Über 150 Teilnehmer informierten sich beim WOLF THEISS Brexit-Stresstest über mögliche
rechtliche Konsequenzen des künftigen Austrittes UKs aus der EU.
Wien (wolf theiss) - Die Experten sind sich einig: Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Die "4 Freiheiten":
erhebliche Unsicherheit betreffend Marktzugang Die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen und Freizügigkeit
der Arbeitnehmer innerhalb der EU gilt im Verhältnis zum Vereinigten Königreich künftig nicht mehr.
Somit ist die freie Gründung von Niederlassungen im Vereinigten Königreich für EU-Unternehmen und
vice versa ab Wirksamwerden des Brexit nicht mehr möglich.
Mit dem Wegfall des freien Warenverkehrs können künftig Produkte aus dem Vereinigten Königreich
im EU-Binnenmarkt nicht mehr frei zirkulieren. CE-Kennzeichnungen für Produkte aus dem Vereinigten Königreich
sind dann voraussichtlich nicht mehr gültig.
"Importeure von Waren aus UK treffen ab Wirksamwerden des Brexit eine Reihe von Verpflichtungen, da UK nunmehr
als Drittland gilt" macht Kurt Retter, Partner und Leiter der Praxisgruppe Regulatory & Procurement, auf
die neuen Rahmenbedingungen für Importeure aufmerksam. Auch die Möglichkeit des freien Dienstleistungsverkehrs
über die Grenze wird im Verhältnis zum Vereinigten Königreich künftig nicht mehr bestehen,
Qualifikationsnachweise nicht mehr wechselseitig anerkannt werden.
Weitere einschneidende Änderungen betreffen den Datenschutz, da das Vereinigte Königreich für Datenexporte
künftig – wie die USA – als "unsicheres Drittland" gelten wird.
Privatrechtliche Verträge: Einzelfallbetrachtung erforderlich
Wie Holger Bielesz, Partner, Praxisgruppe Dispute Resolution, berichtet, sind österreichische Unternehmen
betreffend künftiger Lieferungen nach UK teilweise verunsichert: "Nach einem Brexit könnten Waren
oder Dienstleistungen heimischer Unternehmen Einfuhr-oder anderen Beschränkungen unterliegen, die den bisherigen
Vertrag wirtschaftlich uninteressant machen. Viele fragen sich: welche Rechte habe ich dann?", so Bielesz.
Denkbare zivilrechtliche Folgen sind Rücktritts- oder Kündigungsrechte aus wichtigem Grund bzw. wegen
Wegfall der Geschäftsgrundlage, erklärt der Vertragsrechtsexperte. Bei bestehenden Verträgen würde
derzeit im Regelfall nur die Möglichkeit der einvernehmlichen Anpassung bestehen. Für künftige Verträge
insbesondere mit langen Laufzeiten sollten schon heute ausdrückliche Regelungen integriert werden.
Steuerrechtliche Folgen des Brexit
Dass Brexit auch Folgen auf das Steuerrecht hat, ist evident: "Einerseits gewinnt das Vereinigte Königreich
durch den Brexit die Autonomie im Bereich der Besteuerung teilweise wieder zurück, andererseits gehen für
Steuerpflichtige - sowohl in der EU als auch im Vereinigten Königreich – viele steuerliche Vorteile des Binnenmarkts
verloren", erläutert Niklas Schmidt, Partner, Leiter Praxisgruppe Steuern. "Was sich im Detail ändern
wird, ist derzeit schwer zu prognostizieren, da dies v.a. von der Neugestaltung der Beziehungen zwischen der EU
und UK abhängt".
Konkrete Änderungen stehen u.a. in folgenden Bereichen bevor:
Zölle: Die EU ist eine Zollunion und hat gegenüber Drittstaaten Zolltarife einheitliche eingeführt.
Der Brexit führt mangels einer anderen Einigung zu einem Ausschluss UKs aus der Zollunion. Das Vereinigte
Königreich ist dann nicht mehr an den Gemeinsamen Zolltarif gebunden und kann eine eigene Zollpolitik gegenüber
der EU und anderen Staaten verfolgen. Exporte aus der EU in das Vereinigte Königreich und Importe aus dem
Vereinigten Königreich in die EU werden tendenziell teurer. Damit ist eine dämpfende Wirkung auf den
Außenhandel zu erwarten.
Umsatzsteuer: Die Umsatzsteuer ist in der EU durch die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie harmonisiert. Künftig
ist UK daran nicht mehr gebunden und kann abweichende Regelungen treffen wie z.B. eine Anpassung der Steuersätze
ohne Bindung an Mindestsätze und/oder die Rechtsprechung des EuGH ignorieren. Die beiden Systeme werden sich
somit wahrscheinlich auseinander entwickeln. Das Vereinigte Königreich gilt nach dem Austritt aus der EU als
Drittlandsgebiet.
Körperschaftsteuer: Durch den Wegfall der nur punktuell eingreifenden Mutter/Tochter-Richtlinie, Zins- und
Lizenzrichtlinie und Fusionsbesteuerungsrichtlinie werden grenzüberschreitende Zahlungen von Dividenden, Zinsen
und Lizenzgebühren sowie grenzüberschreitende Umstrukturierungen steuerlich schlechter gestellt. Teilweise
besteht Schutz durch das Doppelbesteuerungsabkommen.
Der Finanzdienstleistungssektor nach Brexit
Speziell für den europäischen Finanzmarkt könnte der Brexit einige wesentliche nachteilige Folgen
nach sich ziehen, wir Christine Siegl, Consultant, Praxigruppe Banking & Finance, erläutert.
So ermöglicht die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU insbesondere auch die grenzüberschreitende
Erbringung von Finanzdienstleistungen ("European Passporting"). Demnach ist grundsätzlich jedes
Institut berechtigt, aufgrund der im Heimatmitgliedstaat erteilten Erlaubnis innerhalb des EWR konzessionspflichtige
Tätigkeiten auszuüben ("single license principle"). Ebenso besteht auch die Möglichkeit,
Prospektbilligungen zu "passporten": Sollte UK nicht (mehr) dem EWR angehören, wäre es als
Drittland zu behandeln und würden die Regelungen für die gegenseitige Anerkennung nicht mehr Anwendung
finden.
Darüber hinaus werden auch mögliche Auswirkungen ua auf ISDA Master Agreements, LMA Standards und LCH-Clearing
diskutiert und evaluiert.
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