Internationale ExpertInnenrunde diskutiert im Parlament über Handlungsbedarf durch Flüchtlingsbewegungen
und Katastrophen
Wien (pk) - "Die humanitäre Not hat ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht", wies
Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf am 29.06. in seiner Begrüßung zu Beginn der Podiumsdiskussion
"Humanitarian Aid – too important to fail" auf die enormen Herausforderungen hin, vor denen die humanitäre
Hilfe heute steht. 125 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe - 60 Millionen Menschen, die größte
Anzahl seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, sind weltweit vor Gewalt auf der Flucht. Der erste World Humanitarian
Summit im Mai dieses Jahres in Istanbul, wo der dringende Handlungsbedarf für effektive humanitäre Maßnahmen
aufgezeigt wurde, kam gerade rechtzeitig, so Kopf. Denn klar sei, dass die Bereitstellung von ausreichend Geldmitteln
für humanitäre Hilfe eine zentrale Aufgabe ist, es aber auch um verstärkte politische Anstrengungen
geht, Lösungen für Konflikte zu suchen. Österreich hat in beiden Bereichen seine Anstrengungen bereits
erhöht und wird sich weiterhin dafür einsetzen, betonte Kopf, der gemeinsam mit dem Außenministerium
und der AG Globale Verantwortung zu dieser Diskussion ins Parlament eingeladen hatte.
Am Podium diskutierten ExpertInnen, die auch am World Humanitarian Summit (WHS) teilgenommen hatten: UN-Nothilfekoordinatorin
Kyung-wha Kang und der ehemalige Generaldirektor für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der EU-Kommission
(ECHO) Claus Haugaard Sorensen, die Nationalratsabgeordnete und SPÖ-Bereichssprecherin für globale Entwicklung
Petra Bayr, Peter Launsky-Tieffenthal, Leiter der Sektion für Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium,
der Generalsekretär des Roten Kreuzes Werner Kerschbaum und der Generalsekretär für internationale
Zusammenarbeit der Caritas Christoph Schweifer. Moderiert wurde die Diskussion von Annelies Vilim, Geschäftsführerin
des Dachverbandes Globale Verantwortung für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.
UN-Nothilfekoordinatorin Kyung-wha Kang fasste zusammen, welche dringenden Anliegen beim World Humanitarian Summit,
der auf UN-Initiative gemeinsam mit Regierungsvertretern und ExpertInnen als "Multi-Stakeholder-Process"
stattfand, formuliert wurden. Für den Bedarf an Unterstützung ist kein Ende in Sicht, so Kang. Es brauche
bessere Wege, Konflikten auch vorzubeugen, dafür sei die Zusammenarbeit auf allen Ebenen unerlässlich.
Forderungen bei dem Gipfel an die politisch Verantwortlichen waren unter anderem, entschlossener gegen Menschenrechtsverletzungen
vorzugehen und den Schutz der Zivilbevölkerung zu stärken. Es ging aber auch darum, mehr adäquate
Finanzhilfe zu leisten und die Mittel effizient einzusetzen. Darüber hinaus müssten lokale Behörden
in die Lage versetzt werden, besser auf Krisen zu reagieren.
Es gehe mittlerweile sogar um eine viel größere Herausforderung als die Versorgung der 125 Millionen
Menschen, sagte der ehemalige Generaldirektor für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der EU-Kommission
(ECHO) Claus Haugaard Sorensen. Mittlerweile sind eine Milliarde Menschen weltweit von Katastrophen, Hunger und
Konflikten bedroht. Die Antwort darauf kann nicht allein humanitäre Hilfe sein, es gehe auch darum, die Risiken
zu reduzieren, die Menschen weltweit in diese Situationen bringen – und zwar betreffend alle Ursachen wie Konflikte,
Terrorismus und Klimawandel. Für eine langfristige Planung sei auch eine Finanzierungsgarantie für humanitäre
Hilfe für längere Zeiträume nötig. Bisher werden nur für ein Jahr Mittel zugesichert,
eine Zusicherung sollte zumindest auch das Folgejahr umfassen.
Bei Hilfsmaßnahmen dürfe niemand unberücksichtigt bleiben, betonte Nationalratsabgeordnete und
SPÖ-Bereichssprecherin für globale Entwicklung, Petra Bayr. Sie nannte dazu Themenbereiche, die auch
beim WHS thematisiert wurden, Bildung sei dabei ein wichtiger Aspekt. Im Fokus steht für sie zudem die Stärkung
der Gleichberechtigung, Frauenrechte und der Schutz vor Diskriminierung. Frauen sind weltweit wesentlich höheren
und vor allem vielfältigeren Bedrohungen ausgesetzt, zum Kern der Menschenrechte gehöre der Schutz von
Frauenrechten.
Peter Launsky-Tieffenthal, Leiter der Sektion für Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium, sprach
sich für größere Anstrengungen für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und
für den Schutz der Zivilbevölkerung aus. Österreich habe dabei Zusicherungen getroffen und Maßnahmen
in Planung bzw. gesetzt, die von Friedens-Trainings über Strategien gegen geschlechtsspezifische Gewalt, von
Frühwarnsystemen für extreme Wetterereignisse bis zur Ausarbeitung einer internationalen Deklaration
zur Verhinderung von zivilen Opfern aufgrund Sprengwaffen in bewohnten Gebieten reichen. Ab 2017 wird Österreich
zusätzlich Beiträge von 160 Mio. € an die Internationale Entwicklungsagentur (IDA) der Weltbank beisteuern,
insgesamt sei die Unterstützung Österreichs für humanitäre Hilfe so hoch wie schon lange nicht
mehr.
Der Generalsekretär des Roten Kreuzes, Werner Kerschbaum, sprach die Problematik an, dass das humanitäre
Völkerrecht in Konflikten oftmals nicht eingehalten würde. So wurden beispielsweise in Syrien 60% der
Gesundheitseinrichtungen zerstört. Die Einhaltung der Grundfesten des Völkerrechts wie Zivilschutz und
die Genfer Konvention könnte das Leid und den hohen Bedarf an humanitärer Hilfe reduzieren, das Hauptproblem
sei die weit verbreitete Missachtung dieser Regeln. Umso wichtiger sei auch das österreichische Engagement
für eine internationale politische Deklaration zur Eindämmung von Sprengwaffeneinsatz und dass es beim
WHS ein klares Bekenntnis zur humanitären Absicherung gab. Wichtig sei nun die Frage, wie dieses Anliegen
in einen politischen Entscheidungsprozess übergeleitet werden kann, so Kerschbaum.
Der Generalsekretär für internationale Zusammenarbeit der Caritas Christoph Schweifer schilderte die
dramatische Situation in Äthiopien durch die anhaltende Dürre. Die Situation sei jetzt anders als in
den 80er Jahren. Auch die Caritas trägt dazu bei, dass mehr Menschen besser für Krisenzeiten gerüstet
sind und um die Armut langfristig zu überwinden. Dazu sei auch wichtig, die Bedeutung der lokalen Partner
wahrzunehmen und auch lokale NGOs zu stärken, anstelle Hilfe von außen überzustülpen.
Zu Beginn der Veranstaltung wurde eine gemeinsame Schweigeminute für die Opfer des Anschlages auf den Flughafen
von Istanbul am Vorabend abgehalten.
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