schubhaft bis zu Pflegeheimen für notwendig
Wien (pk) - Wenn private Sicherheitsleute polizeiliche Aufgaben übernehmen, wird die Volksanwaltschaft
unruhig: Hoheitsbefugnisse wie die Ausübung von Zwangsgewalt können nicht ausgliedert werden. Man schließe
sich hier der Meinung des Verfassungsgerichtshofes an, betont Volksanwalt Peter Fichtenbauer. Aus diesem Grund
wurde 2014 ein amtswegiges Prüfverfahren im Anhaltezentrum (AHZ) Vordernberg gestartet, wo Schubhäftlinge
in vielen Bereichen von privatem Sicherheitspersonal betreut wurden. Der Sonderbericht darüber vom Mai 2015
war am 08.06. Debattengegenstand im Volksanwaltschaftsausschuss des Nationalrats. Fichtenbauer verlangt vor allem
eine rechtliche Klarstellung nach dem Muster des Justizbetreuungsagentur-Gesetzes, damit ein Public-Private-Partnership-Vertrag
in Anhaltezentren verfassungskonform umgesetzt wird, wiewohl Vordernberg derzeit aufgrund sinkender Schubhaftsfälle
als Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge diene. Empfehlungen wie den offenen Vollzug habe das Innenministerium
per Erlass bereits umgesetzt. Dem vorjährigen Prüfbericht gaben alle Fraktionen bis auf die Grünen
ihre Zustimmung.
Eingangs beleuchtete der Ausschuss jenen Teil des Tätigkeitsberichts 2015, in dem die Ombudsstelle ihre präventive
Menschenrechtskontrolle allgemein beschreibt. Diesen Bericht nahm der Ausschuss einstimmig an, die Debatte darüber
wird im Nationalratsplenum fortgesetzt. Die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in Österreich war
dabei ebenso markantes Thema wie die Bedingungen in Alten- und Pflegeheimen, oder die Flüchtlingsbetreuung.
Vorschläge zur Verbesserung von Missständen werden der Volksanwaltschaft zufolge mit den jeweiligen Regierungsressorts
zwar immer wieder erarbeitet – teils mit Erfolg, wie SPÖ und Grüne am Beispiel Netzbetten-Abschaffung
in Psychiatrien bestätigten. Allerdings brauch es manchmal den Weg an die Öffentlichkeit, um in der Politik
ein Problembewusstsein zu schaffen, so Volksanwalt Günther Kräuter. In vielen Feldern, mit denen die
Volksanwaltschaft befasst ist, sieht Volksanwältin Gertrude Brinek schließlich auch die Abgeordneten
berufen, aktiv zu werden; etwa bei der Lesbarkeit juridischer Vorgaben, mit denen Menschen im Alltag befasst sind,
Stichwort Sachwalterschaft.
Auf eine Kritik der Grünen hin, Fichtebauer, den die FPÖ 2013 für die Volksanwaltschaft nominiert
hatte, zeige trotz seines Amts parteipolitische Präferenzen, betonten alle drei VolksanwältInnen ihre
vollständige Unabhängigkeit. Das beweise die tägliche Arbeit nach dem Prinzip: Gesetze sind von
allen einzuhalten, ohne Ausnahme, hoben Brinek und ihr Kollege Günther Kräuter die vorbildlich parteiunabhängige
Haltung der Ombudsstelle hervor. Ungeachtet dessen berief sich Fichtenbauer auf sein staatsbürgerliches Rechte
der freien Meinungsäußerung. Ausgelöst worden war der Vorwurf durch Fichtenbauers Auftritt in einer
Fernsehdebatte vor der Bundespräsidentenwahl.
Vordernberg: Volksanwaltschaft vermisst legistische Grundlage für Sicherheitsfirma
Speziell Umfang und verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Public-Private-Partnership (PPP) durch die Beauftragung
von privatem Sicherheitspersonal im Schubhaftvollzug prüfte die Volksanwaltschaft (VA) in Vordernberg eingehend.
Zwischen April 2014 und März 2015 erfolgten zudem vier Besuche von Prüfkommissionen der VA im Rahmen
ihres Mandats; weitere Kontrollbesuche sind laut Fichtenbauer in Planung, obwohl das Anhaltezentrum nicht mehr
in seiner ursprünglichen Bestimmung, sondern als Erstaufnahmezentrum für Asylwerbende genutzt werde.
Als Grundlage für ähnliche Fälle in Zukunft brauche Österreich aber klare rechtliche Regelungen
für die Anstellung privater Unternehmen im hoheitlichen Bereich, meinte er. Gesetzlich eindeutig definiert
gehören etwa die rechtlichen Konsequenzen, wenn ein Privatangestellter in einem Zentrum wie Vordernberg jemanden
verletzt. Die Abgrenzung der Kompetenzbereiche müsse ebenfalls unmissverständlich sein. Hilfsdienste
wie Gartenpflege, Küchenarbeit oder Außensicherung könnten aber Privatpersonal durchaus übertragen
werden.
