Mitterlehner zeigt wenig Verständnis für Vorgangsweise der EU-Kommission
Brüssel/Wien (pk) - Der EU-Unterausschuss des Nationalrats beauftragte am 22.06. mit den Stimmen von
SPÖ und ÖVP mittels bindender Stellungnahme die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, sich
in den EU-Gremien dafür einzusetzen, dass CETA - das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Comprehensive
Economic and Trade Agreement) - als "gemischtes Abkommen" qualifiziert wird. Dies bedeutet, dass nach
Sicht des Ausschusses die nationalen Parlamenten den Vertrag genehmigen müssen, weil sowohl nationale als
auch EU-Kompetenzen davon betroffen seien. Einer Genehmigung von CETA als "EU-only"-Abkommen – also ohne
Zustimmung der nationalen Parlamente - sollte demnach keine Zustimmung auf EU-Ebene erteilt werden, heißt
es im Antrag. Die Abgeordneten weisen in diesem Zusammenhang auch auf die einheitliche kritische Stellungnahme
der Bundesländer vom 11. Mai 2016 hin und ersuchen die Regierung, diese auch weiterhin zu berücksichtigen.
Auch die Opposition stimmte dieser Interpretation, wonach es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, vollinhaltlich
zu, hielt aber den koalitionären Antrag für nicht ausreichend und zu unklar formuliert. Er enthalte für
die Regierung Schlupflöcher, so der kritische Tenor dazu.
Die Abgeordneten sehen sich in ihrer rechtlichen Auffassung auch durch die beiden Rechtsgutachten der Parlamentsdirektion
und des Völkerrechtsbüros bestätigt. Diese beiden Rechtsgutachten sind nach einstimmigem Beschluss
des Ausschusses auch auf der Website der Parlamentsdirektion abrufbar.
In dieser Frage gab es auch völlige Übereinstimmung mit Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold
Mitterlehner. Er ließ keine Zweifel daran, dass er das Ergebnis der Verhandlungen zu CETA für gut hält,
aber immer die Einstufung als gemischtes Abkommen verlangt hat, damit die nationalen Parlamente darüber abstimmen
müssen. In der Sitzung des Rats der EU am 13. Mai 2016 habe er daher diese Auffassung auch in einer Protokollerklärung
unmissverständlich festgehalten. Gleichzeitig habe er auch auf die einheitliche Stellungnahme der Bundesländer
hingewiesen, in der sich diese gegen eine vorläufige Anwendung des Abkommens aussprechen, informierte er die
Ausschussmitglieder.
Anträge der Opposition abgelehnt
Die Anträge der Freiheitlichen und Grünen erhielten nicht die erforderliche Unterstützung. Die FPÖ
forderte darin einerseits, die Bundesregierung möge sich auf europäischer Ebene einheitlich und klar
gegen eine vorläufige Anwendung von CETA aussprechen. Andererseits wollte sie die Bundesregierung binden,
im Europäischen Rat sowie in allen anderen EU-Gremien gegen den Abschluss bzw. die Genehmigung des Freihandelsabkommens
CETA zu stimmen. Die jeweilige Unterstützung der Anträge durch FPÖ, Grüne und Team Stronach
reichte nicht für eine Mehrheit aus.
Ebenso wenig durchsetzen konnten sich die Grünen mit ihrem Antrag, die Bundesregierung möge dafür
eintreten, dass CETA als gemischtes Abkommen gewertet wird, und andernfalls CETA im Rat durch Österreich abzulehnen
sei. Sie erhoben ferner die Forderung, eine vorläufige Anwendung von CETA auf europäischer Ebene abzulehnen
und dem Abkommen so lange nicht zuzustimmen, solange die Forderungen der einheitlichen Länderstellungnahme
nicht erfüllt sind.
Rechtsgutachten untermauern Mitbestimmungsrechte des Parlaments
Der EU-Unterausschuss hat heute die am 13. April 2016 vertagten Verhandlungen zu CETA wieder aufgenommen, nachdem
nun auch das von Nationalratspräsidentin Doris Bures auf Ersuchen des Ausschusses in Auftrag gegebene Gutachten
der Parlamentsdirektion vorliegt. CETA ist nach Auffassung des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienstes
von allen Mitgliedstaaten nach deren innerstaatlichen Regelungen zu ratifizieren und daher auch vom österreichische
Parlament zu genehmigen, da es als "gemischtes Abkommen" der Union und ihrer Mitgliedstaaten sowohl EU-Kompetenzen
als auch nationale Kompetenzen betrifft.
