Reden von Rabl-Stadler, Haslauer, Drozda, Festspielredner Liessmann und Bures bei der Festveranstaltung
in der Felsenreitschule
Salzburg (lk) - Die 96. Salzburger Festspiele wurden am Abend des 28.07. mit einer Festveranstaltung in
der Felsenreitschule offiziell eröffnet. Nach der Begrüßung durch Festspielpräsidentin Helga
Rabl-Stadler folgten Ansprachen von Landeshauptmann Wilfried Haslauer, Bundesminister Thomas Drozda, die Festrede
des Kulturphilosophen Konrad Paul Liessmann sowie die Eröffnungsrede von Nationalratspräsidentin Doris
Bures. Die aktuellen Terroranschläge und Gewalttaten sowie politischen Veränderungen waren zentrales
Thema in allen Reden. Den musikalischen Teil der Eröffnungsveranstaltung gestalten heuer das Ensemble Musicbanda
Franui und das Mozarteumorchester Salzburg.
Bei den heurigen Salzburger Festspielen werden an 41 Tagen 192 Veranstaltungen an elf Spielstätten geboten.
Rabl-Stadler: Seelenfenster und Weltflucht
Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler ging in ihrer Begrüßungsrede auf Richard Strauss' Oper
"Die Liebe der Danae", die heuer bei den Festspielen im Programm steht, ein. Strauss sei, "als er
mitten im Weltenbrand des zweiten Weltkriegs diese heitere Mythologie in drei Akten geschrieben hat, Weltflucht
vorgeworfen worden", so Rabl-Stadler, die angesichts der aktuellen Geschehnisse die Frage stellte: "Würden
wir nicht auch gerne, wenn nicht unsere Seelenfenster, zumindest unsere Ohren und Augen verschließen vor
dem Grauen in Fern und Nah?" Rabl-Stadler verwies zu dieser Frage auf Strauss' eigene Erklärung, die
antike Mythologie böte ihm subtile Deutungsmöglichkeiten für moderne Probleme, persönlicher
und politischer Art, sowie auf Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal, der die mythologischen Opern als "wahrste
aller Formen" bezeichnete.
Haslauer: Kunst ist Bewusstsein
"Wir sind aus jenem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind, und unser kleines Leben liegt im Schlaf",
zitierte Landeshauptmann Wilfried Haslauer zu Beginn seiner Rede William Shakespeare und nahm Bezug auf die derzeitigen
Unruhen: "Wir, die Kinder des Glücks, die genau hier und gerade jetzt leben dürfen, im vermeintlich
sicheren Auge des Sturmes, der ringsum wütet, näher rückt und uns sein Grauen durch unwirkliche
Bilder nur erahnen lässt."
In diesem Zusammenhang ging Haslauer auf die 200-jährige Zugehörigkeit Salzburgs zu Österreich ein:
"Aber: War das nicht immer so, dass die Katastrophen, die einen nicht unmittelbar selber betreffen, irgendwie
unwirklich, ja geradezu als virtuell empfunden werden, so auch in diesen 200 Jahren, die Salzburg zu Österreich
gehört? Abseits aller Kriege prägten Not und Elend den Beginn. 200 Jahre, nur 200 Jahre! Was ist das
schon, das sind drei Lebenskreise von Menschen, die zirka 70 Jahre alt werden, ein Hauch, ein Wimpernschlag in
der Geschichte der Menschheit. Wie reizvoll wäre es doch – nach einer Zeitreise in die Vergangenheit – mit
unserem heutigen Wissen damals ein Gespräch geführt haben zu können", so Haslauer, der die
Frage in den Raum warf: " Sind wir in diesen 200 Jahren bessere Menschen geworden? Da könnten bis 1945
Zweifel angebracht sein, aber danach? Wir fühlen uns doch in Wahrheit moralisch und ethisch hochstehender
als die Generationen vor uns: Hand aufs Herz, wie schnell sind wir nicht mit der Verurteilung da, was früher
gewesen ist, wir mit der Gnade der späten Geburt. Ich bezweifle, ob wir selber wirklich davor gefeit sind,
wieder in die Barbarei, die Grobschlächtigkeit, die Kulturlosigkeit zurück zu verfallen, wenn wir aus
der Ruhe im Auge des Sturmes in seine zerstörerische Veränderungsgewalt rücken, wenn auch wir das
Schicksal anderer Zivilisationen erleiden, die im Laufe der Jahrtausende gekommen, aber auch gegangen sind, hochstehend
und bewundernswert, letztendlich aber immer kraftlos, dekadent, ohne Selbstwertgefühl und eine leichte Beute
für die brutale Stärke des Urtümlichen."