Die ÖVP äußerte zwar leise Zweifel, ob für eine PPP in Anhaltezentren wirklich ein eigenes
Gesetz nötig ist, insgesamt sieht sie dennoch die Errichtung der Schubhafteinrichtung in Vordernberg durch
den Sonderbericht bestätigt. Gelobt wurde von den Kommissionen die bauliche Ausgestaltung des Zentrums sowie
grundsätzlich auch die Form der Unterbringung von Angehaltenen. Von separierten Hungerstreikenden bis mangelhafter
Dolmetschleistung orten die Grünen mehr Missstände als die Volkspartei. Hier braucht es ihrer Meinung
nach eine rechtliche Grundlage zur menschenwürdigen Betreuung von Festgehaltenen, zumal privatrechtliche Verträge
nicht einfach zu ändern seien. Die FPÖ monierte, das Innenministerium habe in Vordernberg den ständigen
Einsatz von ExekutivbeamtInnen, den die Volksanwaltschaft vorgeschlagen hatte, abgelehnt.
Nationaler Präventionsmechanismus trat bislang 1.575-mal in Aktion
Im Rahmen der präventiven Menschenrechtskontrolle waren die Kommissionen der Volksanwaltschaft 2015 insgesamt
501-mal im Einsatz, in diesem Jahr bislang 197-mal. 439 der vorjährigen Besuche und Beobachtungen in öffentlichen
und privaten Einrichtungen, die als Orte der Freiheitsentziehung gelten, erfolgten unangekündigt. Seit dem
Beginn der präventiven Menschenrechtskontrolle im Juli 2012 hat die Volksanwaltschaft 1.575 Einsätze
verzeichnet. Als Nationaler Präventionsmechanismus (NPM) prüfen Kommissionen der Ombudseinrichtung, ob
das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe (OPCAT), sowie Regelungen der UN- Behindertenrechtskonvention eingehalten werden. Grundlage
für die Besuche und Beobachtungen in Justizanstalten, Polizeianhaltezentren, Krankenhäusern, Jugend-,
Alten- bzw. Pflegeheimen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sowie von Exekutiveinsätzen (Zwangsakte)
etwa bei Demonstrationen, ist eine verfassungsrechtliche Kompetenzerweiterung, die ab heuer auch die Begleitung
von Abschiebeflügen umfasst.
Herkules-Abschiebungen für Volksanwaltschaft rechtlich bedenklich
Abschiebeflüge mit Maschinen des Bundesheers sieht die Volksanwaltschaft äußerst kritisch.
Das verdeutlichte Fichtenbauer mit Hinweis auf die Verfassung und auf Ausstattungsmängel wie ungenügend
abgetrennte Toiletten an Bord. Außerdem missfällt ihm, das Bundesheer als Assistenz der Polizei heranzuziehen.
Die NPM-Kommissionen wollen künftig selber bei Abschiebeflügen anwesend sein, vor allem um die Verhältnismäßigkeit
der Methoden durch die Exekutive sicherzustellen. Leichte Formen der Zwangsgewalt schließe das Fremdenpolizeigesetz
indes nicht gänzlich aus, so der Volksanwalt. Von den NEOS wird befürchtet, bei einer Zunahme von Rückführungen
gerieten Menschenrechte eher ins Hintertreffen.
Eindeutige Kritik kam von der Volksanwaltschaft bei ihren Besuchen in Spielfeld, wo Flüchtlinge nach ihrem
Grenzübertritt auf unzureichende Versorgung stießen, verbildlichte Fichtenbauer die Rahmenbedingungen,
die abgelaufenen Medikamenten, zu wenig Kinderärzte und ungenügende Übersetzungsdienste umfassten.
Seitens der BeamtInnen habe es ebenfalls Klagen gegeben, und zwar über die unklare Befehlslage und insgesamt
schlechte Planung. Für das Innenministerium und die Landespolizeidirektion Steiermark sind derartige Kritikpunkte
systemimmanent, sagte Fichtenbauer.
Menschen mit Behinderung: Kosten als Hindernis für Inklusion
Die Situation von Menschen mit Behinderung in Österreich ist laut Volksanwaltschaft trotz Verbesserungen in
den letzten Jahren noch lange nicht zufriedenstellend – und teilweise sogar menschenrechtlich abzulehnen. Die gesellschaftliche
Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung wertet Volksanwalt Kräuter wie SPÖ und Grüne
jetzt zwar mehr auf Inklusion ausgerichtet als noch vor einigen Jahren. Damit jede und jeder aus dieser Personengruppe
ein selbstbestimmtes Leben führen kann, brauche man aber mehr Geld, stellte er mit Verweis auf die Kosten
persönlicher Assistenz fest. Am 4. Juli wolle daher die Volksanwaltschaft im NGO-Forum zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Parlament Akzente setzen. Ein dringlicher Punkt ist beispielsweise die sozialrechtliche
Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in Werkstätten für Menschen mit Behinderung.
