Nationalrat: Bundeskanzler Kern warnt vor einer Gewalt der Worte
Wien (pk) - Mit einem heftigen Schlagabtausch zwischen FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache und Bundeskanzler
Christian Kern begann die Sitzung des Nationalrats vom 15.06. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde warf Strache der
Regierung nicht nur Zahlentrickserei in Sachen Asyl vor, sondern auch Untätigkeit in Bezug auf die zunehmenden
Sicherheitsprobleme im Land, die er vor allem auf eine falsche Zuwanderungspolitik zurückführte. Bundeskanzler
Kern warnte vor einer "Gewalt der Worte", da es ein denkbar kurzer Weg von der Zuspitzung einer Debatte
zu brennenden Flüchtlingsheimen sei. Neben den sicherheitspolizeilichen Maßnahmen, die bereits Wirkung
zeigten, setze die Regierung vor allem auf Integration, da man den Menschen Zukunftsperspektiven bieten müsse.
Strache fordert neuen Stil und mehr Ehrlichkeit in Sachen Asyl und Sicherheit
Es sei unredlich und unehrlich, der Bevölkerung falsche Zahlen in Sachen Asyl zu präsentieren, kritisierte
FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache. Die BürgerInnen hätten ein Recht darauf, korrekt informiert
zu werden, zumal sie auch die Zeche für die verfehlte Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik der Regierung
zahlen müssen. Die Fakten – es gibt mehr als 22.000 Asylanträge - müssen auf den Tisch gelegt werden,
forderte er. Da man davon ausgehen könne, dass Österreich nur einen minimalen Anteil an Flüchtlingen
zurückschieben wird, müssten auch die Dublin-Fälle dazugerechnet werden. Der von Bundeskanzler Christian
Kern angekündigte neue Stil sei damit jedenfalls schon wieder Geschichte und die zahlreichen Vorschusslorbeeren,
die er bei seinem Amtsantritt geerntet hat, verwelkt, urteilte Strache. Gleichzeitig müsse man den Schluss
ziehen, dass die ausgerufenen Richtwerte bzw. Obergrenzen offenbar nur ein Marketinggag waren. Ganz überraschend
sei die Vorgangsweise von Kern nicht, da er schon als ÖBB-Chef im vorigen Jahr mitgeholfen habe, tausende
Menschen illegal durch Österreich zu transportieren.
Trotz der enormen aktuellen Herausforderungen schaffe es auch die EU nicht, gemeinsame Lösungen zu entwickeln,
führte Strache aus, der ein komplettes Versagen beim Schutz der Außengrenzen konstatierte. Er verstehe
auch nicht, wie man auf eine Partnerschaft mit einem Land – nämlich die Türkei - setzen könne, das
sich so unglaublich negativ entwickelt hatte. Umso mehr seien daher nationale Antworten gefragt, um die zahlreichen
Sicherheitsprobleme vor Ort, die von Bandenkriminalität bis hin zu Drogenhandel auf offener Straße reichen,
zu bewältigen. Ein Blick in die Statistik zeige etwa, dass sich die Anzahl der ausländischen Tatverdächtigen
von 2001 bis 2015 verdoppelt hat. All dies seien Auswirkungen einer "ungeordneten Massenzuwanderung unter
dem Deckmantel des Asylgesetzes", war Strache überzeugt. Dennoch habe man das Versprechen, zusätzlich
2.000 PolizistInnen einzusetzen, noch immer nicht eingehalten, bemängelte Strache.
Kern für Versachlichung der Diskussion und für konstruktive Lösungen
Mit einem nachdrücklichen "Plädoyer für einen zivilisierten Tonfall" reagierte Bundeskanzler
Christian Kern auf die Wortmeldung des FPÖ-Klubobmann. Die Geschichte sollte uns gelehrt haben, dass sich
eine Gewalt der Worte sehr rasch in eine Gewalt der Taten entladen könne. "Die Geister, die Sie rufen,
werden auch Sie so schnell nicht los werden", sagte er zu Strache. Man sollte daher tunlichst "aufpassen,
eine Konstruktion zu schaffen, wo es um das Wir und die Anderen geht, die Minderwertigen, die Unerwünschten,
die, die wir nicht in unserem Land haben wollen". Kern war zudem überzeugt davon, dass sich auch die
BürgerInnen von der Politik einen anderen Umgang mit den angesprochenen Problemstellungen erwarten.
Es sei natürlich vollkommen richtig, dass man sich den Realitäten stellen müsse, räumte Bundeskanzler
Kern ein. Österreich stehe vor großen Herausforderungen und davor wolle auch niemand die Augen verschließen.