Dem österreichischen Parlament kommen auch in Bezug auf die CETA-Beschlüsse im Rat der EU – d.h. in Bezug
auf die Unterzeichnung, die vorläufige Anwendung und den Abschluss des Abkommens – weitreichende Mitwirkungsrechte
zu. Es muss vom zuständigen Mitglied der Bundesregierung über geplante Entscheidungen des Rats unverzüglich
unterrichtet werden. Nationalrat und Bundesrat können dazu Stellung nehmen. Der Nationalrat kann auch das
Abstimmungsverhalten des österreichischen Mitglieds im Rat mit einer bindenden Stellungnahme bestimmen (siehe
auch Meldungen der Parlamentskorrespondenz Nr. 368/2016 und 692/2016).
Mitterlehner kritisiert Vorgangsweise der EU-Kommission
Die Debatte über die Einstufung von CETA als "gemischtes" bzw. "EU-only-Abkommen"
ist auch deshalb so brisant, weil jüngst durchgesickert ist, dass die EU-Kommission dahin tendiert, dieses
als reine Angelegenheit der EU zu betrachten. Ihre Entscheidung darüber will die Kommission am 5. Juli bekannt
geben. Im Rat müssten dann alle 28 Mitgliedsländer einstimmig dagegen sein und die Einstufung als gemischtes
Abkommen verlangen. Diese Einstimmigkeit sei vermutlich nicht gegeben, sagte Mitterlehner im Ausschuss, nachdem
Italien offensichtlich einen Schwenk vollzogen hat. In der Sitzung des Rats vom 13. Mai hätten nämlich
alle Minister die Auffassung vertreten, dass den nationalen Parlamenten ein Zustimmungsrecht zukommt, dies sei
auch vom juristischen Dienst des Rates bestätigt worden. Der italienische Minister habe seine Haltungsänderung
damit erklärt, dass CETA für Italien wichtig und eine rasche Umsetzung für die Glaubwürdigkeit
der EU von Bedeutung sei.
Sollte CETA tatsächlich als reines EU-Abkommen bewertet werden, dann müssen EU-Parlament und der Rat
der EU im Herbst dem Vertrag mehrheitlich zustimmen, damit er in Kraft treten kann. Österreich hat im Rat
bei dieser Abstimmung jedoch kein Veto-Recht, denn dann sei lediglich eine qualifizierte Mehrheit erforderlich.
Die Frage der vorläufigen Anwendung erübrige sich dann, sagte der Minister.
Mitterlehner zeigte kein Verständnis dafür, dass sich die EU-Kommission über den Willen der überwältigenden
Mehrheit der Mitgliedsländer hinwegsetzt und kritisierte die Haltung der Kommission als schädlich sowohl
für die EU als auch im Hinblick auf TTIP. "Ich stehe nicht für diese Vorgangsweise", bekräftigte
er. Denn selbst bei einer noch so kleinen Kompetenzlücke der EU müssten die nationalen Parlamente mitreden.
Er habe daher auch an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie an Kommissarin Cecilia Malmström
geschrieben und seine Bedenken dargelegt. Man gewinne mit einem solchen Vorgehen vielleicht internationale Reputation
im Handelsbereich, gab der Vizekanzler zu bedenken, aber bei der internen Glaubwürdigkeit in Bezug auf Demokratie
und Rechtstaatlichkeit verliere man. Ebenso wäre die Glaubwürdigkeit von EU-Kommissarin Malmström
beschädigt, meinte er.
Nachdem er das Abkommen für ein gutes halte, halte er es auch für richtig und wichtig, darüber im
Parlament zu diskutieren. Er stehe daher auch für eine parlamentarische Enquete noch vor dem 21. September
2016 zur Verfügung, betonte er, nachdem vor allem die Grünen darauf gedrängt hatten.
