Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers im Nationalrat
Wien (pk) – Das mehrheitliche Nein der Briten zur EU sei ein Weckruf dafür, dass die EU sich ändern
müsse - das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit in der Debatte des Nationalrats am 06.07. nach den
beiden Erklärungen von Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zum Thema "Europa
nach dem Brexit-Referendum". Die Schlüsse, die daraus gezogen wurden, ließen zwei politische Richtungen
deutlich erkennen: SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS halten den sogenannten "Öxit", wie er
von manchen angedacht wird, für den schlechtesten Dienst an Österreich und seiner Bevölkerung, auch
wenn die Kritik an der EU nicht unberechtigt sei. Die EU dürfe sich nicht mit bürokratischen Regulierungen
wie den Glühbirnen und Traktorsitzen herumschlagen, sondern müsse endlich die großen Probleme wie
Migration, Wirtschaftswachstum und Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Angriff nehmen, so der Tenor. In diesem
Meinungsspektrum war jedoch die Spannweite zwischen mehr Zusammenarbeit bis hin zu einer europäischen Regierung
einerseits und weniger Vertiefung dafür aber Stärkung des Subsidiaritätsprinzips andererseits sehr
groß. FPÖ und Team Stronach hingegen sprachen sich dezidiert dafür aus, die EU wieder auf eine
reine Wirtschaftsunion zu reduzieren.
Harsche Kritik hagelte es auch an jenen Frontmännern in Großbritannien, die mit falschen Argumenten
und Unwahrheiten die Anti-EU Kampagne geführt haben und sich nun aus ihrer Verantwortung stehlen. Hier war
oft von "Brandstiftern" und "Zündlern" die Rede. Auch die Rolle des Boulevards wurde von
manchen MandatarInnen kritisch hinterfragt, große Teile der britischen Medienlandschaft hätten ihre
Kontrollfunktion nicht wahrgenommen und selbst Unwahrheiten verbreitet. Die RednerInnen der FPÖ und des Team
Stronach sahen hingegen die Verursacher für den Ausgang des Referendums eher bei Kommissionspräsident
Jean Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner erteilten dem Ruf nach einem mögliche Öxit
ein klare Absage und warnten angesichts der aktuellen Ereignisse in Großbritannien vor negativen wirtschaftlichen
und sozialen Auswirkungen. Sie verhehlten aber nicht, dass der Reformbedarf groß und eine Neuausrichtung
der EU-Politik unumgänglich ist. Zu lösen seien die großen Probleme, nicht aber jede Kleinigkeit,
machten beide klar.
Jakob Auer von der ÖVP und Claudia Angela Gamon von den NEOS sprachen den demokratiepolitischen Aspekt an
und äußerten sich besorgt darüber, dass viele junge BritInnen nicht an der Abstimmung teilgenommen
haben, über den Ausgang dann aber entsetzt waren. Demokratie ist auch Eigenverantwortung, sagte Gamon, die
an die Jungen appellierte, von ihrem Stimmrecht auch Gebrauch zu machen. Auer meinte zudem, jeder Bürger und
jede Bürgerin sowie jeder Mitgliedsstaat seien ein Teil Europas. Man müsse endlich aufhören, die
Verantwortung auf die nächste Ebene zu schieben.
Anträge der Freiheitlichen abgelehnt
Die Freiheitlichen brachten zudem drei Entschließungsanträge ein, die mehrheitlich abgelehnt wurden.
Unterstützung vom Team Stronach gab es für die Aufforderung an die Bundesregierung, sich im Zuge des
Ausfalls der britischen Zahlungen gegen eine Erhöhung des Nettobeitrags Österreichs sowie gegen EU-Steuern
auszusprechen. Das Team Stronach unterstützte auch den Antrag der FPÖ, die Wirtschaftssanktionen gegen
die Russische Föderation unverzüglich aufzuheben.
Auch CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, war Thema in der Debatte. Dabei gab es von niemandem
Verständnis für die ursprüngliche Haltung der Kommission, kurz nach dem Brexit-Referendum, CETA
als "EU-only-Abkommen" zu qualifizieren und damit die nationalen Parlamente auszuschließen. Schließlich
zeigte man sich aber über den Meinungsumschwung der Kommission zufrieden. Vizekanzler und Wirtschaftsminister
Reinhold Mitterlehner appellierte in diesem Zusammenhang, eine sachliche Diskussion über CETA zu führen.
