Am Ausbruch der Autoimmunerkrankung Zöliakie könnten nicht nur genetische Faktoren,
sondern auch bestimmte Virusinfektionen beteiligt sein. Das zeigen Ergebnisse eines Projekts des Wissenschaftsfonds
FWF. Risikogruppen könnte künftig eine Impfung gegen Darmviren helfen.
Chikago/Wien (fwf) - Verdauungsbeschwerden, schwere Entzündungsprozesse des Dünndarms, Nährstoffmängel
und infolgedessen Blutarmut und Osteoporose zwingen Betroffene der Autoimmunerkrankung Zöliakie eine lebenslange
strikte Diät ohne Gluten einzuhalten. Denn das in vielen Getreidearten enthaltene Protein verursacht bei an
Zöliakie Erkrankten, dass das eigene Immunsystem den Darm angreift. Bisher steht fest, dass die Fallzahlen
in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegen sind, und Betroffene ein erhöhtes Risiko für weitere
Autoimmunerkrankungen aufweisen. Weniger Klarheit besteht über die Auslöser: Neben genetischen Faktoren
wurden zuletzt in der Forschung auch bestimmte Viruserkrankungen mit erhöhtem Auftreten von Zöliakie
assoziiert. Grund genug für Reinhard Hinterleitner, diesen möglichen Zusammenhang und Auslösungsprozess
näher zu erforschen. Ein eigenes Zöliakie-Forschungslabor an der University of Chicago bot dem österreichischen
Zellbiologen im Rahmen eines vom FWF finanzierten Erwin-Schrödinger-Stipendiums dafür die optimalen Bedingungen.
Verdächtige Viren am Tatort Darm
Hinterleitners Untersuchungen im Team der Gastroenterologin Bana Jabri zeigten einen starken Zusammenhang zwischen
Darmvirusinfektionen und Zöliakie. Hinterleitner analysierte Proben des Serums und 150 Dünndarmbiopsien
von an Zöliakie Erkrankten im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe. Das Augenmerk lag auf Darmviren,
wie dem Noro-, Rota- oder Reovirus. „Unsere Analyse für das Reovirus zeigte, dass an Zöliakie Erkrankte
signifikant mehr Antikörper gegen dieses Virus hatten und diese mit virus-assoziierten Markern in den Biopsien
korrelierten. Das bedeutet, dass diese höchstwahrscheinlich ku¨rzlich vergangene oder auch chronische
Darmvirusinfektionen hatten“, erläutert Hinterleitner.
Checkpoint Dünndarm
Im weiteren Fokus der Untersuchung stand die Frage nach Ursachen, warum an Zöliakie Erkrankte keine orale
Toleranz auf Gluten haben: „Die orale Toleranz bezeichnet die Fähigkeit von spezialisierten Zellen, den dendritischen
Zellen, im Dünndarm nur bei schädlichen Eindringlingen die Immunabwehr einzuschalten. Dazu präsentieren
die dendritischen Zellen den T-Zellen Gluten-Antigene. Für gewöhnlich lösen diese bei Gluten-Antigenen
keine Entzündungsantwort aus. Die dendritischen Zellen von an Zöliakie Erkrankten schlagen hingegen bei
Gluten-Proteinen immer Alarm, die T-Zellen, genauer T-Lymphozyten, bekommen somit die falsche Information und reagieren
mit einer entzündungsfördernden Antwort“, erläutert Hinterleitner.
Viren als Auslöser von Fehlalarm
Viren können zum Auslöser des langfristigen Fehlalarms werden: „Darmviren bringen den Dünndarm
aus dem Gleichgewicht. Die regulatorischen T-Lymphozyten können dadurch in pro-entzu¨ndliche T-Lymphozyten
umgewandelt werden“, so Hinterleitner. „Auch die dendritischen Zellen sind durch die Infektion alarmiert. Wenn
nun gleichzeitig eine Nahrungsaufnahme von Gluten erfolgt, präsentieren die bereits alarmierten dendritischen
Zellen den T-Lymphozyten auch Gluten-Antigene.“ Dabei könne es zu einer falschen Informationsweitergabe kommen:
Die T-Lymphozyten reagieren mit einer nicht nur gegen das Virus gerichteten entzündungsfördernden Antwort,
sondern auch gegen das Gluten.
Maus & Mensch
Diesen Prozess beobachtete Hinterleitner im genetisch veränderten Zöliakie-Mausmodell: „Bei einer
Reovirus-Infektion des Du¨nndarms traten bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme von Gluten a¨hnliche klinische
Symptome auf wie bei an Zöliakie Erkrankten.“ Dieses ungünstige Timing könne bei jenen 20 Prozent
der Bevölkerung mit den genetischen Voraussetzungen für Zöliakie und insbesondere bei jenen, die
auf Virusinfektionen stärker reagieren, zu einem langfristigen Verlust der oralen Toleranz führen.
Kinder als Risikogruppe
Dies könnte auch erklären, dass Kleinkinder, die bereits eine Rotavirus-Infektion hatten, häufiger
Zöliakie entwickeln: „Die Erstzufuhr von Gluten bei Kleinkindern, welche orale Toleranz auf Gluten herstellen
soll, kann bei einer gleichzeitigen Virusinfektion genau das Gegenteil bewirken“, erläutert Hinterleitner.
Eine fru¨hkindliche Impfung gegen Darmviren wie dem Rota- oder Reovirus könnte das Auftreten von Zöliakie
in Risikogruppen vermindern. Das FWF-Projekt liefert nicht nur Einblicke in die Entstehung von Zöliakie und
Ansätze zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung, sondern auch in Entstehungsprozesse weiterer Autoimmunerkrankungen
wie Typ-1-Diabetes und rheumatoide Arthritis.
Zur Person
Reinhard Hinterleitner hat an der Fachhochschule Wien Molekulare Biotechnologie studiert. Er absolvierte seine
Dissertation an der Medizinischen Universität Innsbruck in Molekulare Zellbiologie und Onkologie in der Gruppe
von Gottfried Baier am Department für Medizinische Genetik, Molekulare und Klinische Pharmakologie. Derzeit
forscht er als Postdoctoral Fellow an der University of Chicago in der Gruppe der Gastroenterologin Bana Jabri
am Department of Medicine im Fachbereich Immunologie. Sein Forschungsaufenthalt begann im Zuge eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums
des FWF.
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