Wien (wifo) - Nach Jahren auf der "Überholspur" ist die Enttäuschung über die mangelnde
Dynamik der österreichischen Wirtschaft groß, vor allem seit der Finanzmarktkrise. Die Unternehmer sind
mehrheitlich pessimistisch, und zwar pessimistischer als im Ausland; in den vieldiskutierten, wenn auch überschätzten
Rankings fällt Österreich immer mehr zurück, Unternehmensberater sehen den Standort Österreich
nur noch im Mittelfeld. Die Industrie- und Exportstruktur ist wenig dynamisch, Österreichs Exporteure konzentrieren
sich auf langsam wachsende Märkte und verlieren selbst dort Marktanteile. Die Innovationen lassen zu wünschen
übrig, der Arbeitsmarkt leidet unter quantitativen und vor allem qualitativen Diskrepanzen, Staatshaushalt
und Sozialversicherung unter Finanzierungsproblemen. Diese Probleme sind keineswegs neu, wurden aber früher
durch das im Aufholprozess rasche Wachstum und die Übernahme ausländischer Innovationen überdeckt.
Wie Professor Gunther Tichy in der aktuellen Ausgabe der WIFO-Monatsberichte zeigt, konnte die Wirtschaftsforschung
diese Strukturprobleme frühzeitig erkennen und prognostizieren, nicht zuletzt weil bei Strukturprognosen weniger
quantitative als qualitative Aspekte im Vordergrund stehen als bei anderen Prognosen. So wies das WIFO schon früh
auf die strukturbedingte Abflachung des Wachstumstrends hin - vor der OECD und zu einer Zeit, als die Wirtschaftspolitik
noch auf Beschleunigung durch Nachfragepolitik setzte. Die Prognose wies stets in die richtige Richtung, quantitativ
erfolgte die Revision allerdings schrittweise, der aktuellen Abschwächung jeweils vorauseilend. Gleicherweise
diagnostizierte das WIFO frühzeitig die Strukturprobleme, die der Exportschwäche wie der mitteltechnologielastigen
Industriestruktur zugrunde liegen. Es betonte, dass sich die österreichische Wirtschaft nicht weiterhin auf
die Übernahme ausländischer Innovationen beschränken könnte.
Obwohl die Probleme wie ihre Verschärfung durch die Wachstumsverlangsamung von der Wirtschaftsforschung zum
größten Teil rechtzeitig erkannt wurden und es keineswegs an Versuchen der Gegensteuerung durch die
Wirtschaftspolitik fehlte, blieb die österreichische Wirtschaft kontinuierlich hinter jener der als Benchmark
gewählten EU-Länder zurück. Die Probleme blieben - wenn auch auf jeweils höherem Niveau - bestehen,
weil Politik und Wirtschaft an ihre Lösung bloß halbherzig herangingen, keineswegs rascher und innovativer
als die Konkurrenten. Die Persistenz der Probleme war vielfach durch das Fehlen längerfristiger Konzepte bedingt,
vor allem aber durch mangelnde Effizienz von Wirtschaftspolitik und Unternehmen. In den meisten Bereichen stand
umfassenden Inputs kein entsprechender Output gegenüber. Ein erheblicher Teil der Ineffizienzen im öffentlichen
Sektor resultiert aus der mangelnden Identität von Leistungsträger und Financier und der Zersplitterung
der Kompetenzen.
Offen bleibt die Frage des zumindest scheinbaren Widerspruchs zwischen den rechtzeitig erkannten, aber bestenfalls
halbherzig gelösten Strukturproblemen und der bis vor kurzem doch relativ günstigen Entwicklung der österreichischen
Wirtschaft. Eine umfassende Antwort muss weiteren Forschungsprojekten vorbehalten bleiben. In diesem Zusammenhang
können nur stichwortartig drei Hypothesen skizziert werden:
- Erstens profitierte Österreich von temporären Vorteilen, die jeweils
einen Aufholschub auslösten: der Nutzung der Grundstoffkonjunktur der Nachkriegsjahre, dem Vorsprung in der
darauf folgenden Investitionskonjunktur durch Konzentration auf höchste Qualität im Bereich der Mittelhochtechnologie
sowie zuletzt der raschen und großteils erfolgreichen Nutzung der Ostöffnung.
- Zweitens war die Investitionsquote in Österreich kontinuierlich hoch, höher
als bei den meisten Konkurrenten.
- Drittens bedingte die Sozialpartnerschaft einerseits einen lang anhaltenden wirtschaftspolitischen
Grundkonsens, dessen Elemente nicht "ausdefiniert" waren, was Kompromisse erleichterte; sie ermöglichte
weiters flexible Reallöhne und - zum Teil dadurch - eine erhöhte Kapazität, Schocks zu verarbeiten
- wie sich zeigte allerdings auf Kosten grundlegender Reformen.
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