Beistandsklausel im EU-Vertrag könnte erstmals zur Anwendung kommen
Wien (pk) - Nach den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris hat Frankreich als erstes EU-Land
von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die anderen Mitgliedstaaten gemäß Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag
um allfälligen Beistand zu ersuchen. Auch Österreich wurde um Unterstützung gebeten und wird diese,
wenn es konkret notwendig sein sollte, auch leisten. Der Hauptausschuss des Nationalrats hat am 27.06. einem Antrag
von Außenminister Sebastian Kurz stattgegeben, im Bedarfsfall bis zu 45 Angehörige des Bundesheeres
oder sonstige Personen für Lufttransporte sowie bis zu 25 Personen für vorbereitende und unterstützende
Tätigkeiten zur Verfügung stellen. Konkret werden Transportleistungen im Ausmaß von rund 100 Flugstunden
angeboten, um Frankreich solidarisch im Kampf gegen den Terror beizustehen. Der Einsatzraum beschränkt sich
auf diverse EU- und UN-Missionen in Afrika und im Mittelmeerraum und ist vorerst bis 31. Dezember 2016 begrenzt.
Ausdrücklich festgehalten wird im Antrag, dass Österreich mit dem angebotenen Beistand seine Neutralität
nicht verletzt, zumal der EU-Vertrag klar festhält, dass durch die Beistandsklausel der besondere Charakter
der Sicherheits- und Verteidigungspolitik Österreichs als neutraler Staat unberührt bleibt. Dennoch gab
es im Ausschuss kritische Stimmen von Seiten der Grünen. Sicherheitssprecher Peter Pilz wandte sich gegen
einen Vorratsbeschluss des Hauptausschusses, ohne zu wissen, wo die österreichischen SoldatInnen tatsächlich
eingesetzt werden. Auch die fortgesetzte Beteiligung Österreichs an der EU-Ausbildungsmission in Mali sowie
die Entsendung von drei Bundesheerangehörigen zu einer erst vor kurzem beschlossenen EU-Ausbildungsmission
in der Zentralafrikanischen Republik fanden nicht ungeteilte Zustimmung. Letztendlich gab es jedoch für sämtliche
Entsendeanträge des Außenministers grünes Licht, Österreich wird in diesem Sinn auch weiter
an der OSZE-Mission in der Ukraine teilnehmen.
Österreich unterstützt Frankreich im Bedarfsfall bei Terrorbekämpfung
Pilz äußerte die Vermutung, dass es sich bei dem von Österreich zugesagten Beistand für
Frankreich lediglich um eine symbolische Geste handelt. Er glaubt nicht, dass Frankreich tatsächlich auf österreichische
Unterstützung angewiesen ist. Dennoch verweigerten er und seine FraktionskolegInnen dem Antrag des Außenministers
ihre Zustimmung. Es sei "vollkommen falsch", eine Entsendung auf Vorrat zu beschließen und die
endgültige Entscheidung über den Einsatzort Paris zu überlassen, machte Pilz geltend. Schließlich
seien einige Missionen Frankreichs in Afrika ausgesprochen heikel, und man wisse nicht, wie sich diese entwickeln
würden.
Pilz appellierte in diesem Sinn an den Außenminister, den Antrag zurückzuziehen und bei Vorliegen eines
konkreten Einsatzszenarios einen neuen Antrag einzubringen. Er hinterfragte außerdem mit Hinweis auf den
EU-Vertrag die Unterstützung Frankreichs außerhalb des französischen Staatsgebiets. Den geäußerten
Bedenken schloss sich auch Wolfgang Zinggl an.
Die Argumentation der Grünen stieß bei den anderen Fraktionen allerdings auf wenig Verständnis.
Es sei bei Entsendungen üblich, ein grundsätzliches Mandat für einen bestimmten Einsatz in einem
gewissen Rahmen zu erteilen und erst später zu entscheiden, wie viele Bundesheerangehörige tatsächlich
zum Einsatz kommen, argumentierten etwa SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder und ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang
Gerstl. Auch Dritter Nationalratspräsident Norbert Hofer (F) und NEOS-Abgeordneter Rainer Hable machten keine
Einwände gegen die gewählte Vorgangsweise geltend. Der Beistand Österreichs sei ein positiver Beitrag
zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, sagte Hable und wertete den Antrag des Außenministers
als ausreichend konkretisiert.
Noch kein konkretes Einsatzansuchen Frankreichs
Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil wies darauf hin, dass es noch kein konkretes Einsatzansuchen Frankreichs
gebe. Sollte ein solches auf den Tisch kommen, werde jedenfalls nochmals geprüft, ob Österreich die angeforderte
Unterstützung tatsächlich leisten könne. Dass der mögliche Einsatzraum derart breit gefasst
ist, begründete der Minister damit, dass man nicht wissen könne, von wo aus terroristische Netzwerke
agieren. Es sei auch für Frankreich schwierig, die Angreifer zu lokalisieren. Außenminister Sebastian
Kurz ergänzte, dass es darum gehe, Frankreich bei der Zusammenführung von Truppen zu unterstützen,
damit diese im Kampf gegen den Terror gerüstet seien.