In den 93 durch Menschenrechtskommissionen besuchten Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zeigten die
NPM-Berichte vom letzten Jahr Fälle von erniedrigender Behandlungen aufgrund von Fremdbestimmtheit der BewohnerInnen
und fehlender Barrierefreiheit auf. Vereinzelt träten "manifeste Verwahrlosung und Schädigungen
der psychischen und physischen Integrität von Personen ein, ohne, dass Behörden, Gerichte oder gerichtlich
bestellte Sachwalterinnen und Sachwalter dagegen einschreiten", skizziert der NPM-Bericht die systembedingten
Problemfelder, gerade in behördlich nicht angemeldeten Einrichtungen.
Volksanwaltschaft: Cannabis-Schmerzmittel auf Rezept medizinisch sinnvoll
Den von der SPÖ angesprochenen Themenkreis Schmerztherapie nutzte Volksanwalt Kräuter zum Bekenntnis
für die Verschreibung von Cannabinoiden, wenn andere Schmerzmittel für PatientInnen nicht möglich
sind. Die Weigerung der Gebietskrankenkassen, das zu finanzieren, beruhe auf einem gesellschaftlichen Problem,
sei aber nicht im Interesse von SchmerzpatientInnen. Irritierend findet er zudem die in seinen Augen landläufige
Ansicht, dass ältere Menschen natürlich unter Schmerzen leiden. Neben einem echten Schmerzassessment
bräuchten BewohnerInnen von Altenheimen daher auch entsprechend geschultes Pflegepersonal. Mehr Bewusstseinsbildung
erwartet die Volksanwaltschaft weiters in Bezug auf Demenzkranke. Grüne und Team Stronach führten in
diesem Zusammenhang die Demenzsstrategie der Regierung ins Treffen, und erfuhren, man habe immerhin einige Fortschritte
bei der Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens beobachtet. Dennoch benötige Demenz einen höheren
politischen Stellenwert in einer alternden Gesellschaft, ist Kräuter einig mit dem Oppositionsparteien. Aufgrund
der steigenden Zahl Demenzkranker rät die Volksanwaltschaft überdies zu einer besseren gerontopsychiatrischen
Ausbildung von Pflegekräften.
Missstände am Pflegesektor zeigten ÖVP und Grüne anhand von konkreten Fällen auf, die von einzelnen
Einrichtungen bis zum System der Pflegegeldeinstufung reichten. Falls wie gemutmaßt Personen zwecks höherer
Einstufung von der Aktivierung abgehalten werden, sei dies eindeutig kriminell, konstatierte Kräuter. Generell
hält er einheitliche gesetzliche Standards für den Pflegebereich dringend erforderlich, genauso ein Zentralregister
zur Sicherstellung der richtigen Medikation von in Pflege befindlichen Personen. Neben mangelernährten Menschen,
die der selbstständigen Essensaufnahme nicht mehr fähig waren, finanzieller Ausbeutung, Handgreiflichkeiten
oder einer Missachtung der Intimsphäre der BewohnerInnen orteten die NPM-Kommissionen vielfach Praktiken der
mechanischen oder medikamentösen Freiheitsbeschränkung in Heimen. Dazu kamen normierte Essens- und Schlafenszeiten
oder Duschtage, worin nach Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ebenfalls eine Form der Gewaltanwendung
zu sehen ist.
Zur Gewaltprävention in Jugendheimen drängt Kräuter auf gelebte pädagogische Konzepte. Bei
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen stehe wiederum ihre Unterbringung in kleinen Quartieren derzeit
im Vordergrund.
Überbelag im Gefängnissen Grundproblem
Gefängnisse beziehungsweise Zellen, die überbelegt sind, eine unzureichend sanitäre Ausstattung
und zu lange Einschlusszeiten sind nach Dafürhalten von Volksanwältin Brinek Nährboden für
Eskalationen wie in der Justizanstalt Stein. Besonders in Ostösterreich registriert sie eine Verschärfung
dieser Problemlage, nicht zuletzt durch die Schlepper, die in Untersuchungshaft festgehalten werden. Die Volksanwaltschaft
arbeite daher mit der Justiz und dem Bundeskriminalamt zur Minderung der Überfüllung daran, die raschere
Abschiebung verurteilter StraftäterInnen zu ermöglichen, was aber nicht so einfach sei. Die meisten ausländischen
Häftlinge kommen nach Angaben der Ombudsstelle aus Serbien, Rumänien und Ungarn. Weiterhin augenscheinlich
ist Brinek zufolge der Personalmangel in Gefängnissen, vor allem in der psychiatrischen Versorgung. Eventuell
böten Sonderverträge für MedizinerInnen hier Abhilfe. Besonders belastend sieht sie die Lage im
Maßnahmenvollzug, in dem geistig abnorme RechtsbrecherInnen auch nach Abbüßung ihrer Strafe auf
ungewisse Zeit inhaftiert seien, obwohl ihnen eigentlich eine Krankenhausbehandlung zustehe.
Die Suizidprävention im Justizstrafvollzug auch in polizeilichen Anhaltezentren anzuwenden, stellte die FPÖ
zur Diskussion und erhielt von Volksanwalt Fichtenbauer die Auskunft, bei Polizeianhaltungen gebe es 10-mal so
viele Selbstmorde wie in Justizanstalten. Kurzzeitig festgehaltene Personen scheinen die größte Risikogruppe
zu sein.
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