WKÖ-Präsident Leitl warnt vor dem Wirtschaftsparlament vor „Old Deal“: Maschinen-
bzw. Computersteuer und kürzere Arbeitszeit lösen Zukunftsprobleme nicht
Wien (pwk) - In seinem Bericht zur Lage der österreichischen Wirtschaft betonte Präsident Christoph
Leitl am 30.06. vor dem Wirtschaftsparlament der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), dass der Austritt
Großbritanniens aus der EU jetzt dringend nach Neuorientierung und neuen Lösungen verlange, um den Schaden
für die Menschen und die Betriebe möglichst gering zu halten: „Der Brexit bewegt Österreich, das
Ende der EU wird in der politischen Diskussion ebenso in Aussicht gestellt wie ein Öxit. Zeitgleich mit dieser
Debatte fand am Dienstag der Europatag der Jugend in der WKÖ statt. Das war ein Zeichen der Ermutigung, denn
die Jugend sieht in Europa ein persönliche Zukunft, wo sie ihre Wünsche und Erwartungen verwirklichen
wollen.“ Als Zeichen der Verbundenheit mit den Menschen und der Wirtschaft in Großbritannien haben daher
die Wirtschaftskammer Steiermark und die WKÖ 12 junge Menschen aus dem Vereinigten Königreich zu europapolitischen
Gesprächen in die Steiermark eingeladen.
Eine Neuorientierung Europas nach dem Brexit könnte, so Leitl, darin bestehen, eine breite Wirtschaftszone
zu bilden, wo Großbritannien ebenso dabei sein könne wie die Türkei oder auch Russland. Darüber
könnte es die EU 27, also den künftigen Ist-Zustand, geben. Aber zugleich sollte denjenigen EU-Staaten,
welche stärker zusammenarbeiten wollen, dazu die Möglichkeit gegeben werden. Leitl: „Wir brauchen in
einem Europa der unterschiedlichen Interessen und Geschwindigkeiten auch eine Union der Zusammenarbeitswilligen.“
Zugleich müsse sich Europa inhaltlich verändern: Weniger Bürokratie, mehr Subsidiarität, gemeinsame
Lösung der Flüchtlingsfrage, Ankurbelung der Wirtschaft und Kampf gegen die Arbeitslosigkeit seien die
zentralen Themen. Leitl: “Europa stellt 7 Prozent der Weltbevölkerung. Wir stehen für 25 Prozent der
globalen Wirtschaftsleistung und für 50 Prozent der weltweiten Sozialleistungen. Die Frage ist, wie können
wir diese Standards erhalten. Ich sage klar in Bezug auf den Zusammenhalt in der EU: Nur mit Kooperation, aber
nicht mit Isolation.“
Was den dringendsten Änderungsbedarf in Österreichs betrifft, so bezeichnete Leitl Bildung und Qualifikation
als die wichtigsten Schlüsselbereiche für eine positive Zukunft: „Und wenn ich von der Gewerbeordnung
etwas verlange, dann die Sicherung der Qualifikation der Jugend, der Mitarbeiter und die Sicherung der Qualität
für die Konsumenten.“ Und Österreich müsse auch die Migration eine Chance sehen. Es gebe etliche
Bereiche wie etwa die Pflege, wo Österreich in Zukunft mehr Fachkräfte brauche. Hier gebe es Chancen
für Flüchtlinge zum beidseitigen Vorteil. Und nicht zuletzt müsse es rasch Anreize für mehr
Investitionen und für Innovation geben. Hier hätten alle Fraktionen im Präsidium der WKÖ dem
Finanzminister einen gemeinsamen Vorschlag übergeben.
Zur aktuellen politischen Debatte warnte Leitl davor, dass aus dem angekündigten „New Deal“ von Bundeskanzler
Kern ein „Old Deal“ werden könnte: „Mit kürzeren Arbeitszeiten, mit einer Maschinen- bzw. Computersteuer,
mit mehr Steuern und Abgaben, mit Instrumenten der Vergangenheit werden wir die Probleme der Zukunft nicht lösen.
Der ehemalige deutsche SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hat erst in dieser Woche bei einem Vortrag in der
Wirtschaftskammer Österreich gemeint, dass die Maschinensteuer so ziemlich das letzte ist, was ihm jetzt als
Lösung einfällt. Das sollte auch der österreichische Bundeskanzler im Interesse des Standorts berücksichtigen.“
Um den Wirtschaftsstandort Österreich zu verbessern und die Arbeitslosigkeit zu senken, sei etwa – was auch
AMS-Chef Johannes Kopf bestätigt -eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten nötig. Leitl: „Die beschlossene
Senkung der Lohnnebenkosten um 1 Milliarde ist ein wichtiger erster Schritt. Wir wollen aber eine Senkung um 5
Prozent. Damit würde es 10.000ende Arbeitsplätze mehr in Österreich geben.“
Während es gelungen ist, mit gemeinsamer Anstrengung eine flächendeckende Maut zu verhindern, sei eine
notwendige Entlastung der Gasthäuser noch nicht erreicht worden. Leitl: „Bei den Wirten gibt es ein Gefühl
der Diskriminierung und der Nicht-Wertschätzung. Das tut mir in der Seele weh. Die Wirtschaftskammer wird
daher eine Verfassungsklage gegen die angepeilte Regelung bei Festen von politischen Vorfeldorganisationen unterstützen.
Und wir unterstützen auch eine spezifische Investitionsförderung, weil Wirte wichtige ‚Menschenbetreuer‘
sind, weil sie ein wichtiger Bestandteil unserer Lebenskultur sind.“
Nicht zuletzt wies Leitl darauf hin, dass die Vertrauenswerte der Wirtschaftskammern bei der österreichischen
Bevölkerung zuletzt trotz der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage deutlich gestiegen sind: „Ich
habe das nicht erwartet, aber ich freue mich sehr darüber. Es wird offenbar honoriert, dass wir unseren Mitgliedern
glaubhaft versprechen, bei der Lösung von Problemen zu helfen. Und das tun wir, auch wenn wir nicht alle Probleme
lösen können.“ Anlass zur Freude gebe aber auch, dass die Wirtschaftskammer erstmals über 500.000
Mitglieder habe: „Das zeigt, dass der unternehmerische Sektor in Österreich allen Schwierigkeiten zum Trotz
wächst.“ Um den Herausforderungen der Digitalisierung erfolgreich zu begegnen, werde derzeit auch eine weitere
Modernisierung der Wirtschaftskammer vorbereitet.
|