To be in an upright position on the feet (studio visit). Von 8. September - 1. November 2016
in der Secession in Wien
Wien (secession) - Gegenwart und Vergangenheit sind vielleicht in der Zukunft enthalten und im Gewesenen
das Künftige. Ist aber jegliche Zeit stets Gegenwart, wird alle Zeit unwiderrufbar. Was hätte sein können,
wird zum Abstraktum und bleibt als stete Möglichkeit bestehn in einer Welt des rein Begrifflichen. Das Mögliche
und das Gewesene weisen aufs gleiche Ziel, das immer da ist. T.S. Eliot, Vier Quartette
Thea Djordjadze schafft raumgreifende Installationen, die sie stets in situ als direkte Reaktion auf
den sie umgebenden Raum entwickelt. Als Ausgangspunkt erkundet sie erst die spezifischen Qualitäten eines
Ausstellungsraums, um mit ihren Arbeiten die Wahrnehmung und mögliche Lesarten der räumlichen Gegebenheiten
auf subtile Weise zu transformieren. Ihre künstlerische Praxis ist als Prozess des fort- dauernden Wiederverwertens,
Rekonfigurierens und Neuordnens von vorhandenen und neuen Objekten zu verstehen. Das Provisorium - die temporäre
Lösung oder Formfindung -, das wieder verworfen oder ersetzt wird und das stets einen Übergang in sich
trägt, ist charakteristisch für ihr Werk, oder konkreter noch: wird selbst zum Werk.
Für ihre Ausstellung in der Secession hat Djordjadze ihr Atelier nach Wien übersiedelt. Buchstäblich
alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wurde abmontiert, aus Regalen geräumt, in Umzugskartons geschich-
tet, mit Luftpolsterfolie verpackt, auf Paletten gestapelt, in den LKW geladen. Eine radikale Entscheidung, denn
ihr Studio in Berlin bleibt zumindest vorläufig komplett leer. Der Künstlerin sind all jene Dinge, die
sie zum Arbeiten oder schlicht für den Alltag benötigt, temporär entzogen. Doch steckt in einer
derartigen Entleerung, dem Schaffen einer tabula rasa, nicht auch das Potential einer Befreiung, einer (wieder
gewonnenen) Freiheit?
Mit dem gesamten Inventar hat die Künstlerin eine Installation entwickelt, in der ihr privater Arbeitsraum,
das Atelier, öffentlich gemacht wird und hierfür eine neue Ordnung und skulpturale Form annimmt. Dieser
Transformation ging eine penible Auseinandersetzung mit den Gegenständen voraus. In diesem inten- siven Prozess
der Sichtung wurden die den Gegenständen zugrunde liegende Beschaffenheit und Funk- tion untersucht, so dass
diese letztendlich nur noch als abstraktes Material wahrgenommen wurden - frei, um intuitiv und lustvoll neu
arrangiert zu werden: Schrauben, Elektrogeräte, Werkzeug, Gipssäcke, Papiermaché, Ton, Drucker,
Scanner, Holzplatten, Staffel, Regale, Archivboxen, Farben, Pinsel, Zeitschriften, Hausrat, Plexiglasplatten, Stahlgestelle,
Pflanzen, Tische, Stühle, Stoffe, Felle, Pölster, Gemälde, mundgeblasene Glaskugeln, Lampen, Vitrinen,
Modelle für kommende, Objekte aus vergangenen Ausstellungen etc.
Durch die räumliche Verdichtung dieser Materialien und Objekte schafft die Künstlerin unterschiedliche
"Zonen", die den Ausstellungsraum und dessen Grundstruktur akzentuieren: An einer Wand hängen leere
Regale und Schubläden aus Holz, daneben lehnen unbehandelte Bretter. Gegenüber sind einige läng-
liche mehrteilige Metallplatten angebracht, die an Fensterläden erinnern und dank Scharnieren flach aufliegen
oder sich wie ein Relief von der Wand abheben können; Metallregale und Küchenmobiliar schweben eigentümlich
über dem Boden. Alles ist hier nach einem strengen Raster ausgerichtet, das Raumhöhe und Vertikale betont
- vielleicht ein lapidarer Verweis auf Judd'sche Gestaltungsprinzipien.