Die Kosten für einen Einsatz werden laut Doskozil wie bei anderen Entsendungen vom Verteidigungsministerium
getragen, wobei er in diesem Zusammenhang auf die allgemeine Aufstockung des Verteidigungsbudgets verwies. Zuvor
hatte FPÖ-Abgeordneter Andreas Karlsböck angesichts der Sonderleistung des Heeres auf eine Kostenrefundierung
durch das Finanzministerium gedrängt.
Konkret bezieht sich die allfällige Unterstützung auf folgende Missionen, wobei sich Österreich
an einigen von ihnen bereits jetzt beteiligt: MINURSO (Überwachung des Waffenstillstands zwischen Marokko
und der Polisario), EUTM Mali (Reorganisation und Training der malischen Sicherheitskräfte), MINUSMA (Unterstützung
Malis bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität), EUMAM RCA (Unterstützung der zentralafrikanischen
Behörden bei der Reform des Sicherheitssektors), UNIFIL (Verhinderung der Wiederaufnahme der bewaffneten Auseinandersetzungen
zwischen Israel und dem Libanon), EUNAVFOR MED (Operation Sophia: Überwachung, Aufklärung und Einschätzung
der Schlepperaktivitäten im südlich-zentralen Mittelmeer), MINUSCA (Stabilisierungsmission in der Zentralafrikanischen
Republik), MONUSCO (Mission für die Stabilisierung des Kongo), UNMIL (Mission in Liberia), UNOCI (Friedensmission
in Elfenbeinküste), EUTM SOM (Stärkung der Übergangsregierung in Somalia), EUCAP Sahel Niger (Unterstützung
der Sicherheitskräfte im Kampf gegen Terror und organisiertes Verbrechen), EUCAP NESTOR (Trainingsmission
der maritimen Kapazitäten in acht Ländern der Region zur Bekämpfung der Piraterie) und EUCAP Sahel
Mali (Stärkung des Sicherheitssektors in Mali).
EU-Ausbildungsmission Mali (EUTM Mali)
Mit Stimmenmehrheit – ohne Unterstützung von FPÖ und Grünen – verlängerte der Hauptausschuss
heute auch die Entsendung zur EU-Ausbildungsmission nach Mali (EUTM Mali) bis zum 31. Dezember 2017. Demnach werden
aus Österreich bis zu zwanzig Bundesheerangehörige als Stabsmitglieder, Ausbildungspersonal sowie Sicherheitspersonal
in dem afrikanischen Land tätig sein. Zur Gewährleistung der für den Dienstbetrieb, die innere Ordnung
und die Sicherheit unverzichtbaren, vorbereitenden bzw. unterstützenden Tätigkeiten können außerdem
weitere zwanzig SoldatInnen in das krisengeschüttelte Land fahren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit,
bis zu 20 Personen vorübergehend für Lufttransporte einzusetzen.
Die Hauptaufgabe der Mission besteht in der Beratung, Unterstützung und Ausbildung der unter Kontrolle der
rechtmäßigen Zivilregierung operierenden malischen Streitkräfte. EUTM Mali wird von 23 EU-Staaten
unterstützt. Die Beteiligung an Kampfeinsätzen ist im Mandat nicht vorgesehen. Das Außenministerium
hält eine Unterstützung der Mission im Sinne der internationalen Solidarität und der bisher erzielten
Fortschritte für geboten.
EU-Ausbildungsmission in der Zentralafrikanischen Republik (EUTM RCA)
Österreich engagiert sich in der Zentralafrikanischen Republik nicht nur bei der militärischen Beratungsmission
(EUMAM RCA). Bis zu drei Angehörige des Bundesheeres sollen nun auch im Rahmen der EU-Ausbildungsmission in
der Zentralafrikanischen Republik (EUTM RCA) – vom EU-Rat am 19. April 2016 beschlossen – tätig sein, vorerst
bis zum 31. Dezember 2017. Wie bei anderen Missionen stehen weitere 20 Personen für vorbereitende bzw. unterstützende
Tätigkeiten bereit, bis zu 20 Personen können bei Lufttransporten mithelfen.
Hauptaufgabe von EUTM RCA ist es, einen Beitrag zur Reform des Verteidigungssektors zu leisten, insbesondere durch
die strategische Beratung des Verteidigungsministeriums, die Bildung und Ausbildung der zentralafrikanischen Armee
sowie die Ausbildung von Offizieren, Unteroffizieren und SpezialistInnen. Der Einsatzraum der ÖsterreicherInnen
erstreckt sich im Wesentlichen auf die Provinz Bangui. Die Entsendung wurde ebenso mit den Stimmen von SPÖ,
ÖVP, NEOS und Team Stronach genehmigt wie die Verordnung der Verteidigungsministers über die Konkretisierung
der Aufgaben und Befugnisse der entsendeten Personen.
Die ablehnende Haltung der Grünen zum Einsatz österreichischer SoldatInnen in Mali und in Südafrika
begründete Pilz mit "den bekannten Argumenten" seiner Fraktion. Um Informationen aus erster Hand
über Bedeutung und Gefahren dieser Einsätze zu erlangen, schlug Abgeordnete Waltraud Dietrich (T) vor,
einmal entsendete Bundesangehörige als Auskunftspersonen in den Ausschuss zu laden.
