Gedenksteinenthüllung bei Chelmno nad Nerem
Chelmno nad Nerem/Wien (botschaft warschau) - Eine große und hochrangige politische, kirchliche und
Roma-Delegation aus Österreich nahm am 2. und 3. August 2016 an den österreichisch-polnischen Gedenken
zum 75. Jahrestag der Vertreibung der Hälfte der Österreichischen Roma und Sinti nach Lódz und
in der Folge deren Ermordung im Vernichtungslager Kulmhof bei Chelmno nad Nerem teil.
Die LandtagspräsidentInnen des Burgenlands, Christian Illedits, und der Steiermark, Dr.in Bettina Vollath,
erinnerten am 2. August bei der Feier an der Gedenkstätte an die burgenländischen Roma in Lódz
an die Gräuel, welche über 5000 österreichische Roma hier erleben mussten – und welche Hunderte
nicht überleben - und legten Kränze nieder. Vertreter der römisch-katholischen, lutherischen und
jüdischen Glaubensgemeinschaften sprachen Gebete am Gedenkmal. Der österreichische Botschafter, Dr. Thomas
M. Buchsbaum, meinte, dass Minderheiten auch noch in vielen entwickelten Demokratien eine Politik der "positiven
Diskriminierung" benötigen, um der Mehrheit rechtlich wie tatsächlich gleichgestellt zu sein. Gleichzeitig
damit gehe es auch darum, Hassreden in der Öffentlichkeit und im Internet aufzuzeigen, bloßzustellen,
zu unterbinden und strafrechtlich zu verfolgen. Denn die Akzeptanz von Hassreden bedeute die Förderung von
Intoleranz, die leicht in physische Gewalt umschlagen könne.
Am 3. August wurde im Wald beim ehemaligen Vernichtungslager Kulmhof gemeinsam durch den Obmann des Kulturvereins
österreichischer Roma, Christian Klippl, und den Präsidenten des Polnischen Roma-Verbands, Roman Choinacki,
ein Gedenkstein an die dort in „Gaswagen“ durch deren Auspuffgase ermordeten rund 4300 österreichischen Roma
enthüllt. Der Festakt stand unter dem Ehrenschutz des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda und des
österreichischen Bundespräsidenten. Präsident Duda, Premierministerin Beata Szydlo, Parlamentspräsident
Marek Kuchcinski, der polnische Volksanwalt Adam Bodnar und zahlreiche andere polnische PolitikerInnen sandten
Grußbotschaften. Parlamentsabgeordnete, regionale und lokale politische VertreterInnen nahmen persönlich
am Festakt teil. Der für Roma zuständige österreichischen Weihbischof Dr. Franz Scharl segnete gemeinsam
mit dem polnischen Weihbischof Damian Bryl den Gedenkstein. Botschafter Buchsbaum regte an, in dessen Gedenken
auch den vor kurzem verstorbenen Gründer und Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma, Prof. Rudolf
Sarközi, „diesen großen österreichischen Roma-Vertreter und -Förderer“, mit zu umfassen.
Botschafter Buchsbaum bezeichnete die Stelle, an welcher der Gedenkstein errichtet wurde, als „das größte
Massengrab österreichischer Roma und eines der größten Massengräber österreichischer
Nazi-Opfer.“ Er meinte, dass angesichts heutiger Intoleranz und Ausgrenzung von Minderheiten dieser Stein auch
Auftrag sein solle, Roma und anderen Minderheiten einen rechtlich wie tatsächlich ebenbürtigen Platz
und gleiche Chancen in unserer heutigen Gesellschaft einzuräumen. „Die Qualität von Demokratie und Rechtstaatlichkeit
kann auch am Umfang und am Schutz von Minderheitenrechten gemessen werden: von ethnischen, religiösen, sprachlichen
und sexuellen Minderheiten. Und kein einziger Staat ist dabei perfekt, sondern alle Staaten und alle Gesellschaften
sind aufgerufen, sich darin laufend zu verbessern. Auch das ist für mich die Botschaft dieses Steins für
das Heute und das Morgen“.
Landtagspräsidentin Vollath meinte, dass sich eine zeitgemäße Erinnerungskultur nicht auf „die
unverzichtbaren Enthüllungen von Gedenkstätten, auf wichtige traditionell-rituelle Momente rund um Jahrestage
schrecklicher Ereignisse und auf kollektive Betroffenheitsbekundungen beschränken“ dürfe. „Wir dürfen
daher nicht müde werden, uns für eine Gesellschaft einzusetzen, die die Rechte eines jeden Menschen schätzt
und behütet. Wir brauchen das Bewusstsein, dass Menschenrechte nicht verhandelbar sind und dass unsere Demokratie
und Friede die wohl wichtigsten Güter unserer Gesellschaft darstellen. Wir müssen erkennen, welche Verantwortungsoptionen
jede und jeder von uns im höchstpersönlichen Handlungsbereich wahrnehmen kann, um eine Kultur des Miteinanders
zu fördern und einer Bedrohung durch hetzerische Spaltungstendenzen selbstbewusst und bestimmt entgegentreten
zu können.“
Am Tag davor nahm die österreichische Delegation am jährlichen internationalen Roma-Gedenken im Vernichtungslager
Auschwitz-II-Birkenau teil, wo etwa 4000 österreichische Roma und Sinti umkamen bzw. ermordet wurden. Landtagspräsident
Illedits meinte, es sei unmöglich, die von den Nationalsozialisten in Auschwitz und Birkenau begangenen Grausamkeiten
in ihrer Gesamtheit zu begreifen, und dass das Propagieren ideologischer Motive auf Kosten gesamter Bevölkerungsgruppen
dem aufgeklärten, humanistischen Potenzial des 21. Jahrhunderts nicht entspreche. „Die Brutalität des
ideologischen Mordens im Rahmen der vielen Terrorakte, die die Welt seit Monaten in Atem halten, mahnt uns einmal
mehr davor nicht zuzusehen, wenn sich die Geschichte zu wiederholen droht – wenn auch anders ausgerichtet.“
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