Gebe es etwas allgemein Gültiges, das alles überdauert, so wäre dies "die Hinwendung zum Glauben
etwa, ein neugeborenes Kind in den Armen zu halten, Liebe zwischen zwei Menschen, Momente, die die Kunst schenkt,
die Faszination Natur, Erkenntnis als Erleuchtung, der berührende Augenblick einer Begegnung, das Halten einer
Hand am Ende des Lebens; also all jene Augenblicke, die man für die Ewigkeit glaubt, die man festhalten möchte
und nicht kann", so Haslauer.
Die Kunst mache wieder bewusst, "dass wir nicht eine willenlose Herde sind, sondern in jeden von uns ein Stück
weit Unendlichkeit gesetzt ist. Sie rüttelt auf, sie regt an, sie macht uns Lachen und Weinen, sie verwandelt
uns, wenn auch nur in Nuancen, und oftmals merken wir es gar nicht. Die Salzburger Festspiele sind aus jenem Stoff
gemacht, aus dem die Träume sind, sie machen uns aber auch bewusst, unser kleines Leben liegt im Schlaf. Wenn
wir irgendwann erwachen, werden wir uns fragen müssen, wie sehr uns die Veränderung verwandelt",
so Haslauer abschließend.
Drozda: Lust auf Veränderung wecken statt Ängste schüren
Einen Bogen von der Notwendigkeit zur Veränderung zu aktuellen politischen Herausforderungen spannte der für
Kulturagenden zuständige Bundesminister Thomas Drozda: "So unterschiedlich die kommenden Aufführungen
und Inszenierungen auch sein werden, eines wird ihnen gemeinsam sein: Kunst ist Veränderung, jedes Kunstwerk
erzählt von Veränderung, keine Aufführung ist nur Wiedererweckung, sondern immer auch Neuschöpfung
eines Werkes." Insofern ist Kunst für Drozda heute aktueller denn je: "Unsere Gesellschaft beruht
mehr denn je – ob wir das wollen oder nicht – auf Innovation. Für die Arbeit der Künstler galt das schon
immer, das Neue oder die Neufindung ist die Grundlage aller künstlerischen Arbeit."
"Europa als Kontinent und die Europäische Union als Institution befinden sich in den vergangenen Jahren
in einem permanenten Krisenbewältigungsmodus und stehen vor dem aktuellen Hintergrund vor großen Herausforderungen.
Populisten versuchen daraus politischen Nutzen zu ziehen und nützen nadelstichartig reale Schwächen demokratischer
Institutionen und gewinnen Anhänger damit", befand der Minister und forderte: "Dieser Stimmungslage
muss eine verantwortliche Politik entgegentreten. Als zentrale Agenda einer gegenwärtigen Politik, die sich
mit Fug und Recht gegenwärtig nennt, erscheint mir, die Lust auf Veränderung bei den Menschen zu wecken,
anstatt Angst vor der Neugier auf Veränderung zu schüren."
Liessmann: Und mehr bedarf es nicht
Unter dem Titel "Und mehr bedarfs nicht. Über Kunst in bewegten Zeiten" ging der österreichische
Philosoph, Essayist, Literaturkritiker, Kulturpublizist und Universitätsprofessor Konrad Paul Liessmann in
seiner Festspielrede auf die aktuell "bewegten Zeiten" ein.