Der Vorstoß der Freiheitlichen, sich gegen eine vorläufige Anwendung von CETA auszusprechen, erhielt
aber keine ausreichende Unterstützung. Dafür votierten neben den Freiheitlichen nur das Team Stronach
und die Grünen.
Kern: EU muss entscheidungsfähiger werden
Bundeskanzler Christian Kern bezeichnete das Brexit-Referendum als ein historisches Ereignis, dessen Tragweite
man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig beurteilen könne und dessen Folgen die britische Volkswirtschaft
aber nachhaltig treffen werden - und zwar auf dem Rücken derjenigen, die es sich nicht leisten können.
Kern wies darauf hin, dass das Pfund um 20% an Wert verloren hat, die britische Volkswirtschaft vom 5. auf den
7. Platz zurückgefallen ist, die Inflation steigt, die Guthaben der SparerInnen entwertet wurden und sich
die großen Unternehmen nun überlegen, neue Standorte zu suchen und nicht mehr in Großbritannien
zu investieren.
Die Kampagne der EU-Gegner nannte der Bundeskanzler "eine populistischen Zuspitzungen durch jene, die eine
einfache Lösung propagiert haben". Sie hätten den Karren gegen die Wand gefahren und nun müssten
es die anderen ausbaden. Das Ganze sei eine unfaire Auseinandersetzung mit EU-Themen gewesen und sei auch Folge
eines allgemeinen Verdrusses am politischen System. Kern warnte aber davor, mit nackten Fingern auf Großbritannien
zu zeigen, vielmehr müsse man in den europäischen Hauptstädten vor der eigenen Tür kehren.
Eindringlich wehrte er sich in diesem Zusammenhang dagegen, die EU-Kommission schnell zum Sündenbock zu machen,
denn vielfach seien es die Mitgliedsstaaten, die sich einer gemeinsamen sinnvollen Lösung entgegenstellen,
wie zum Beispiel in der Frage der Migrationspolitik.
Kern räumte durchaus ein, dass es Fehlentwicklungen gegeben hat, man diskutiere auf EU-Ebene oft viel zu viel
über die Kleinigkeiten des politischen Alltags, während die großen Probleme nicht gelöst werden.
Damit sei der Eindruck entstanden, dass eine Ideologie ein Projekt gekapert hat, die nicht den Interessen der Menschen
dient, sondern die Interessen der Konzerne zum kategorischen Imperativ gemacht hat.
Der Bundeskanzler warb für die Idee Europa und erinnerte in diesem Zusammenhang an das Friedensprojekt, das
einen Wertekanon aufgebaut habe, bei dem Humanität und Gemeinsames im Vordergrund stehen. Das habe Europa
stark gemacht, so Kern, der die Notwendigkeit sieht, die Union institutionell weiterzuentwickeln, damit sie wieder
entscheidungsfähiger wird. Dazu bedarf es einer realistischen Erwartungshaltung, denn der Reformprozess werde
lange dauern, merkte er an. Man müsse auch die richtigen Prioritäten setzen, und das sind seiner Meinung
nach die Bereiche Migration, Sicherheit und Beschäftigung, insbesondere Jugendbeschäftigung. Die EU sei
ein Projekt mit Erfolgsgeschichte, dem man Sicherheit, Stabilität und einen guten Teil des Wohlstands verdankt,
bekräftigte er.
Was Großbritannien betrifft, so werde das Land seinen europäischen Verpflichtungen weiterhin nachkommen,
ist Kern überzeugt, man sei auch daran interessiert, die Briten als Partner für Wirtschaft und Sicherheit
zu behalten. Gleichzeitig machte er aber klar, dass es für die Briten Privilegien wie den Zugang zum Binnenmarkt
nur zu einem Preis gibt, den sie akzeptieren müssen. Auf keinen Fall werde es Verhandlungen geben, bevor der
Antrag auf dem Tisch liegt.