Seitens der NEOS sprach Abgeordneter Hable die Transportkapazitäten des Bundesheers an. Bei vielen Entsendungen
würde der Hercules- Transporter C-130 benötigt, wobei ihm zufolge in nächster Zeit nur zwei von
drei Maschinen ständig zur Verfügung stehen werden, weil sich jeweils eine in Wartung befinde. Angesichts
dieser ohnehin sehr knappen Ressourcen plädierten sowohl Hable als auch Pilz dafür, nicht weiter über
die Nutzung von Heeresflugzeugen für die Abschiebung von AsylwerberInnen nachzudenken, noch dazu, wo dafür
kostengünstigere Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Beobachtungsmission der OSZE in der Ukraine
Österreich verlängert auch seine Beteiligung an der Beobachtungsmission der OSZE in der Ukraine mit bis
zu 20 Angehörigen des Verteidigungsressorts bis Ende 2017. Zusätzlich sollen bis zu zwanzig Angehörige
des Bundesheeres für Lufttransporte bzw. im Rahmen des Luftrettungsdienstes Aeromedevac eingesetzt werden
können. Auch seitens des Außenministeriums werden Expertinnen und Experten im Rahmen dieser Mission
tätig sein. Die Ausschussmitglieder folgten mit ihrem Beschluss dem Antrag des Außenministers einstimmig.
Wie der Minister darin betont, gilt für die Mission das Prinzip der Überparteilichkeit und der Transparenz.
Aufgabe ist es, in Kooperation mit anderen relevanten internationalen Akteuren wie der UNO und dem Europarat beizutragen,
die Spannungen abzubauen und Frieden, Stabilität und Sicherheit zu fördern. Ferner soll die Umsetzung
von Prinzipien und Verpflichtungen der OSZE unter dem speziellen Blickwinkel der Menschenrechte und Grundfreiheiten
überwacht und unterstützt sowie der politische Dialog gefördert werden.
Die Mission umfasst Stabspersonal sowie unbewaffnete zivile Beobachter und Beobachterinnen, die derzeit auf bis
zu 1.000 Personen aufgestockt werden. Das Einsatzgebiet erstreckt sich auf das gesamte Staatsgebiet der Ukraine.
Die Mission ist eine der größten je ins Leben gerufenen Missionen der 57 Teilnehmerstaaten der OSZE.
Das dem Einsatz zugrunde liegende Mandat wurde im Einvernehmen von allen Teilnehmerstaaten, einschließlich
der Russischen Föderation und der Ukraine, erteilt.
Entsendung in die Schweiz
Schließlich informierte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil die Abgeordneten darüber, dass österreichische
SoldatInnen zu Ausbildungszwecken in die Schweiz geschickt werden. Dabei handelt es sich um ein Pilotprojekt zwischen
den beiden Nachbarländern im Bereich Rekrutenaustausch in der Waffengattung Infanterie. Konkret geht es um
Übungen zum Schutz kritischer Infrastruktur. Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.
Neue Mitglieder im Nationalfonds und im Ausschuss der Regionen
Neue Mitglieder im Kuratorium des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
sind Nationalratsabgeordneter Harald Troch, Andreas Sarközi vom Kulturverein österreichischer Roma und
der Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer. Der diesbezügliche Wahlvorschlag von Kuratoriumsvorsitzender
Nationalratspräsidentin Doris Bures wurde einstimmig gebilligt, wiewohl Abgeordneter Wolfgang Zinggl die Nominierung
Sarközis hinterfragte. Laut Bures beruht der Vorschlag auf einer Vorbesprechung im Kuratorium. Ausgeschieden
sind Abgeordnete Andrea Kuntzl, der kürzlich verstorbene Rudolf Sarközi und Bischof Ludwig Schwarz.
Von Seiten des Bundeskanzleramts wurde der Hauptausschuss davon unterrichtet, dass Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin
Muna Duzdar (S) der aus dem Wiener Landtag und Gemeinderat ausgeschiedenen Elisabeth Vitouch als stellvertretendes
Mitglied im auf EU-Ebene eingerichteten Ausschuss der Regionen nachfolgt. Die Mitteilung ist mittlerweile insofern
hinfällig, als Duzdar vor kurzem zur Staatssekretärin im Bundeskanzleramt ernannt wurde.
Fraktionen verhandeln über Parlamentarische Enquete zu CETA
Grün-Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber nutzte die Debatte dazu, um eine parlamentarische Enquete zu den Freihandelsabkommen
CETA und TTIP einzufordern. Ihm zufolge liegt bereits eine Terminzusage von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner
für Mitte September vor. Für die Abhaltung einer Enquete braucht es einen Beschluss des Hauptausschusses,
wobei Nationalratspräsidentin Bures versicherte, dass ein solcher Beschluss noch vor dem Sommer möglich
sei, wenn es darüber ein Einvernehmen zwischen den Fraktionen gibt.
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