Die Frage sei nur, welche Antworten man darauf gibt. Die Regierung setze beim Thema Zuwanderung z.B. auf die Verkürzung
von Asylverfahren, den Abschluss von Rückführungsabkommen, die verstärkte Hilfe vor Ort und vor
allem auf die rasche Integration der Menschen, die bereits im Land sind. Kern versicherte auch, dass es bei kriminellen
Taten keine falsch verstandene Toleranz geben dürfe. Die in den letzten Wochen beschlossenen sicherheitspolizeilichen
Maßnahmen greifen bereits, es werde auch bis zum Jahr 2019 zusätzliche 2.000 PolizistInnen geben. Durch
eine Kooperation mit dem Bundesheer, das MitarbeiterInnen für die Bewachung von Botschaften abstellt, werden
weitere 170 ExekutivbeamtInnen frei gespielt, informierte Kern. Im Sinne der Prävention müsse man aber
vor allem alles daran setzen, dass die Menschen Zukunftsperspektiven bekommen, Bildungschancen erhalten und sich
am Arbeitsmarkt integrieren können. Was die EU-Politik anbelangt, so mache es wenig Sinn, den Türkei-Deal
zu kritisieren, wenn man keine besseren Alternativvorschläge hat.
Mit einem Konnex zur EURO 2016 schloss Kern seine Rede. Das österreichische Fußballteam mit Spielern
wie Alaba, Dragovic, Junuzovic etc. sei ein Spiegel unserer Gesellschaft und unserer Geschichte. Dies zeige auch,
welche Chancen in gesellschaftlichen Entwicklungen liegen, wenn man gemeinsam versucht, Lösungen zu finden.
SPÖ und ÖVP-VertreterInnen mahnen konstruktive und lösungsorientierte Debatte ein
Seine Fraktion stehe dafür, beim Flüchtlingswesen mit offenen Karten zu spielen, erklärte Klubobmann
Andreas Schieder (S), denn es mache keinen Sinn, Dinge schön zu reden. Andererseits helfe es aber niemanden,
wenn Entwicklungen dramatisiert und Ängste geschürt werden. Vielmehr seien Realismus, Respekt und die
Beachtung der Menschenwürde gefragt, unterstrich der Redner. Dazu gehören für ihn rasche Entscheidungen
in Asylverfahren und in der Folge ein Bündel an Integrationsmaßnahmen, die von Ausbildungsangeboten
bis hin zu Sprachkursen reichen. Auf EU-Ebene müsse man sich dafür einsetzen, dass es zu einer fairen
Aufteilung auf alle Mitgliedstaaten kommt und dass weitere Rückführungsabkommen abgeschlossen werden.
Schieder forderte sodann die FPÖ auf, sich klar und deutlich von Facebook-Postings zu distanzieren, die zu
Gewalt aufrufen. Eine Verrohung der Sprache führe unweigerlich zu mehr Gewalt, befürchtete auch Otto
Pendl.
ÖVP-Mandatar Werner Amon räumte ein, dass gewisse Migrationsentwicklungen unterschätzt wurden und
man sich zu lange auf das Dublin-Verfahren verlassen hat. Es sei aber nicht zuletzt der Bundesregierung zu verdanken,
dass intensiv Lösungen gesucht und - wie etwa im Rahmen der Balkankonferenz oder durch die Festlegung von
Obergrenzen – auch gefunden wurden. Diese Vorgangsweise sei ohne Zweifel sinnvoller als eine fragwürdige Besuchs-
und Einladungspolitik der Freiheitlichen, war Amon überzeugt. Sein Fraktionskollege Wolfgang Gerstl wies in
diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Asylantragszahlen im Mai 2016 um 40% niedriger lagen als im Vorjahr. Seiner
Ansicht nach ist aber nun die Europäische Union massiv gefordert, eine gemeinsame Linie zu entwickeln, da
sie sonst selbst ernsthaft in Gefahr gerät.
FPÖ steht für den Schutz der Interessen der eigenen Bevölkerung
FPÖ-Abgeordneter Gernot Darmann kritisierte den überheblichen Ton in der Rede des Bundeskanzlers, der
die Sorgen der Bevölkerung offensichtlich nicht ernst nehme. Auch Walter Rosenkranz (F) sprach von unerträglichen
Arroganz der herrschenden politischen Kaste, die etwa über zwei Millionen WählerInnen als rechtsextrem
verunglimpfe. Die BürgerInnen leiden nach Meinung der Redner massiv unter einer unkontrollierten Massenzuwanderung,
deren Ende noch lange nicht absehbar sei. Die Aussage von Kern, wonach die Fremden, die nach Österreich gekommen
sind, wahrscheinlich dauerhaft bleiben werden, wertete Darmann als verantwortungslose Fortsetzung der Einladungspolitik
der letzten Jahre und Monate. So gebe es etwa kein Asylrecht für Menschen, die aus sicheren Drittstaaten einreisen
wollen. Außerdem sollten die Sozialleistungen von Zuwanderern, die erst seit kurzem im Land sind und nie
gearbeitet haben, gekürzt werden. "Hören Sie auf, zu diskutieren und fangen Sie an, zu regieren!"
Wenn man diese Verantwortung nicht tragen will, dann sollte man den Weg frei machen für Neuwahlen, forderte
er.