Mitterlehner: Öxit nicht leichtfertig in den Mund nehmen
Wir sind Teil der EU und dürfen den Öxit nicht leichtfertig in den Mund nehmen, appellierte auch Vizekanzler
Reinhold Mitterlehner, der ebenfalls auf die negativen Folgen des Brexit hinwies und daran erinnerte, sich die
Fakten zu vergegenwärtigen, die deutlich machen, wie Österreich von der EU profitiert hat. Außerdem
sei es nicht mehr möglich, die globalen Herausforderungen alleine zu bewältigen. Man dürfe nicht
glauben, dass man sich bei einem Austritt die Rosinen herauspicken könne, warnte der Vizekanzler. Nicht der
Austritt stelle eine Problemlösung dar, die Aufgabe für die nächsten Jahre müsse es sein, die
Union zu verbessern.
Der Vizekanzler ging mit dem Bundeskanzler in der Analyse konform, dass sich die innere Kraft der Idee der europäischen
Einheit erschöpft hat, weil die EU als Summe aller Probleme, der Ängste und der negativen Emotionen wahrgenommen
werde. Daher sei es für viele verlockend, das sogenannte goldene Zeitalter des Nationalstaats heraufzubeschwören.
Mitterlehner ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er das für den falschen Weg hält. Vielmehr
müsse es darum gehen, wieder Hoffnung, Vertrauen und Sicherheit für das europäische Projekt zu gewinnen.
Das werde nur gelingen, indem man große Probleme wie die Flüchtlings- und Migrationsfrage löst.
Eine Debatte über mehr Vertiefung hält er für wenig zielführend, vielmehr trat er vehement
dafür ein, das Subsidiaritätsprinzip stärker mit Leben zu erfüllen. Zudem müsse die EU
bei Fehlentwicklungen, wie etwa bei einem Übermaß an Bürokratie, gegensteuern. Der Vizekanzler
ortete auch eine Schieflage im Sozialbereich.
|
Unterschiedliche Meinungen über zukünftigen Weg der EUim Nationalrat
In der Nationalratsdebatte über die Erklärungen von Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler
Reinhold Mitterlehner zum EU-Austrittsreferendum in Großbritannien fielen oft die Worte "politisches
Erdbeben", "Weckruf", "Warnschüsse" und "Wachrütteln". Alle RednerInnen
und Redner sprachen dabei vom notwendigen Reformbedarf der EU. Während sich SPÖ, ÖVP, Grüne
und NEOS aber klar dagegen aussprachen, einen Austritt Österreichs aus der EU (Öxit) auch nur anzudenken,
da Probleme wie Migration, Wirtschaft oder Klimawandel nur gemeinsam zu lösen seien, lehnten die Freiheitlichen
und das Team Stronach die politische Integration Europas ab und meinten, auch eine reine Wirtschafsunion sichere
den Frieden.
SPÖ: Die Sozialdemokratie will ein Europa der Menschen
Man brauche ein Europa, das besser funktioniert und seinen Fokus auf das Wesentliche legt, skizzierte SPÖ-Klubobmann
Andreas Schieder seine Vorstellungen von einer zukünftigen EU. Die SozialdemokratInnen stünden nicht
für das konservative Modell eines Europa der Märkte; auch nicht für ein Europa der Vaterländer,
denn dazu müsse man nur auf die "Heldenfriedhöfe" gehen, um zu wissen, was das bedeute; die
Sozialdemokratie wolle ein Europa der Menschen errichten. Die Union müsse daher die Wirtschaft ankurbeln,
Investitionen tätigen und die soziale Dimension wieder in den Vordergrund stellen, unterstrich er unisono
mit Gisela Wurm (S). Auch sein Klubkollege Wolfgang Katzian sieht den Ausgang des Referendums als Folge einer verfehlten
Wirtschafts- und Austeritätspolitik, die dem Markt und dem Wettbewerb alles untergeordnet habe. Seine Solidarität
galt den ArbeitnehmerInnen in Großbritannien, die die Einschränkung ihrer Rechte sowie ein Zuschrauben
des Sozialsystems befürchten müssen. Die Situation in Großbritannien verglich dann Josef Cap mit
Shakespear-Dramen, aus denen er auch passende Zitate brachte.
Das Verhalten der Brexit-Befürworter in Großbritannien bezeichnete Schieder als einen Skandal. "So
agieren Europas Rechtspopulisten, sie richten einen Scherbenhaufen an und dann sind sie nicht mehr dabei, wenn
man diesen beseitigen soll". So könne man Politik nicht machen, betonte der SPÖ-Klubobmann.
