Meilenstein der austro-chinesischen QUESS-Mission auf dem Weg zum Quanteninternet
Bejing/Wien (öaw) - Der Start des chinesischen Forschungssatelliten "Micius" ins All markiert
den Beginn einer neuen Ära der globalen Quantenkommunikation. ForscherInnen der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften und der Universität Wien rund um Quantenphysiker Anton Zeilinger werden erstmals die Übertragung
von Quanteninformation zwischen Weltraum und Erde testen. Ein wichtiger Schritt in Richtung eines zukünftigen
Quanteninternets.
Zwischen Wien, Graz, Bejing, der Wüste Gobi und dem erdnahen Orbit wird derzeit das nächste Kapitel in
Sachen Quantenkryptographie und Quanteninternet aufgeschlagen. Nach jahrelangen Vorbereitungen wurde am 16. August
2016 um 1:40 Uhr Ortszeit vom chinesischen Weltraumbahnhof Jiuquan aus eine spezielle Quantensendestation in den
Orbit befördert. Aus ihrer Umlaufbahn wird die etwa 620 kg schwere Einheit in den kommenden Jahren eine wichtige
Aufgabe erfüllen. Im Verband mit Bodenstationen in Europa und Asien soll es erstmals gelingen, im Rahmen des
austro-chinesischen Projekts "Quantum Experiments at Space Scale" (QUESS) Quanteninformation über
rund 1.000 Kilometer hinweg vollkommen abhörsicher zu übertragen und damit neue Grundlagen sowohl für
die Quantenforschung als auch die Quantentechnologien der Zukunft zu schaffen.
Anton Zeilinger, Quantenphysiker und Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW),
zeigte sich über den geglückten Auftakt der QUESS-Mission erfreut. Mit einem Team von ForscherInnen am
ÖAW-Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) Wien sowie an der Universität Wien
ist er maßgeblich an dem Projekt beteiligt. "Der Transport von hochsensiblen Forschungsinstrumenten
ins All ist ein komplexes und schwieriges Unterfangen. Umso größer ist bei allen QUESS-Partnern die
Erleichterung und Freude über den gelungenen Raketenstart. Damit ist ein erster Schritt zu einer weltweiten
Quantenkommunikation gesetzt", so Zeilinger.
Heinz W. Engl, Rektor der Universität Wien, freut sich ebenfalls über den gelungenen Start und verfolgt
mit großem Interesse die weitere Entwicklung des Projekts. Schließlich gehört die Quantenphysik
der Universität Wien zu den Stärkefeldern der österreichischen Forschung. "Wir betreiben zusammen
mit der ÖAW die Wiener Bodenstation, das 'Hedy Lamarr Quantum Communication Telescope', am Dach des Instituts
für Quantenoptik und Quanteninformation und haben die Chinesische Akademie der Wissenschaften als Projektpartner
mit an Bord. Mit dieser Kooperation, die Grundlagenforschung auf internationalem Top-Niveau ermöglicht, werden
wir das Quanteninternet wesentlich vorantreiben und langfristig die Kommunikation weltweit auf ein neues Level
heben", so Engl.
Neue Quantenrekorde
Der erfolgreiche Start der Mission stimmt die ForscherInnen zugleich für die kommenden Herausforderungen
zuversichtlich. Denn mit der Ankunft der Sendestation im All tritt QUESS, das 2010 von Universität Wien, ÖAW
und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen wurde und vom Bundesministerium für Wissenschaft,
Forschung und Wirtschaft gefördert wird, in seine entscheidende Phase ein. Neue Erkenntnisse soll QUESS dabei
zunächst zur quantenphysikalischen Verschränkung von Teilchen bringen. Nach Albert Einstein auch bekannt
als "spukhafte Fernwirkung" umschreibt diese eine einzigartige Verbindung zwischen zwei Teilchen, die
unabhängig von ihrer Entfernung einen identischen Zustand annehmen und zugleich Informationen über theoretisch
beliebige Distanzen übertragen können. Legt man beispielsweise mit Messungen an einem Photon die Schwingungsrichtung
dieses Lichtteilchens fest, nimmt dessen Parallelteilchen augenblicklich den gleichen Schwingungszustand an.
Experimentell konnte dieses Phänomen von Anton Zeilinger und seinem Team bisher über eine Rekord-Entfernung
von 144 Kilometern nachgewiesen werden. Längere Distanzen auf der Erdoberfläche erwiesen sich aufgrund
der Störungen in der Atmosphäre als nicht durchführbar. Einen Ausweg erkannten die QuantenphysikerInnen
daher mit dem Schritt in den Weltraum. Die Sendeeinheit wird vom Orbit aus verschränkte Photonen zu Bodenstationen
schicken, darunter zur "Satellite Laser Ranging Station" am ÖAW-Institut für Weltraumforschung
in Graz sowie zum "Hedy Lamarr Quantum Communication Telescope" am IQOQI Wien. Wenn alles klappt, werden
hier die erforderlichen Daten gesammelt und abgeglichen, um die Aufrechterhaltung der Verschränkung erstmals
auch über große Entfernungen nachweisen zu können. "Erste Ergebnisse", hofft IQOQI-Forscher
Thomas Scheidl, "könnte es sogar noch in diesem Jahr geben".
Zukünftiges Quanteninternet
Aufmerksamkeit ist dem Projekt aber auch außerhalb der Grundlagenforschung gewiss. Denn das quantenphysikalische
Phänomen der Verschränkung verheißt nicht zuletzt in der Quantenkryptographie großes Potential.
QUESS soll diesbezüglich insbesondere zu Einsatz und Austausch quantenkryptographischer Schlüssel über
bisher unerreichte Distanzen wertvolle Erkenntnisse liefern. Dazu werden zwischen der Sendestation und den Bodenstationen
sogenannte Quantenschlüssel mit Hilfe von Photonen erzeugt. Jeder Versuch des Abhörens während der
Schlüsselerzeugung würde den Zustand der Photonen ändern und wäre damit aufgrund der quantenphysikalischen
Verschränkung sofort festzustellen.
Gelingt dieses orbitale Experiment, ist ein weiterer Schritt in Richtung Quanteninternet geglückt, das dank
quantenkryptographischer Methoden ein neues Höchstmaß an Sicherheit verspricht. Um dieses Ziel zu erreichen,
bedarf es eines neuartigen, stabilen Netzes der Quantenkommunikation. Und zwar über Distanzen hinweg, die
wie bei QUESS wohl nur über den Orbit überbrückt werden können.
Der Wert der mit QUESS verbundenen Pionierarbeiten für die Zukunft kann demnach kaum überschätzt
werden. Ähnlich sehen das auch die chinesischen QuantenphysikerInnen rund um Jian-Wei Pan, Professor an der
University of Science and Technology of China der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, ehemaliger Promovend
von Anton Zeilinger an der Universität Wien und ausländisches Mitglied der ÖAW. Seiner Einschätzung
nach könne man das Projekt daher als "revolutionär" bezeichnen. Mit dem erfolgreichen Start
in den Orbit ist der erste Schritt zu dieser quantenphysikalischen Revolution jedenfalls gesetzt.
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