Grüne gegen nationale Abschottungspolitik und mehr Hilfe vor Ort und für die Nachbarländer
Laut UN-Berechnungen sind derzeit 60 Millionen Menschen auf der Welt auf der Flucht, hob Alev Korun von den Grünen
hervor. Dies sei die höchste Zahl seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Hauptverantwortlich dafür seien
die Kriegsschauplätze in Syrien, Irak, Eritrea oder Sudan, wo es zu Vertreibungen, Massenmorden, Vergewaltigungen
und Folter kommt. Dies habe u.a. dazu geführt, dass in Nachbarländern wie z.B. dem Libanon, jeder vierte
Bewohner bereits ein Flüchtling ist. Und genau vor diesem Hintergrund sollte man auch die Debatte in Österreich
führen, argumentierte Korun. Es zeige sich nämlich, dass Obergrenzen keinen Sinn machen und dass man
auf gemeinsame Lösungen angewiesen ist. Das Modell der Grünen sieht daher u.a. verbindliche Quoten für
alle EU-Länder sowie eine budgetäre Abgeltung für jene Staaten vor, die mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Albert Steinhauser (G) wiederum appellierte an die Freiheitlichen, ihre "Internet-Seiten sauber zu halten",
wo u.a. Morddrohungen gegen den Bundeskanzler zu finden waren. Diese Polarisierung, die Österreich an den
Rand des Abgrunds treibe, habe die FPÖ zu verantworten. Im Gegensatz dazu gebe es zum Glück ganz viele
Menschen in der Zivilgesellschaft, die die Probleme erkannt haben und sich in den verschiedensten Bereichen ehrenamtlich
engagieren; dafür sei er dankbar. Die Politik müsse diese Personen aber noch viel mehr unterstützen,
forderte Steinhauser.
NEOS: Schnellere Verfahren, Rückführungsabkommen, Ressettlementprogramme und Integration vom ersten
Tag an
NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak unterstützte die Forderung nach einer sachlichen Debatte, weil man sonst zu
keinen konstruktiven Lösungen kommen kann. Es würde sicher auch sehr helfen, wenn die Bundesregierung
mit einer Stimme spreche, da sonst die Bevölkerung weiter verunsichert werde. Wichtig wären auch die
Beschleunigung der Asylverfahren, die Forcierung der Rückführungsabkommen sowie ein Ausbau der Resettlementprogramme.
Auch der Ankündigung, wonach Integrationsmaßnahmen ab dem ersten Tag an beginnen müssen, könne
er sich nur anschließen. Den schönen Worten müssen aber immer auch Taten folgen, schloss Scherak.
Auch wenn die Bundesregierung die Asylzahlen nicht optimal kommuniziert habe, könne man nicht sofort einen
Zusammenhang mit den Sicherheitsproblemen im Land herstellen, wie das die FPÖ immer mache, bemängelte
Nikolaus Alm. Sorgen bereitete ihm die beschlossene Notverordnung, da nicht genau definiert wurde, wann diese zum
Tragen kommen soll.
Team Stronach: Hilfe vor Ort würde viel weniger Kosten verursachen
Robert Lugar vom Team Stronach übte grundsätzliche Kritik an der Asylpolitik der Regierung. Wenn man
nämlich wirklich helfen wollte, dann sollte man vorrangig Frauen und Kinder, die am meisten unter Kriegssituationen
leiden, ins Land lassen und nicht wie bisher mehrheitlich junge Männer. Damit folge man offenbar dem Plan
der EU-Kommission, in den nächsten Jahren bis zu 17 Millionen Arbeitskräfte nach Europa zu holen, vermutete
Lugar. Die Opposition habe schon so viele Vorschläge gemacht, die aber alle nicht umgesetzt wurden. Als Beispiele
nannte er die Abschiebung von nicht anerkannten Flüchtlingen in Militärmaschinen, die Einrichtung von
so genannten Wartezentren in Nordafrika oder die verstärkte Hilfe vor Ort, was der EU viel billiger kommen
würde. Martina Schenk (T) zeigte sich enttäuscht von den Ausführungen Kerns, der viele Antworten
schuldig geblieben sei. Es sei nicht verwunderlich, dass sich auch die Bevölkerung nicht auskenne, welche
Linie die Regierung nun verfolgt, da die einzelnen Minister oft widersprüchliche Feststellungen treffen.
Rupert Doppler (A) trat für einen sorgfältigeren Umgang mit den Zahlen und Fakten ein, da die BürgerInnen
ein Recht auf eine korrekte Information haben. Außer Frage stehe für ihn, dass nicht nur die Regierung,
sondern auch die EU in der Flüchtlingsfrage völlig versagt habe.
Zu einem ähnlichen Urteil kam Abgeordnete Susanne Winter (A), die darauf drängte, einfach nur die bestehenden
Gesetze einzuhalten. Wenn die westliche Welt weiterhin die Heimatländer von so vielen Menschen zerbombt und
deren Rohstoffe ausbeutet, dann brauche man sich nicht zu wundern, dass es Massenmigration gibt. Wenig förderlich
war natürlich auch die Einladungspolitik der Bundeskanzlerin Merkel, urteilte Winter.
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