ÖVP setzt auf mehr Subsidiarität
ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka bekräftigte das Nein des Vizekanzlers zu einer weiteren Vertiefung der
Union. Von der ÖVP komme ein klares Nein zum Öxit und ein klares Nein zu einer europäischen Zentralregierung,
so Lopatka. Vielmehr plädierte er für eine stärkere Beachtung des Subsidiaritätsprinzips und
damit zu einer engeren Einbindung der nationalen Parlamente.
Auch Lopatka hielt die Flüchtlingsfrage für zentral im Zusammenhang mit der Akzeptanz der EU und meinte,
Schengen funktioniere nur dann, wenn der Schutz der Außengrenzen gewährleistet ist. Dafür brauche
man aber ein Mehr an Europa. Wenn es aber um soziale Sicherheitsnetze der Flüchtlinge gehe, dann sei dies
eine nationale Aufgabe und keine Frage für Brüssel. Für Lopatka sind auch die Zusagen, die man den
Briten für den Fall ihres Verbleibs in der EU gemacht hat, nicht vom Tisch.
Beatrix Karl appellierte, an der Weiterentwicklung Europas konstruktiv mitzuarbeiten, um ein starkes, verantwortungsbewusstes
und sicheres Europa zu gestalten. Wie ihr Klubkollege Peter Haubner warnte sie vor einem möglichen Öxit
unter Hinweis auf das derzeitige politische und wirtschaftliche Chaos in Großbritannien, aber auch unter
Hinweis auf die Vorteile, die die EU für Österreich gebracht hat. Sie hoffte, dass das Referendum in
Brüssel einen "heilsamen Schock" ausgelöst hat. Ebenso vertrat Angelika Winzig (V) die Auffassung,
man müsse mehr zusammenarbeiten, denn als Einzelstaat verfalle man in der globalisierten Welt der Bedeutungslosigkeit.
Den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas, den technischen Entwicklungen aber auch den Krisenherden könne man nur
in Gemeinschaft der EU Entsprechendes entgegensetzen. "Wer die EU verneint, der verneint die Realität",
sagte Winzig.
FPÖ: Das Projekt der Gründerväter war eine Wirtschaftsunion
EU-kritisch zu sein, heißt nicht europafeindlich zu sein, fasste FPÖ-Klubobmann Heinz Christian Strache
die Position seiner partei zusammen, man könne auch ohne EU-Mitgliedschaft Europäer bleiben. Mehrmals
betonte er, die FPÖ sei keineswegs gegen Europa, man wolle nur ein reformiertes Europa – ein Bürgereuropa.
Ein zentralistisches Projekt lehne man ab. Die Stärke Europas liege in der Vielfalt, in einer sinnvollen Zusammenarbeit,
nicht aber in der Gleichmacherei, sagte er und rief dazu auf, sich auf das Projekt der Gründerväter einer
europäischen Wirtschaftsunion zu besinnen. Die Schuld am Ausgang des britischen Referendums liegt Strache
zufolge weniger an den Brexit-Befürwortern, sondern an Kommissionspräsident Jean Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident
Martin Schulz und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Migrationspolitik. Sie hätten die
Union auch zu einer Schuldenunion gemacht, so Strache.
Ein Bürgereuropa wäre ein neues Europa, warb auch Herbert Kickl (F) für die freiheitlichen Vorstellungen.
Das, was die Regierung propagiere, sei "Europa-uralt". Derzeit stünden nämlich die Interessen
der Großkonzerne, Lobbyisten und Banken im Vordergrund. Der Austritt der Briten sollte als eine Initialzündung
dafür wahrgenommen werden, ein Europa der BürgerInnen zu bauen. Das wäre zwar mühsamer, aber
ein nachhaltigerer Weg, sagte Kickl.
Der positiven Bewertung der EU durch SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS hielten Kickl und Johannes Hübner
(F) die wirtschaftliche Entwicklung der EU entgegen. Der Euro schwächle seit langem, meinten sie, die soziale
Kluft gehe auseinander, die Arbeitslosigkeit steige und die Wirtschaftskrise sei nur schlecht bewältigt worden.
