Fresszellen unter der Lupe: Die Lebensdauer macht den Unterschied – Kurzlebige Fresszellen
liefern Ansatz für neue Therapie – Nature Medicine berichtet über revolutionäre Tiroler Forschungserkenntnis
Innsbruck (i-med) - Blutarmut (Anämie) stellt eines der häufigsten Begleitprobleme von PatientInnen
mit Krebs und chronischen Entzündungen dar. In Form der Sichelzellanämie und der Thalassämie, die
durch einen Untergang von roten Blutzellen charakterisiert sind, tritt sie auch als eigenständige, angeborene
Erkrankung auf. Für die Verhinderung der im Rahmen der Blutarmut entstehenden Organschäden könnten
Tiroler Forscher nun eine wirksame Therapieoption gefunden haben.
Im Rahmen einer Anämie ist die Konzentration des Sauerstoff-tragenden Proteins Hämoglobin, das sich im
Blut vor allem in den roten Blutzellen (Erythrozyten) befindet, vermindert, sodass es in der Folge zu einer Unterversorgung
der Organe kommt. In KrebspatientInnen hat die Anämie viele verschiedene Ursachen, wobei das akute „Verschwinden“
von roten Blutzellen am Beginn der Anämie einer der bislang am wenigsten erforschten Gründe ist. Diesem
Prozess war Igor Theurl, Arzt und Immunologe an der Univ.-Klinik für Innere Medizin VI (Direktor: Günter
Weiss) gemeinsam mit Innsbrucker Kollegen sowie des Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School auf
der Spur. Die weitreichenden Erkenntnisse des Forschungsteams wurden soeben in der aktuellen Ausgabe des renommierten
Fachjournals Nature Medicine veröffentlicht.
Kurzlebige Fresszellen „on demand“
„In der Phase des Absterbens roter Blutzellen spielen Fresszellen eine wichtige Rolle“, erklärt Igor Theurl
die Ausgangslage. Was passiert aber, wenn plötzlich viele rote Blutzellen ausgetauscht werden müssen,
wie das bei Krebs und Entzündung oft der Fall ist? In Untersuchungen mit Mäusen gelang es dem Team um
Igor Theurl nun nachzuweisen, dass in der Leber zwei unterschiedliche Fresszelltypen gebildet werden, die sich
weniger in ihrer Funktionalität (dem Abbau alter und kaputter Erythrozyten), als vielmehr in ihrer Lebensdauer
unterscheiden lassen. „Wir konnten erstmals zeigen, wie diese beiden Zelltypen – sterbliche und unsterbliche –
unter Stressbedingungen wie Krebs, chronischer und akuter Entzündung und genetisch bedingten Anämieformen
miteinander kommunizieren und interagieren. Besonders wichtig ist die Tatsache, dass kurzlebige Fresszellen in
der Leber bei Bedarf aus Blutmonozyten entstehen und dann wieder verschwinden, also nicht die Fähigkeit besitzen,
wie von der Geburt an vor Ort lebende Makrophagen, unsterblich zu werden“, erläutert Theurl.
Neue Therapiewege und Potenzial für gezielten EPO-Einsatz
Das Auftreten kurzlebiger Makrophagen kann je nach Krankheitsmodell Unterschiedliches bewirken: Wird die Bildung
von kurzlebigen Fresszellen experimentell unterbunden, kommt es bei Mäusen mit genetischen Formen der Blutarmut
zu einer raschen und massiven Schädigung von Niere und Leber. Bei Mäusen mit Entzündung bewirkt
eine Hemmung von kurzlebigen Fresszellen eine deutliche Besserung der Anämie. Therapeutisch gedacht: Das „Anlocken“
von Fresszellen begünstigt den Verlauf der Sichelzell- und Thalassämie, indem sie die für diese
Erkrankungen charakteristischen toten und damit schädlichen Blutzellen abbauen. KrebspatientInnen hingegen
profitieren von einer Blockade kurzlebiger Fresszellen, da mehr unbeschädigte Blutzellen überleben und
damit die Anämie verbessert werden kann.
„Außerdem war es uns möglich, jene Botenstoffe zu entschlüsseln, die für die Bildung kurzlebiger
Fresszellen relevant sind. Die chemische Hemmung oder Stimulierung dieser Botenstoffe führte sowohl zur Verbesserung
der Anämie als auch zur Verhinderung eines Nierenschadens“, erklärt Theurls Kollege und Mitautor Manfred
Nairz die therapeutische Angriffsfläche.
Mit diesen Ergebnissen erschließen sich also neue Wege in der Therapie von Blutarmut im Rahmen von Krebserkrankungen
wie auch für die Behandlung der Sichelzell- und Thalassämie. „Nachdem mit Präparaten des blutbildenden
Hormons Erythropoietin (EPO) zwar bereits teils sehr wirksame, jedoch nebenwirkungsreiche Medikamente auf dem Markt
sind, ergibt sich mit den neuen Erkenntnissen auch für den EPO-Einsatz Potenzial für eine gezieltere
und effektive Anwendung“, schließt Erstautor Theurl.
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