Von der Vielfalt der Lebewesen im Nationalpark Hohe Tauern: drei Wissenschaftler berichten
Mallnitz/Klagenfurt (lpd) - Bereits zum zehnten Mal finden heuer die Nationalpark Hohe Tauern Tage der Artenvielfalt
statt. Mehr als 280 Wissenschaftler/innen untersuchen seit 2007 ausgewählte Tauerntäler mit dem Ziel,
innerhalb von 48 Stunden möglichst viele Tier-, Pflanzen, Flechten- und Pilzarten vom Talboden bis in die
Gipfellagen zu finden. Die Natur kann nicht für sich sprechen. Drei Wissenschaftler waren bei allen zehn Tagen
der Artenvielfalt im Nationalpark mit dabei. Grund genug nachzufragen, wie es um die Artenvielfalt in den Hohen
Tauern steht.
Flatterhafte Wesen
Die Schmetterlinge zählen zu den gut untersuchten Artengruppen in den Hohen Tauern, insgesamt kommen hier
fast 1.300 verschiedene Arten vor. „Bei den Schmetterlingen gibt es dennoch immer wieder, Neues zu entdecken. Viele
Augen sehen mehr, das ist der große Vorteil der Tage der Artenvielfalt.“, berichtet der Mitorganisator der
Tage der Artenvielfalt vom Haus der Natur Patrick Gros. Die Schmetterlingsarten in den Hochlagen des Nationalparks
sind wenig gefährdet, hier bietet das Schutzgebiet weitgehend ungestörte Lebensräume. „Hochmoor-Bläuling
und Hochmoor-Gelbling sind aufgrund des Lebensraumverlustes im Alpenvorland beinahe ausgestorben, die Zwergstrauchstufe
der Hohen Tauern ist nun ihr Rückzugsgebiet“, weiß der Schmetterlingsforscher. Besonderes Augenmerk
muss in Zukunft vor allem auf die Außenzone und das Vorfeld des Nationalparks gelegt werden. Eine aktuelle
Auswertung zeigt, dass die stark gefährdeten Arten in den Talbereichen vorkommen. Wichtig ist hier eine standortangepasste
Bewirtschaftung mit einer ausgewogenen Beweidung und einem entsprechenden Weidemanagement.
Eine Liebeserklärung an die Flechten
Wenn Roman Türk von Flechten spricht, dann kommt er ins Schwärmen. Doch die Flechten waren nicht
von Anfang an sein wissenschaftliches Hauptinteresse, es war Liebe auf den zweiten Blick. Seit mehr als 40 Jahren
ist die Flechtenvielfalt der Hohen Tauern im Fokus von Roman Türk. „150 Exkursionen, 11.000 Fundpunkte und
über 1.100 Arten, das ist meine Flechtenbilanz der Hohen Tauern. Ein Exkursionstag im Gebirge bedeutet bis
zu 300 Mal bücken und einen 20 kg schweren Rucksack mit Flechtenproben runtertragen, die dann bis zu sechs
Tage Laborarbeit benötigen. So bleibt man körperlich und geistig fit.“, erzählt der Flechtenexperte
mit einem Schmunzeln. Der Nationalpark Hohe Tauern bietet Flechten eine große Vielfalt an Standorten unter
anderem bedingt durch die Höhenstufen, die Geologie und die Luftgüte. Eine Zirbe gewährt - vom Keimling
bis zum Totholz - Lebensraum für verschiedene Flechtenarten über einen Zeitraum von zweitausend Jahren.
Durch das Einrichten von Naturwaldreservaten, in denen die menschliche Nutzung auf ein Minimum beschränkt
ist, wird sich auch in Zukunft ein reichhaltiger Flechtenbewuchs entwickeln können.
Die Funktion der Pilze im Ökosystem
Eierschwammerl und Steinpilz kennt (fast) jedes Kind. Pilze zählen weder zum Tier- noch zum Pflanzenreich,
sondern sind eigenständige Wesen. Sie bauen organisches Material ab oder liefern Pflanzen, vor allem den Bäumen,
Nährstoffe und haben deshalb eine tragende Rolle im Ökosystem. In Österreich gibt es über 10.000
verschiedene Pilzarten. Der Pilzforscher Till Lohmeyer ist fasziniert von dieser Artenvielfalt. „Ich bin kein Berggeher
und hatte immer großen Respekt vor dem Hochgebirge. 2007 beim ersten Tag der Artenvielfalt in den Hohen Tauern
bekam ich die Möglichkeit Pilze auf über 1.700 m Seehöhe zu sammeln. Ich hätte mir nie träumen
lassen, die Bergwelt aus dieser Perspektive kennenzulernen“, schwärmt Lohmeyer jetzt beim zehnten Tag der
Artenvielfalt in Mallnitz. Wie bei den Flechten ist der Nationalpark Hohe Tauern aufgrund der guten Luftqualität
auch bei den Pilzen ein wertvoller Rückzugsraum. „Das Einzäunen von Mooren und Feuchtflächen, das
Zulassen von Altholz und keine Beweidung in den Wäldern, das sind wichtige Maßnahmen für die Förderung
der Pilzvielfalt im Nationalpark.“, empfiehlt der Pilzexperte.
Eine Bilanz der zehn Tage der Artenvielfalt zeigt, dass im Nationalpark Hohe Tauern durchschnittlich 2000 Arten
pro Tal nachgewiesen sind. Beim diesjährigen Tag der Artenvielfalt Ende Juli 2016 im Mallnitzer Tauerntal
ist die erste Schätzung ebenfalls positiv: beispielsweise mehr als 300 Pflanzen-, über 140 Flechten-und
120 Pilz-, 46 Vogel-, 14 Hummel-, 10 Heuschrecken-, 6 Fledermaus-und 5 Libellenarten. Dazu kommen noch Artengruppen
– Spinnen, Algen, Schnacken, Köcherfliegen etc. – die erst im Labor bestimmt werden können.
Der Kärntner Nationalparkdirektor Peter Rupitsch bedankt sich herzlich bei den Wissenschaftler/innen für
ihren engagierten Einsatz. „Als Nationalparkverwaltung haben wir eine große Verantwortung für diese
enorme Vielfalt an Lebewesen im Schutzgebiet. Gemeinsam mit den Grundeigentümern und Bewirtschaftern werden
wir an der Weiterentwicklung des Nationalparks in Kärnten arbeiten und hoffen so, die Artenvielfalt der Hohen
Tauern für die kommenden Generationen zu erhalten.", betont Nationalparkdirektor Rupitsch. Die größte
Herausforderung, gemäß den internationalen Kriterien für Nationalparks, ist die Schaffung und langfristige
Sicherung von nutzungsfreien - also weitgehend vom Menschen unbeeinflussten -Bereichen in den Hohen Tauern.
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