Philosoph Liessmann und Genetiker Hengstschläger im ACADEMIA SUPERIOR DIALOG:
Linz (academia-superior) - Bereits zum zwölften Mal konnte sich der Obmann von ACADEMIA SUPERIOR, Wirtschaftslandesrat
Dr. Michael Strugl, über einen bis zum letzten Platz gefüllten Festsaal im Südflügel des Linzer
Schlosses freuen: Gast von Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger, dem Wissenschaftlichen Leiter von ACADEMIA
SUPERIOR, beim DIALOG am Abend des 04.07. war der renommierte Philosoph und Buchautor Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul
Liessmann. Unter dem provokanten Titel „Die Zukunft ist überbewertet“ wurde über vielfältigste Themen
diskutiert: Vom Wert der Philosophie und humanistischer Bildung in der Arbeitswelt der Zukunft, über den britischen
Brexit und die Bedeutung von Grenzen und Religionen, bis hin zu Digitalisierung, Maschinensteuer und dem bedingungslosen
Grundeinkommen – im Dialog des Genetikers Hengstschläger mit dem Philosophen Liessmann wurden viele Fragen
aufgeworfen und stets pointierte Antworten gefunden.
Der Wert der Philosophie in der digitalen Transformation
„Alleine durch neue Technologien werden wir die großen Probleme der Gegenwart und Zukunft nicht lösen
können“, stellte Konrad Paul Liessmann gleich zu Beginn, auf die Frage, welches die Berufe der Zukunft seien,
fest. So sind die selbstfahrenden Autos, die in wenigen Jahren auf den Straßen vertreten sein werden, nicht
nur ein rein technisches Phänomen, sie werfen auch ethische Fragen auf: „Wie müssen die Algorithmen,
welche diese autonomen Maschinen steuern, programmiert sein, damit diese Technik auch in Gefahrensituationen ethisch
angemessen reagiert?“
Um die Lösung auf derartige Fragen finden zu können, sei es von zentraler Bedeutung, unterschiedliche
Perspektiven einnehmen zu können. „Das kritische Reflektieren und Erfassen von Wirklichkeiten und Kausalitäten
zu erlernen, ist die Handwerkskunst des Philosophen“, erklärte Liessmann.
Die Nachfrage danach ist groß: Von den derzeit 5.000 Philosophie-Studenten an der Universität Wien,
die somit eines der größten Philosophie-Institute Europas besitzt, studieren allerdings 80 % Philosophie
als Zweitfach. „Das Bedürfnis, Dinge kritisch hinterfragen zu können, ist also gerade auch in Fächern
wie Medizin, Technik oder Ökonomie enorm“, zeigte sich der Philosoph überzeugt und betonte weiter: „Leute,
die nachdenken, kann es auch in Zukunft nicht zu viele geben“.
Die Zukunft der Arbeit
Darauf eingehend, äußerte der Genetiker Markus Hengstschläger die Erwartung, dass gerade jene zu
Kritik fähigen Menschen mit den durch Digitalisierung und Automatisierung ausgelösten Transformationen
der Arbeitswelt noch am besten zurecht kommen werden. Hier wiederum äußerte Liessmann die Vermutung,
dass trotzdem in Zukunft mehr menschliche Arbeit durch die Automatisierung ersetzt werden wird, als neue Arbeit
entsteht. „Wir brauchen daher gesellschaftliche Modelle für die Zeit, in der Jobs schneller vernichtet werden
als neue entstehen. Die Wertschöpfungsabgabe und das Bedingungslose Grundeinkommen sind deshalb zwei Ideen,
über die wir in Zukunft ernsthaft diskutieren müssen“, erklärte Liessmann. Zu den Ängsten,
dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen den Leistungswillen der Menschen entgegenwirken könnte, zeigte er
sich skeptisch: “ Der Mensch ist nun einmal ein tätiges Wesen“.
„Bildung alleine reicht nicht aus“
Hinsichtlich der These, dass Bildung alleine der Schlüssel für die Zukunft ist, offenbarte der Philosoph
Liessmann eine zunehmende Skepsis seinerseits: „Man darf dabei nicht vergessen, dass viele der Probleme, die wir
heute haben, gerade durch gebildete Menschen hervorgerufen wurden“. Wichtiger sei daher die Frage nach der Art
der Bildung. Nicht nur Ausbildung und Qualifikation sollten die Ziele sein, sondern es bedürfe auch humanistischer
Menschenbildung: „Die Menschen benötigen auch eine ethische und ästhetische Sensibilität und das
Gefühl für das Angemessene. Denn aus einem bestens ausgebildeten Mediziner kann sonst leicht auch ein
perfekter Folterknecht werden“, führte Liessmann aus.