Bernhard Themessl (F) wehrte sich ebenfalls gegen die von der Regierung gezeichneten Horrorszenarien, die der Brexit
zur Folge haben könnte. Als Gegenbeispiel nannte er die Schweiz, die auch nicht zum Armenhaus Europas geworden
sei. "Die EU lernt nichts", so sein Fazit aus den bisherigen Ereignissen.
Grüne: Das verbessern, was da ist
Im Gegensatz dazu warnte die Klubobfrau der Grünen, Eva Glawischnig-Piesczek, davor, mit dem Feuer zu spielen.
Ein Europa der Vaterländer wäre eine absolute Sackgasse, ist sie überzeugt. "Nix Öxit",
fasste diese Haltung der Grünen Werner Kogler (G) zusammen. Es gelte vielmehr, das zu verbessern, was da ist.
Zur FÖP gewandt meinte Glawischnig-Piesczek, in Europa gebe es eine Bewegung, die das Chaos nicht nur in Großbritannien
wolle, sondern auch in Europa. Klares Ziel dieser Bewegung sei es, die EU zu zerstören und sich völlig
abzuschotten. "Wir lassen uns aber von Rechtspopulisten die EU nicht kaputt schlagen", stellte sie klipp
und klar fest. Ihrer Meinung nach soll das Referendum ein Weckruf sein, denn bei aller berichtigter Kritik müsse
man sich wieder darauf konzentrieren, was die Idee Europas ist. In diesem Sinne sei viel zu tun, unter anderem
im Bereich Klimapolitik, Finanzmarktregulierung, aber auch in Hinblick auf den Umgang mit den Mitgliedsstaaten.
Die Kritik an der EU könne man nicht einfach wegwischen, meinte auch Werner Kogler (G), der für eine
andere Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik plädierte. In diesem Sinne forderte Bruno Rossmann (G) ein
Abgehen von der Austeritätspolitik und einen Schub im Interesse einer Wachstumspolitik. Die Strukturreformen
dürften nicht immer nur zu Lasten der Globalisierungsverlierer gehen, meinte er und sprach sich dafür
aus, eine Sozialunion zu schaffen. Die neoliberale Ideologie habe der Europäischen Union großen Schaden
zugefügt, zeigte er sich überzeugt, und das habe entscheidend zum Brexit beigetragen. Die EU könne
sich eine solche politische Neuausrichtung leisten, indem sie endlich wirksame Maßnahmen gegen Steuerbetrug
und Steuerflucht setzt.
Glawischnig-Piesczek sieht aber nicht nur Handlungsbedarf in der Union, viele Ursachen für den Ausgang des
britischen Referendums sind für sie auch hausgemacht: Etwa in der verfehlten Bildungspolitik, in der gesellschaftlichen
Ungleichheit, in der Konzentration auf den Kapitalmarkt und im steigenden Rassismus. Sowohl die Grüne Klubobfrau
als auch Kogler und Rossmann hinterfragten kritisch die Vorkommnisse, die zum Ausgang des Referendums geführt
haben. Die Medien hätten ihre Kontrollfunktion nicht wahrgenommen und die Brexit-Befürworter würden
sich nun in politischer Feigheit "vertschüssen". Die Brandstifter seien vorher unterwegs gewesen
und nun seien sie weg. Sie hätten ohne Plan und Orientierung die "Hütte angezündet".
NEOS für eine europäische Zentralregierung
"Europa braucht eine Seele und eine Vision", fasste Matthias Strolz seine Sicht der Dinge zusammen, "wenn
die EU jedoch so weitermacht wie bisher, ist sie bald mausetot". Strolz attestierte den Freiheitlichen, in
vielen Punkten mit ihrer Kritik recht zu haben, er zog jedoch aus der Analyse andere Schlüsse. Glaubwürdigkeit
und Vertrauen werden seiner Meinung nach die Menschen nur dann wieder gewinnen, wenn man geschlossen gegen Terroristen
agiert, aktiv die Arbeitslosigkeit bekämpft, gegen Steuerhinterziehung vorgeht und die Flüchtlings- und
Migrationsfrage gemeinsam löst. Das hätten aber bislang die von Sozialdemokraten und Konservativen regierten
Staaten verhindert.