Abgeordnete empört über Kommission
Die "kritische Reflexion" des Wirtschaftsministers wurde von Abgeordnetem Cap ausdrücklich positiv
hervorgehoben. Der Enteignungs- und Investitionsschutz seien klar nationalstaatliche Kompetenzen, betonte Christoph
Matznetter (S). Die Regierung müsse dagegen vorgehen, dass die EU in nationalstaatliche Kompetenzen eingreift.
In diesem Sinne nannte er das Vorgehen von Kommissarin Malmström als irritierend, da sie den Abgeordneten
gegenüber immer von einem gemischten Abkommen gesprochen habe. Matznetter meinte zudem, dass die Kommission
ja auch zwei Abkommen hätte verhandeln können – ein reines Handelsabkommen und ein weiteres, in dem man
andere Punkte aufnimmt.
FPÖ-Abgeordneter Johannes Hübner sprach in diesem Zusammenhang von einem "Verfassungsputsch"
der EU-Kommission. Er machte auch darauf aufmerksam, dass ein Scheitern des Ratifizierungsprozesses nichts an der
dauernden vorläufigen Anwendung ändere. Das komme einer endgültigen Ausschaltung der nationalen
Parlamente gleich, so Hübner.
Für Werner Kogler (G) spielen sich hier "ablehnungswürdige Dinge" ab, die Europäische
Kommission spielt für ihn falsch. Dies auch deshalb, weil im Jahr 2011 das Verhandlungsmandat um die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit
ausgeweitet wurde und man damals die Qualifizierung von CETA als gemischtes Abkommen im Mandat festgehalten habe.
Sollte die EU-Kommission versuchen, an den nationalen Parlamenten vorbei zu gehen, sei hier ein Stopp vorzunehmen.
In diesem Zusammenhang ist Kogler zufolge auch ein Weg zum Europäischen Gerichtshof angebracht, weil die Kommission
bei der Einschätzung eines EU-only-Abkommens offensichtlich etwas Rechtswidriges vorschlägt, sagte Kogler.
An den nationalen Parlamenten könne kein Weg vorbeigehen, betonte auch Waltraud Dietrich vom Team Stronach,
Rainer Hable von den NEOS bekräftigte ebenfalls diese Auffassung.
SPÖ und ÖVP: Die Unterschiede in der Gemeinsamkeit
Auch wenn SPÖ und ÖVP einen gemeinsamen Antrag vorgelegt haben, wurde in der Debatte doch die unterschiedliche
inhaltliche Einschätzung des Abkommens durch die beiden Koalitionsparteien evident. Angelika Winzig (V) machte
nochmals auf die aus ihrer Sicht positiven Punkte von CETA aufmerksam und meinte, in den Verhandlungen seien allen
Forderungen und Kritikpunkten Rechnung getragen worden. Sie nannte vor allem die Einführung eines bilateralen
Investitionsgerichts mit unabhängigen RichterInnen und die Schaffung einer Berufungsinstanz. Darüber
hinaus gebe es Verfahrenserleichterungen für Klein- und Mittelbetriebe (KMU), eine umfassende Absicherung
der öffentlichen Dienstleistungen und die Öffnung des kanadischen Beschaffungsmarkts, was insbesondere
für die Sektoren Energie und Transport in Österreich von Bedeutung ist. Das Nachhaltigkeitskapitel sei
integraler Bestandteil des Abkommens und durch das "right-to-regulate" sei das hohe heimische Schutzniveau
gesichert.
Von den Oppositionsparteien äußerte sich lediglich Rainer Hable (N) positiv zu CETA. Den Investitionsschutz
hält er für notwendig, das right-to-regulate stellt für ihn eine wichtige Signalwirkung dar. Das
Handelsabkommen sei vor allem für die Klein- und Mittelbetriebe wichtig, da diese am meisten unter den Handelshemmnissen
leiden. Wenn jemandem die Klein- und Mittelbetriebe als Rückgrat der österreichischen Wirtschaft ein
Anliegen seien, dann sei weniger Populismus und mehr Sachlichkeit gefragt, appellierte er. Ebenso Wolfgang Gerstl
von der ÖVP, der seine KollegInnen im Ausschuss dazu aufforderte, die Emotionen heraus zu nehmen.