Krisen, Grenzen und der Nationalismus in Europa
Natürlich war auch die Zukunft Europas ein Thema des Gespräches zwischen dem wissenschaftlichen Leiter
der ACADEMIA SUPERIOR und dem international renommierten Philosophen. Liessmann betonte, dass die Grenzkontrollen
im Gefolge der Flüchtlingskrise für viele Europäer ein Schock gewesen seien, da man die Existenz
und die Bedeutung der Grenzen mittlerweile verdrängt habe. Liessmann hält es aber mit dem deutschen Philosophen
Hegel und meinte: „Eine Grenze definiert sich aber gerade dadurch, dass sie überschritten werden kann – sonst
wäre sie keine Grenze, sondern ein Ende“.
Grenzen bieten vor allem auch Sicherheit – ein Grundbedürfnis aller Menschen, betonte Liessmann. Und wenn
diese Sicherheit, wie im Falle der Flüchtlingskrise, durch die Europäische Union nicht gewährleistet
scheint, dann suchen die Menschen nach Sicherheit im näheren Umfeld, meist im Nationalismus. So wird die Zukunft
Europas für Liessmann auch weiterhin abwechselnd von Phasen der Öffnung und Phasen der Abgrenzung geprägt
sein.
Brexit – eine europäische Chance
Auf die Frage, ob in England die ältere Generation durch die Entscheidung für den Brexit, nicht verantwortungslos
über die Interessen der Jugend entschieden habe, nahm Liessmann eine unorthodoxe Perspektive ein: Zwar hätten
die Jungen bei der Abstimmung deutlich für einen Verbleib in der EU gestimmt, aber gleichzeitig seien nur
36 Prozent der unter-24-jährigen zur Abstimmung gegangen, im Gegensatz zu mehr als 80 Prozent der älteren
Generation, die zur Urne geschritten seien. Liessmanns Folgerung: „Der britischen Jugend ist Europa relativ egal.
Sie haben durch ihr anglophones Erbe eine globale Orientierung und sind nicht so sehr an der EU interessiert.
Der Brexit könne, für Liessmann, aber auch die Chance für Europas Zukunft sein. „Immerhin waren
die Briten, anders als die Kontinentaleuropäer, seit Margaret Thatcher gegen jede weitergehende Einigung Europas.
Jetzt besteht die Chance Europa neu auszurichten, mehr politische Einheit und Dinge wie die Transaktionssteuer
voranzutreiben“, erklärte Liessmann und meinte weiter: „Vielleicht erleben wir es dann ja, dass England in
20 Jahren wieder beitritt – ohne die bisherige Sonderbehandlung“.
Die Überraschung: Gott lebt noch, die Marxisten nicht
Die größte Überraschung der letzten Jahrzehnte sei es für ihn als aufgeklärten Philosophen
gewesen, erklärte Liessmann, dass das Thema Religion wieder an Bedeutung in Europa gewonnen habe. Dies sei
vor allem auch eine „Folge der Zuwanderung und der neuen Auseinandersetzung mit jenen Formen des Islam, die mit
unseren Werten nicht vereinbar sind“, betonte der Philosoph.
Die zweite große Überraschung sei gewesen, dass die kommunistische Welt, die in den 1970er Jahren noch
direkt und indirekt zwei Drittel der Menschheit beherrscht hatte, so rasch auseinandergebrochen ist. So sei z.B.
auch der Terror in den Siebziger Jahren vor allem marxistisch motiviert gewesen – nunmehr gebe es dafür immer
mehr eine religiöse, vor allem islamistische, Legitimierung. „Auf diese Herausforderung brauchen wir in Zukunft
eine Antwort“, zeigte sich Konrad Paul Liessmann überzeugt und betonte: „Für die Zukunft brauchen wir
weitsichtige Politiker, verantwortungsbewusste Ökonomen und Techniker und auch gute Philosophen“.
Auch der Unterstützer der Veranstaltung, die Hypo Oberösterreich freute sich in Person von Generaldirektor
Dr. Andreas Mitterlehner über die 400 Personen, die der Einladung zum DIALOG gefolgt waren. Darunter waren
unter anderem interessierte Persönlichkeiten wie Staatssekretär a.D. Mag. Helmut Kukacka, Generaldirektor
der Brau Union DI Dr. Markus Liebl, Vorstandsvorsitzender der Lenzing AG Dr. Stefan Doboczky, Vorstand der IFN
Holding DI (FH) Stephan Kubinger, Direktorin des OÖ Landesmuseums Dr. Gerda Ridler, Präsident des OÖ
Verwaltungsgerichts Dr. Johannes Fischer, Direktor des OÖ Landesrechnungshofs Dr. Friedrich Pammer, Rektor
der Kunstuniversität Linz Univ.-Prof. Dr. Reinhard Kannonier, Landespolizeidirektor-Stv. Dr. Alois Lissl,
Landesrettungskommandant Mag. Christoph Patzalt, Landesfeuerwehrkommandant Dr. Wolfgang Kronsteiner, Caritas-Direktor
Franz Kehrer und Dr. Bert Brandstetter, Präsident der Katholischen Aktion OÖ.
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