Strolz sprach sich daher für die Möglichkeit einer engeren Zusammenarbeit einiger Staaten aus und forderte
einen Konvent über die zukünftige Architektur der Union. Europa steht vor einer Weggabelung, bekräftigte
Rainer Hable (N) diese Forderung. Das Problem sei nicht das Europa der zwei Geschwindigkeiten, sondern ein Europa
der unterschiedlichen Richtungen, sagte er. Die NEOS sehen daher die Zukunft nicht in dem Sinne, wie die ÖVP
dies propagiert – mehr Subsidiarität - sondern sprechen sich ganz klar für eine europäische Regierung
aus. Integration, Euro und Binnenmarkt funktionieren nicht ohne politische Union, sagte Hable, daher müsse
man Europa jene Kompetenzen geben, die es braucht, und diese liegen vor allem in der Außen-, Verteidigungs-,
Finanz- und Währungspolitik.
Ihr Klubkollege Christoph Vavrik warnte davor, an Großbritannien ein Exempel zu statuieren. Das Land sei
schon gestraft genug, und es könne auch nicht im Interesse Europas liegen, wenn Großbritannien in ein
politisches Chaos und in eine Rezession versinkt. Vavrik plädierte daher für einen fairen und konstruktiven
Prozess der Trennung im Guten.
Team Stronach: EU wieder auf eine Wirtschaftsunion zurückführen
Ähnlich wie die Freiheitlichen trat auch das Team Stronach dafür ein, die EU wieder auf eine Wirtschaftsunion
zurückzufahren. Die Zerstörer seien jene, die die politische Einigung und eine Zentralregierung durchdrücken
wollen, sagte Klubobmann Robert Lugar. Die Ursprungsidee sei eine wirtschaftliche Zusammenarbeit gewesen, wodurch
Kriege verhindert werden sollten. Lugar glaubte nicht an die negativen Folgen des Brexit, wenn die EU einfach die
Handelsbeziehungen mit Großbritannien weiterführt und die politische Union vergisst. Denn die Briten
hätten Nein zur politischen Union gesagt. Er nahm auch die Drohungen der Betriebe nicht ernst, im Fall eines
Brexit aus Großbritannien abzuwandern, denn diese wollten nur Druck auf die Verhandlungen ausüben.
Auch in Österreich seien trotz EU-Mitgliedschaft die Sozial- und Wirtschaftsdaten nicht gut, die Bürgerinnen
und Bürger müssten einen Reallohnverlust hinnehmen, sagte auch Waltraud Dietrich (T). Die Ursachen für
den Ausgang des Referendums sieht sie in der mangelnden Bewältigung der Migrationswelle und der Unfähigkeit,
die Außengrenzen zu sichern. Die EU schicke viel Geld nach Griechenland, dieses fließe aber nur in
die Banken, die Menschen hätten jedoch keine Perspektive. Außerdem propagiere die EU die Abschaffung
des Bargeldes und die Entwaffnung der Bürgerinnen, ergänzte Martina Schenk (T). Die Geldverschwendung
in Milliardenhöhe, die jährlich der EU-Rechnungshof aufzeige, werde nicht geahndet. Schenk kritisierte
vor allem Bundeskanzler Kern, der sich nicht mehr an die Zusagen der ehemaligen Bundeskanzler Gusenbauer und Faymann
gebunden fühlt, über künftige Änderungen der EU-Vertrage eine Volksabstimmung abzuhalten.
Fraktionslose Abgeordnete: Brexit ist nicht besorgniserregend
Ähnlich wie die FPÖ und das Team Stronach argumentierten auch die beiden fraktionslosen Abgeordneten
Rupert Doppler und Markus Franz. Ein Brexit sei nicht besorgniserregend, meinte Doppler, auch die Schweiz sei nicht
untergegangen. Er befürchtet nur eine Erhöhung der Nettozahlungen Österreichs, um die Ausfälle
aus Großbritannien ausgleichen zu können. Franz sprach sich für ein starkes Europa der Nationen
in einem sicheren Wirtschaftsraum aus und sah die Ursache für das Nein der Briten zur EU in ihrer massiven
Abneigung gegen den Zentralismus und gegen die mangelnde Problemlösungskompetenz der EU, vor allem in Wirtschafs-
und Migrationsfragen
|