Erstmals mit neu entwickelter Lehrlingstypologie – Wie Lehrlinge im Jahr 2016 über ihren
Beruf, ihren Ausbildungsbetrieb, über ihre persönliche Zukunft und Politik denken
Wien (tfactory) - Es macht den Eindruck, als wäre die Jugend von heute bestens an den aktuellen Zeitgeist
angepasst. Man hört und liest allenthalben von Vertretern einer "Generation Y": individualistisch,
flexibel, lernwillig, unkonventionell. Nur hat die Sache einen Haken. Denn das, was die "Generation Y",
bei der es sich in Wirklichkeit lediglich um ein kleines, hochqualifiziertes Segment der unter 30jährigen
handelt, will, lässt sich nicht so selbstverständlich verallgemeinern, wie das regelmäßig
getan wird. So haben etwa deren Vorstellungen vom Arbeitsleben etwa mit denen von Lehrlingen gar nichts zu tun.
Ganz im Gegenteil orientiert sich die Mehrheit der Lehrlinge an den Leitwerten einer traditionellen Arbeitswelt:
Sicherheit, Stabilität, Kontinuität und eine klare Trennung von Beruf und Privatleben sind für sie
von großer Bedeutung. Die zeitgeistigen disruptiven Umstürzler alles Bestehenden sucht man unter Lehrlingen
vergeblich. Die Einstellungen eines großen Teils der Lehrlinge sind ganz im Gegenteil unzeitgemäß.
Vielleicht liegt darin der Grund warum man sie weitgehendst ignoriert. Das zeigt sich klar in der aktuellen zweiten
Welle der von der tfactory Trendagentur in Kooperation mit dem Institut für Jugendkulturforschung durchgeführten
"Ersten österreichischen Lehrlingsstudie".
Verschiedene Branchen, verschiedene Lehrlinge
Wenn aber Lehrlinge geradezu als Gegenstück zur "Generation Y" gelten können, was wollen sie
wirklich? Hier lohnt sich ein zweiter Blick. Dabei wird man feststellen, dass die Gruppe der Lehrlinge alles andere
als homogen ist. Ausgehend von den Erlebnissen der zweiten Welle der "Ersten österreichischen Lehrlingsstudie"
wurde eine Typologie entwickelt. Diese differenziert nach Sparten zwischen fünf idealtypischen Lehrlingsgruppen,
die sich nicht nur in Hinblick auf ihre Vorstellungen vom Arbeitsleben, sondern auch was die Freizeitkultur betrifft,
mitunter sehr deutlich voneinander unterscheiden. Auch darin, was sie sich vom idealen Arbeitgeber und vom idealen
Ausbildner erwarten, sind sich diese Typen keineswegs einig. Konkret wird zwischen Lehrlingen aus den Sparten Handel,
Industrie, Gewerbe und Handwerk, Tourismus und Freizeitwirtschaft und der überbetrieblichen Lehrausbildung
differenziert. Empirische Grundlage der Typologie bildet eine repräsentative Umfrage unter Lehrlingen (Stichprobengröße
von n=500) sowie eine Reihe von qualitativen Interviews mit Angehörigen der Zielgruppe.
All equal - all different: Die moderne Lehrlingstypologie
Im Rahmen der Studie wurde zum ersten Mal eine Österreichische Lehrlingstypologie nach Ausbildungsbranchen
erarbeitet. Folgende Typen werden beschrieben:
DIE KONVENTIONALISTEN (Handelsangestellte)
DIE ABENTEURER (Freizeitwirtschaft & Tourismus)
DIE HEDONISTEN (Gewerbe & Handwerk)
DIE RATIONALISTEN (Industrie)
DIE ENTKOPPELTEN (Überbetriebliche Lehre)
Im Folgenden wird beispielhaft ein solcher Idealtypus, jener der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung, vorgestellt.
Lehrling der überbetrieblichen Lehrausbildung: DIE ENTKOPPELTEN
Diese Lehrlinge fühlen sich in der Regel minderwertig gegenüber den "vollwertigen" Lehrlingen.