Dieser uneingeschränkten positiven Einschätzung konnten sich die SPÖ-Abgeordneten nicht anschließen.
Stein des Anstoßes ist bei den SozialdemokratInnen vor allem der Investitionsschutz und das Streitbeilegungsverfahren.
"Die SPÖ will das gar nicht", hielt Josef Cap für seine Fraktion fest, eine vorläufige
Anwendung des Investitionsschutzes komme nicht in Frage. Er habe den Eindruck, dass man etwas durchdrücken
wolle, was über einen Handelsvertrag hinausgeht, sagte er und warnte davor, dass die EU auf die Situation
einer existentiellen Debatte zusteuere. Noch deutlicher wurde Daniela Holzinger-Vogtenhuber (S), als sie die Frage
stellte: "Wollen wir ein Abkommen mit diesem Inhalt?" Sie erinnerte in diesem Zusammenhang an die Entschließung
des Nationalrats vom 24. September 2014, in dem nicht nur die Forderung nach Umsetzung des ILO-Übereinkommens
(Internationale Arbeitsorganisation) durch die Freihandelspartner gefordert wird, sondern auch die Sinnhaftigkeit
von Investitionsschutzklauseln bei Abkommen mit Staaten mit entwickelten Rechtssystemen in Zweifel gezogen wird.
Die ILO-Normen seien im CETA-Abkommen nur unverbindlich enthalten, bemängelte Holzinger-Vogtenhuber, und mit
den Sonderklagsrechten für Konzerne schaffe man eine Paralleljustiz. Außerdem sei nicht sicher, ob ehemals
national tätige RichterInnen in Zukunft objektiv und unabhängig entscheiden.
Dem gegenüber warf Wolfgang Gerstl von der ÖVP einen kritischen Blick auf die amerikanische Justiz. Diese
könnte vor allem bei Kleinunternehmen zu falschen Einschätzungen kommen, warnte er, Großkonzerne
würden solche Schiedsgerichte ohnehin nicht mehr brauchen.
NEOS für CETA; FPÖ, Grüne und Team Stronach dagegen
Ähnlich die Einschätzung von NEOS-Abgeordnetem Rainer Hable. Die Investitionsgerichte stellen ihm
zufolge einen wesentlichen Fortschritt dar. Jeder wisse, was es heiße, bei amerikanischen Gerichten zu klagen,
ging er mit Gerstl (V) konform. Die Vereinbarung von Schiedsklauseln sei Gang und Gebe und sicheren den Vertragspartnern
aus unterschiedlichen Ländern eine objektive Rechtsordnung.
Völlig gegen das CETA-Abkommen sprachen sich FPÖ, Grüne und Team Stronach aus. Den Klein- und Mittelbetrieben
nützten die Schiedsgerichte gar nichts, meinte Johannes Hübner (F), Schiedsgerichte griffen in die nationale
Gesetzgebung ein, warnte er. Grundsätzlich befürchtet er abermals einen zu großen Druck der Weltmacht
USA auf die EU. Ebenso sprach sich Waltraud Dietrich (T) gegen die Schiedsgerichte aus. Freihandelsabkommen seien
wichtig und gut, diese könne man aber auch abschließen, ohne in die Souveränitätsrechte von
Staaten einzugreifen. Das Parlament dürfe nicht zu viel aus der Hand geben, so Dietrich, man müsse auch
genau hinschauen, welche Macht man den Konzernen gibt.
Auch die Grünen lehnen die Investitionsgerichte völlig ab, eine Machtverschiebung weg von den BürgerInnen
und Parlamenten hin zu den Konzernen kommt für sie nicht in Frage. Sie befürchten auch, dass das Vorsorgeprinzip
in wesentlichen Teilen ausgehöhlt wird. Wolfgang Pirklhuber (G) zitierte dazu eine Studie der Universität
Göttingen. Ebenso sieht er die Gentechnikfreiheit in Österreich in Gefahr. US-Firmen in Kanada könnten
klagen, warnte er. Dem widersprach Wolfgang Gerstl (V) heftig und stellte fest, das Vorsorgeprinzip sei durch das
WTO-Abkommen gesichert.
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