Diplomaten ersuchen um die Umbenennung der neuen Bundesanstalt in "Gedenkstätte KZ-System
Mauthausen-Gusen".
Wien (Botschaft der Republik Polen) - Vor einem Jahr hat das Bundesministerium für Inneres Vertreter
jener Staaten, deren StaatsbürgerInnen Opfer des KZ-Systems Mauthausen- Gusen waren, zur Stellungnahme bezüglich
des in Vorbereitung befindlichen Gedenkstättengesetzes eingeladen. Aus Anlass des aktuell im Nationalrat verhandelten
Gesetzes bringen die Diplomaten wiederholt ihre Unterstützung für das Gesetz zum Ausdruck, das einen
stabilen institutionellen und finanziellen Rahmen für die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen etabliert.
Sie schlagen jedoch vor, den Namen der neuen Bundesanstalt in "Gedenkstätte KZ-System Mauthausen-Gusen"
zu ändern - überzeugt, dass diese symbolische Änderung der Bewahrung der Erinnerung an das KL Gusen
und die verbleibenden Außenlager als einem Teil des Erbes Europas dienen wird. Mit nachfolgendem offenen
Brief wenden sie sich an Bundesminister für Inneres Wolfgang Sobotka:
Wien, den 29. Juni 2016
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
Im Jahr 2015 hat das Bundesministerium für Inneres mit den Arbeiten am Gesetzesentwurf über die Errichtung
der Bundesanstalt "KZ-Gedenkstätte Mauthausen/Mauthausen Memorial" begonnen. Wir sind der Überzeugung,
dass die Verabschiedung des Gesetzes das Funktionieren der KZ-Gedenkstätte Mauthausen von rechtlicher und
finanzieller Seite absichern wird. Die Bemühungen dieser Institution haben im Laufe der Jahre Anerkennung
im Kreise der KZ-Überlebenden und bei ihren Familien gefunden. Ein Vorzeigebeispiel für das Engagement
ist die 2013 eröffnete Ausstellung „Das Konzentrationslager Mauthausen 1938–1945“ sowie das 2016 abgeschlossene
langjährige, internationale Projekt „Gedenkbuch für die Toten des KZ Mauthausen und seiner Außenlager“.
Von Anfang an hat das Bundesministerium für Inneres die Botschaften jener Staaten, welche die Opfer des KZ-Systems
Mauthausen-Gusen repräsentieren, in den Beratungsprozess des Gesetzesentwurfs eingebunden. Wir möchten
uns auf diesem Weg für die Transparenz und die Offenheit dieses Prozesses bedanken, die es ermöglicht
haben, aus der Sicht der Länder, deren Staatsbürger Gefangene des KZ-Doppellagers Mauthausen-Gusen und
der Außenlager waren, äußerst wichtige Änderungen in den Gesetzesentwurf einzubringen. Hervorheben
möchten wir besonders die Annahme des Vorschlags über die Errichtung eines internationalen Beirates.
Dieser soll den Vertretern aller Opfernationen einen Einfluss auf die Erörterung aller für die Bundesanstalt
wichtigen Fragen sichern. Wir sind dem BMI sehr dankbar für die gesetzliche Anerkennung der Rolle der internationalen
Gesellschaft in dieser Angelegenheit.
1947 wurde das Gebiet des KL Mauthausen der Republik Österreich mit der Bestimmung übergeben, dass dort
ein Gedächtnisort entstehen soll. In selben Jahr begann jedoch auch der Prozess des Verdrängens der Erinnerung
an das KL Gusen. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass alleine im KL Gusen, zwischen Mai 1940 und Mai
1945, mehr als 35.000 Menschen (von allen 84.270 identifizierten Opfern des KZ Systems Mauthausen-Gusen) durch
die nationalsozialistische Vernichtungspolitik zu Tode kamen. Ungeachtet der Tatsachen, wie die Bundesministerin
Johanna Mikl-Leitner in ihrer Rede am 5. Mai 2015 in Gusen betonte, „setzte besonders in Gusen bereits kurz nach
der Befreiung das Verdrängen, bewusste Vergessen und Verschütten des Geschehenen ein. Die Spuren und
Hinweise wurden kontinuierlich verwischt. Lange Zeit deutete kaum etwas auf die Existenz eines Konzentrationslagers
an diesem Ort hin. (…) Jahrzehntelang stand Gusen in Österreich deshalb in der Aufarbeitung im Schatten und
wurde vernachlässigt (…)“.
Den ehemaligen Häftlingen und ihren Familien verbleibt das KL Gusen sowie die Außenlager jedoch in reger
Erinnerung. Bis Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts entstand aufgrund der Initiative ehemaliger Gefangener
die „wilde“ Gedenkstätte. 1965 wurde dank der Initiative ehemaliger Gefangener aus Italien, Frankreich und
Belgien die Gedenkstätte Gusen ins Leben gerufen. Die Republik Österreich hat jedoch erst 1997 der Gedenkstätte
Gusen den Status einer offiziellen Gedenkstätte verliehen und sie unter den Schutz des Gesetzes gestellt.
2001/2002 wurde die Gedenkstätte generalsaniert und 2004 das Besucherzentrum eröffnet. Auf dem Gebiet
des ehemaligen KL Gusen wurde in der Folge 2005 der Audioweg eröffnet. 2015 wurden schließlich in St.
Georgen an der Gusen Gedenk- und Infotafeln aufgestellt, die über den Stollen „Bergkristall“ informieren sollen,
in dem die Gefangenen des KL Gusen II sklavisch gearbeitet haben.
„Was für Mauthausen und die rund 40 weiteren Außenlager gilt, gilt auch für Gusen“, fasste die
Bundesministerin J. Mikl-Leitner in ihrer Rede im Jahr 2015 zusammen. Diesem Gedanken folgend, ersuchen wir um
die Umbenennung der neuen Bundesanstalt in "Gedenkstätte KZ-System Mauthausen-Gusen / KZ-System Mauthausen-Gusen
Memorial”. Wir hegen die Überzeugung, dass gerade heute eine historische Chance besteht, das KL Gusen als
den zweiten Teil des KL Mauthausen rechtlich im neuen Gedenkstättengesetz anzuerkennen und eine vollständige
Aufarbeitung des KZ-Doppellagers Mauthausen-Gusen und der Außenlager als eines wichtigen Bestandes des europäischen
Kulturerbes zu unterstützen. Diese Änderung hat symbolischen Charakter, ist jedoch von großer Bedeutung.
Sie würde auch eine Bekräftigung des politischen Willens der Republik Österreich zum Ausdruck bringen,
die 1997 initiierte Wiederbelebung der offiziellen Erinnerung an das KL Gusen und die Außenlager fortzusetzen.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung,
S.E. Pascal Teixeira da Silva, Botschafter der Französischen Republik S.E Giorgio Marrapodi, Botschafter der
Italienischen Republik
S.E. Alberto Carnero Fernandez, Botschafter des Königsreiches Spanien S.E. Artur Lorkowski, Botschafter der
Republik Polen
S.E. Andrej Rahten, Botschafter der Republik Slowenien
S.E. Jan Sechter,Botschafter der Tschechischen Republik
S.E. Olexander Scherba, Botschafter der Ukraine
S.E. Dr. Janos Perenyi, Botschafter von Ungarn"
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