"Terroranschläge, Amokläufe, ein dubioser Militärputsch in der Türkei, Brexit und die
tiefe Krise der Europäischen Union, soziale Spannungen und Ängste allerorten, Kriege und Bürgerkriege,
unzählige Menschen auf der Flucht und eine Kommunikationstechnik, die uns all dies hautnah, im Live-Stream
erleben lässt – nahezu reflexartig stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, sich
in solchen Zeiten ruhigen Gewissens dem Schönen und der Kunst, der Feier des ästhetischen Augenblicks
und dem Genuss eines rauschenden Festes hinzugeben", sagte Liessmann.
In diesem Zusammenhang ging Liessmann auf die Zeile "Und mehr bedarfs nicht", Hölderlins Schluss
seiner Ode "An die Parzen". Diese Zeile sei nicht nur Ausdruck eines subjektiven Bekenntnisses zur Macht
der Kunst, sondern auch Skizze eines ästhetischen Programms, das die Kunstanstrengung und den Kunstbegriff
über zwei Jahrhunderte bestimmte, so Liessmann.
"Das Faszinierende und Verstörende an der Kunst besteht bis heute darin, dass sie alles sein kann, was
man ihr zuschreibt und doch nie darin aufgeht. Die Kunst kann ein Wettbewerbsfaktor und ein Kompetenztrainingsprogramm
sein, eine soziale Aktion und ein Ornament, sie kann Kritik sein und Affirmation, politische Propaganda und apolitische
Ästhetik, Unterhaltung der Massen und elitäre Abschottung." Kunst könne all diese widersprüchlichen,
anregenden und aufregenden, langweiligen und spannenden, dummen und dreisten, wunderbaren und faszinierenden Formen
annehmen, weil es dahinter dieses "Und mehr bedarfs nicht" gebe, so Liessmann. "Alle diese Attitüden
zehren von der Idee, dass es letztlich darauf ankommt, dass dem Menschen, diesem fehlerhaften, eitlen, grausamen
und nicht besonders intelligenten Wesen, etwas nahezu Vollkommenes gelingen kann, das keiner weiteren Rechtfertigung
mehr bedarf und das für sich Gültigkeit, über die Jahrhunderte hinweg, beanspruchen darf. Vielleicht
leben wir in den kostbaren Augenblicken, da wir solch einem Gelingen beiwohnen dürfen, vielleicht sogar dazu
etwas beitragen können."
Bures: Die Zukunft ist gestaltbar
"Wir leben in bewegten Zeiten. Viele Menschen in Europa haben das Gefühl, dass sich die Welt derzeit
ein wenig schneller drehe, als wir es gewohnt sind. Kriegerische Auseinandersetzungen und Konflikte vor den Toren
Europas finden kein Ende", stellte auch Nationalratspräsidentin Doris Bures fest. "In einem Klima,
in dem unumstößlich Geglaubtes ins Wanken gerät, ist es leicht, Gräben aufzureißen –
viel leichter als sie zu schließen, als Brücken zu bauen", sagte Bures, die weiter betonte: "Wir
alle sind gefordert. Wir müssen verhindern, dass das Vertrauen ganzer Bevölkerungsgruppen in demokratische
und rechtsstaatliche Institutionen schwindet, verhindern, dass europaweit Gruppierungen am äußeren Rand
des politischen Spektrums vermehrt Zulauf finden."
"Wir brauchen Gemeinsamkeit, wir brauchen Vertrauen und wir brauchen Träume und Ziele", so der Appell
der Nationalratspräsidentin. "Ich meine, dass es uns gut tun würde, weniger in etablierten Gegensätzen
zu denken. Das 'Entweder - Oder' bringt uns nicht weiter. Ich bin mir sicher: Im 'Sowohl als auch' finden wir
die bessere Zukunft. Denn nur in diesem Bekenntnis können wir alle konstruktiven Kräfte für das
Gemeinsame, das Miteinander, für unser demokratisches Österreich bündeln." Es gelte, Ängste
zu überwinden und die Aufmerksamkeit auf die wichtige schöpferische Kraft von Träumen zu lenken.
Seit jeher hätten Menschen in ihnen Stärke für Veränderung und Hoffnung für die Zukunft
gefunden, schloss Bures, denn: "Die Zukunft ist gestaltbar!"
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