Als künstlerische Fragestellung spielt das Display - Vitrine, Sockel, Rahmung, Podest usw. - für Djordjadze
schon lange eine wesentliche Rolle und ist ein wiederkehrendes Motiv in ihrer Arbeit. In der aktuellen Installation
werden Alltagsgegenstände, Arbeitsmaterial und künstlerische Arbeiten grund- legenden Fragen des Ausstellens
gleichwertig unterzogen. An der Wand eines Seitenschiffs ranken die Blätter von Zimmerpflanzen hoch, eingerahmt
von schwarzen Industrieregalen, ein selbstgezimmertes Sofa mit überproportional tiefer Sitzfläche verleiht
der Situation etwas Wohnlichkeit. Die Verkleidung einer freistehenden Metallskulptur wurde kurzum zweckentfremdet
und mit Holzplatten und Staffeln gefüllt - selbst wenn sie nicht beantwortet wird, drängt sich die Frage
auf: Handelt es sich bei dem Objekt um eine Skulptur oder schlicht einen provisorischen Behälter? Von der
Vielzahl ihrer Gemälde wiederum ist nur eine Auswahl "klassisch" gehängt, andere lehnen an
die Wand oder sind hintereinander gestapelt, so dass nur ihre Rückseite oder ein Ausschnitt zu sehen ist.
Djordjadze antizipiert und reagiert (schon in der Konzeption) auf einen voyeuristischen Blick mit der subtilen
Anwendung eines Blickregimes: Was gezeigt wird, was verhüllt, verschleiert, verborgen bleibt, welche Ansichten
den BetrachterInnen gewährt werden, unterliegt der Kontrolle der Künstlerin - und oft ist es ein Zeigen
und Nicht-Zeigen zugleich. Das Prinzip findet sich auch im ebenfalls To be in an upright position on the feet (studio
visit). betitelten Künstlerbuch wieder, das im Vorfeld der Ausstellung ent- wickelt wurde. In über hundert
Fotografien, die im Berliner Studio gemacht wurden - Raum- und Detailansichten, die vielfach variiert werden -
wird ein Einblick in den Atelieralltag vermittelt, jedoch nur vermeintlich, denn das Bild konkretisiert sich nicht,
bleibt ein flüchtiges.
Die Installation im Hauptraum der Secession stellt eine Art "Meta-Ausstellung" dar, der das gesamte künstlerische
Oeuvre Djordjadzes innewohnt. In den provisorischen Konfigurationen ist Vergangenes spürbar, während
sie sich schon für Künftiges, Potentielles bereit zu halten scheinen. Diese paradoxe Gleichzeitigkeit
manifestiert sich im Jetzt der Ausstellung.
Das Ausstellungsprogramm wird vom Vorstand der Secession zusammengestellt. Kuratorin: Jeanette Pacher
Thea Djordjadze
Thea Djordjadze, geboren 1971 in Tiflis (Georgien), lebt und arbeitet in Berlin. Ausgewählte Einzelausstellungen:
2016 Space Under, Projects 103, MoMA PS1, New York
2015 MA SA I A LY E A SE - DE, South London Gallery, London
2014 A guide on wrong path, Galerie Meyer Kainer, Wien; MIT, Cambridge (USA)
2013 our full, MUDAM Luxembourg; Thea Djordjadze, Aspen Art Museum, Aspen (USA); november, Kölnischer Kunstverein
2012 our full, Konsthall Malmö
2011 Lost Promise in a Room, The Common Guild Glasgow; Thea Djordjadze - His vanity requires no response, Contemporary
Art Museum St. Louis
2010 Die 7 Lärmlampen, Dommuseum Salzburg
2009 westlondonprojects, London; endless enclosure, Kunsthalle Basel 2008 Thea Djordjadze, Kunstverein Nürnberg
/ Albrecht Dürer Gesellschaft 2007 Possibility, Nansen, Studio Voltaire, London
Ausgewählte Gruppenausstellungen:
2016 Wer nicht denken will, fliegt raus. Handlungsanweisungen nach Beuys, Kurhaus Kleve
2015 All the worlds futures, 56. Venedig Biennale; Adventures of the Black Square. Abstract Art and Society 1915-2015,
Whitechapel Gallery, London
2014 Der Brancusi-Effekt, Kunsthalle Wien; Nationalgalerie Tiflis
2013 Kamikaze Loggia, Georgischer Pavillon, 55. Venedig Biennale; Nouvelles Impressions de Raymond Roussel, Palais
de Tokyo, Paris; Collection on Display, Sammlungspräsentation des Migros Museum für Gegenwartskunst,
Zürich
2012 Olinka Or Where The Movement is Created, Museo Tamayo, Mexico City; Sculptural Matter, ACCA Melbourne; Documenta
13, Kassel
2011 Time again, Sculpture Center, New York
2010 Mental Archaelogy, Le Credac, Ivry-sur-Seine und Kunstverein Nürnberg; New Décor, Hayward Gallery,
London; The Promises of the Past, Centre George Pompidou, Paris; Aspekte des Sammelns, Essl Museum, Klosterneuburg
Publikation
Thea Djordjadze
To be in an upright position on the feet (studio visit).
128 Seiten
Format: 170 x 230 mm
Details: Broschur, Fadenheftung, dreiseitiger Farbschnitt 120 Abbildungen
Secession 2016 Vertrieb: Revolver Verlag EUR 24,-
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