Wesentliche Funktion von Schlaf geklärt / Schlaf reduziert die Übertragung zwischen
Nervenzellen und schafft dadurch Platz für Neues und Wichtiges / Publikation in Nature Communications
Freiburg (idw) - Noch immer ist nicht eindeutig geklärt, weshalb Menschen und Tiere schlafen. Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg
zeigen in einer am 23. August 2016 im Fachmagazin Nature Communications veröffentlichten Studie, dass im Schlaf
die allgemeine Aktivität der als Synapsen bezeichneten Nervenzell-Verbindungen reduziert wird. Die meisten
Verbindungen werden geschwächt, manche sogar ganz abgebaut. Nur wichtige Synapsen bleiben bestehen oder werden
gestärkt. Dadurch schafft das Gehirn wieder Platz, um neue Informationen zu speichern. Diese als synaptische
Plastizität bezeichnete Anpassungsfähigkeit ist eine wichtige Grundlage für Lernen und eine flexible
Informationsverarbeitung. Der Abbau dürfte zudem Platz und Energie sparen, da beides im Gehirn zu einem Großteil
von den Verbindungsstellen benötigt wird.
Nehmen wir tagsüber Informationen auf, werden im Gehirn Synapsen gestärkt oder neu angelegt. „Wir konnten
jetzt erstmals beim Menschen zeigen, dass Schlaf die Synapsen wieder heruntergeregelt und damit Platz für
neue Informationen schafft. Das Gehirn räumt also im Schlaf auf“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Christoph Nissen,
Ärztlicher Leiter des Schlaflabors an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums
Freiburg. „Wird dieser Prozess durch Schlafmangel unterbunden, gerät das Gehirn in einen Sättigungszustand.
Synapsen können dann nicht mehr ausreichend verstärkt oder neu aufgebaut werden. Entsprechend schwer
fallen auch Lernen und flexible Informationsverarbeitung.“
Schlaf senkt die tagsüber gestiegene Aktivität der Synapsen
Zunächst untersuchten die Forscher die allgemeine Aktivität der Synapsen im Gehirn, die auch als Gesamtverbindungsstärke
bezeichnet wird. Mit Hilfe einer Magnetspule über dem Kopf der Probanden reizten sie einen Bereich im Gehirn,
der für die Steuerung eines Daumenmuskels zuständig ist. Dieses Vorgehen wird als Transkranielle Magnetstimulation
(TMS) bezeichnet. Nach Schlafentzug löste bereits ein deutlich schwächerer Reiz eine Kontraktion des
Muskels aus, was ein Zeichen für eine hohe synaptische Verbindungsstärke ist.
Außerdem werteten die Forscher mittels Elektroenzephalografie-Messungen (EEG) die unterschiedlichen Frequenzen
der Hirnströme aus. Schlafentzug führte dabei zu einem deutlichen Anstieg sogenannter Theta-Wellen. Vorangegangenen
Tier- und Humanstudien zufolge ist dies ein weiteres Anzeichen erhöhter synaptischer Gesamtstärke. „Schlaf
senkt die tagsüber gestiegene Gesamtstärke der Synapsen im Gehirn. Nach Schlafentzug bleibt die Aktivität
dagegen auf einem hohen Niveau“, sagt Prof. Nissen.
Gehirn wehrt sich gegen Überladung
Außerdem fanden die Forscher erstmals beim Menschen Hinweise für ein Prinzip, das eine dauerhafte Reizverarbeitung
gewährleistet, die sogenannte homöostatische Plastizität. Sind die Synapsen durch lange Wachphasen
bereits maximal aktiv, führen neue Reize oder Informationen nicht zu einer Stärkung, sondern zu einer
Schwächung der Nervenzell-Verbindungen. Neu ankommende Reize können dann wieder normal verarbeitet werden.
„Es ist anzunehmen, dass praktisch alle Funktionen des Gehirns dadurch beeinflusst werden, wie etwa Emotionsregulation,
Konzentration oder Lernen“, sagt Prof. Nissen.
Im Experiment kombinierten die Forscher wiederholt die Reizung des motorischen Gehirn-Areals mit einem elektrischen
Reiz am Arm, der ins Gehirn weiter geleitet wird. Findet eine Stärkung der Verknüpfung von Nervenzellen
statt, kontrahiert sich der Daumenmuskel stärker als zuvor. Dieser Effekt zeigte sich nach Nachtschlaf. Nach
Schlafentzug dagegen war die Kontraktion des Daumenmuskels sogar schwächer. Auf Verhaltensebene beobachteten
die Freiburger Forscher zudem ein schlechteres Neulernen von Wortpaaren nach Schlafentzug.
Möglicher Grund, warum Menschen Schlafmangel unterschiedlich gut vertragen
Weiterhin fanden sie Hinweise darauf, dass der Wachstumsfaktor BDNF (brain derived neurotrophic factor) bei der
Regulation der synaptischen Aktivität eine wichtige Rolle spielt. Es ist bekannt, dass BDNF nach normalem
Schlaf die Neuverknüpfung von Nervenzellen und damit Lernen fördert. Die Forscher konnten nun zeigen,
dass eine anhaltend hohe BDNF-Konzentration im Blut unter Schlafentzug eher zu einer Sättigung von Synapsen
führte. „Das könnte erklären, warum manche Menschen Schlafmangel besser verkraften als andere“,
sagt Prof. Nissen.
Therapieansätze für Depression und Schlaganfall
Die Erkenntnisse könnten zur Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten beitragen, etwa nach Schlaganfall
oder bei depressiven Störungen. Bei diesen Erkrankungen ist es wichtig, Verschaltungen im Gehirn zu verändern.
Hierzu könnten eine gezielte Beeinflussung des Schlaf-Wach-Verhaltens, aber auch andere Verfahren wie die
transkranielle Gleichstromstimulation oder Medikamente mit neuen Wirkmechanismen auf Plastizität genutzt werden.
Original-Titel der Arbeit: Sleep recalibrates homeostatic and associative synaptic
plasticity in the human cortex. DOI: 10.1038/ncomms12455
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