Die "regulären" Lehrlinge sehen in der Regel auf sie herab: Sie leiden darunter, dass sie wenig
Ansehen genießen und auch eine geringere finanzielle Gratifikation bekommen.
Ihr Berufsweg ist in den seltensten Fällen selbst gewählt. Sie werden vom AMS häufig dorthin dirigiert,
wo es ein Ausbildungsangebot gibt. Dadurch ist die Identifikation mit dem Berufsfeld, in dem sie ausgebildet werden,
relativ gering. Schaffen sie über lange Zeit nicht den Sprung in eine reguläre Lehrausbildung, verdüstert
sich die Lebensperspektive und die Stimmung. Man steht der Zukunft und der Ausbildung immer gleichgültiger
und emotionslos gegenüber.
Politisch tendiert die Gruppe zum Rechtspopulismus. Die Elitenkritik ist relativ stark ausgeprägt. Politiker
genießen unter den Entkoppelten kaum mehr Glaubwürdigkeit.
Lehrlingstypologie: Die Entkoppelten
Die Identität der Jugendlichen wird in der Freizeit konstituiert. Über die Leistung im Beruf glauben
sie nicht zu Ansehen und Anerkennung zu gelangen. Sie haben die ihnen gesellschaftlich zugewiesene Verliererrolle
angenommen und internalisiert.An die Lösung ihrer Misere durch Leistung und Engagement glauben sie nicht mehr.
Eine Wende in ihrem Leben erhoffen sie sich durch das Eintreten eines glücklichen Zufalls. Wichtig ist ihnen
bei Produkten und beim Ausbildungsbetrieb das, warüber sie selbst kaum verfügen, ein hoher Statuswert.
Man findet Red Bull super und bezeichnet den Betrieb als Traumarbeitgeber, tatsächlich schätzt man aber
den kleinen Betrieb mit wenigen Arbeitnehmern, weil man sich dort mehr Harmonie und persönliches Entgegenkommen
erwartet.
Körperliches Erscheinungsbild und das Aussehen generell ist für die Selbstachtung der Entkoppelten extrem
wichtig. Anerkennung, die man über Bildung und Berufsleistung nicht erringen kann, versucht man durch die
Inszenierung der Körperästhetik zu kompensieren.
Rolle des Ausbildners: Gefragt ist hier die verständnisvolle Vater- oder Mutterfigur. Die Entkoppelten brauchen
eine Leitfigur, die Sicherheit vermittelt. Zumindest genauso wichtig wie die Sachebene ist die Beziehungsebene.
Mit Kritik sollte sich der Ausbildner zurückhalten oder sie so verpacken, dass sie für den Lehrling auch
annehmbar ist. Wird Kritik zu direkt formuliert, droht der unmittelbare Abbruch der Ausbildung.
Pädagogischer Stil: Verständnisvolles Handeln ist zentral: Fingerspitzengefühl hat große Relevanz.
Die persönliche Lebenslage der Lehrlinge ist täglich zu eruieren, Einsicht in die privaten Angelegenheiten
ist wichtig. Es geht darum, eine offene Gesprächssituation herzustellen, die die Lehrlinge dazu animiert,
über private Dinge zu sprechen, um derart ein Frühwarnsystem zu installieren, das die immer wieder eintretenden
privaten Problemsituationen rechtzeitig erkennen lässt, um den Führungsstil der Ausbildner entsprechend
an die Vorkommnisse anpassen zu können. Wichtig erscheint es, die pädagogische Ausbildung der Ausbildner
zu verbessern. Nützlich ist es, über eine Zusatzausbildung im Jugendcoaching, systemischen Coaching oder
ähnlichen Qualifikstionsfeldern zu verfügen.
Das Studiendesign
Persönliche face-to-face Interviews (hochwertigste Erhebungsmethode!); Stichprobe: n=500, geschichtet nach
Region, Geschlecht und Branchen
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