Gesellschaftliche Verunsicherung, Sinnverlust und seelische Gesundheit - Die Herausforderung
der Gegenwart
Wien (universtität) - Vom 22.-25. September 2016 findet an der Universität Wien der dritte Weltkongress
des Viktor Frankl Instituts statt. Rund 450 Forscher aus 35 Ländern, vorwiegend Psychologen und Psychiater,
kommen auf dem Campus der Universität Wien zusammen, um die gesellschaftlichen und psychologischen Herausforderungen
der Gegenwart zu diskutieren. Zentrales Thema des diesjährigen Kongresses sind die psychologischen und sozialen
Herausforderungen der Gegenwart, insbesondere des sich laut mehreren internationalen Studien zunehmend verbreitende
und generationsübergreifende Gefühl der Verunsicherung, der Resignation und des Werteverlusts insbesondere
angesichts sozialer Krisenbereiche.
Hierzu Univ.-Prof. Dr. Alexander Batthyany, Vorstand des Viktor Frankl Instituts und Organisator des Kongresses:
„Psychiater und Psychologen beobachten weltweit ein Ausmaß an Entmutigung, Verzweiflung und unbestimmter
Wut in der Bevölkerung, wie es zuletzt im Zuge der großen Krisen und Einbrüche des 20. Jahrhunderts
beschrieben wurde. Die psychologischen und damit auch volkswirtschaftlichen Kosten dieser Entwicklung sind enorm.
Denn zahlreiche Forschungsarbeiten bestätigen heute, was Viktor Frankl schon am Anfang des vergangenen Jahrhunderts
vermutete: Sinn- und Wertkrisen haben nicht nur soziale, sondern auch gesundheitliche Auswirkungen, psychologisch
und langfristig auch körperlich.“
Auf dem Kongress werden mehrere groß angelegte internationale Forschungsergebnisse u.a. aus den USA, Russland,
Israel, Österreich, Deutschland, Finnland, Brasilien und Kolumbien vorgestellt, die einen starken Zusammenhang
zwischen Sinngefühl und seelischer Gesundheit belegen. Diese Studien und Beobachtungen an mehreren tausend
Patienten zeigen, dass die Anfälligkeit für seelische Krankheiten stark mit dem zugrundeliegenden Lebensgefühl
zusammenhängt. Sie zeigen aber auch, dass eine sinnorientierte Neuausrichtung einen ausgeprägten positiven
therapeutischen Effekt sowohl in der Vorbeugung als auch in der Behandlung psychischer Störungen hat."
Batthyany weiter: „Das Sprechen vom Werteverlust und der Verunsicherung wird schnell zum Schlagwort, wenn man es
nicht mit konkreten Daten und auch therapeutischen Hilfsangeboten unterfüttert. Unser Kongress hat sich genau
das zur Aufgabe gestellt: Konkrete Auswirkungen und ebenso konkrete Auswege zu diskutieren und Initiativen vorzustellen,
die zeigen, dass und wie es auch anders geht. Während des Kongresses werden etwa einige äußerst
erfolgreiche sinnorientierte Modellversuche in Europa und Lateinamerika vorgestellt, die einen signifikanten Rückgang
von Depression, Aggression und Drogenmissbrauch durch kurze und gezielte Interventionsprogramme bewirken. In Kolumbien
etwa ist einer dieser Modellversuche letzten Monat etwa als bestwirksames Präventionsprogramm des Landes prämiert
worden. Die Tatsache, dass solche Initiativen so viel Gutes bewirken, ist natürlich auch ein Appell, noch
viel mehr zu tun. Erst recht, wenn man sich das heutige psychologische Klima betrachtet.“
Batthyany: „Wir sehen eine interessante aktuelle Entwicklung. Die psychologischen Probleme der Wohlstandsgesellschaft
haben sich in vielen Ländern innerhalb kurzer Zeit gewandelt: Wo wir noch vor wenigen Jahren ein Lebensgefühl
der Resignation sahen, finden wir heute zusätzlich ein erstaunlich hohes Maß an Unmut, Unzufriedenheit
und diffuser Ablehnung. Das sind alarmierende Zeichen – zumal, wenn sie so weitflächig in beinahe allen Gesellschaftsschichten,
vor allem aber auch unter jungen Menschen auftreten. Das müssen wir ernstnehmen, denn hier geht es nicht mehr
nur um die psychische Gesundheit des Einzelnen, sondern auch um das gesellschaftliche Klima im Allgemeinen.“
Batthyany weiter: „Schon Frankl sagte: Sowohl Resignation als auch Aggression hängen eng mit Verunsicherung
und Sinndefizit zusammen. Sie sind Anzeichen einer tiefen Verunsicherung, eines wirklichen oder anscheinenden Werteverlusts
der Gegenwart. In der Resignation etwa zieht sich der Mensch in die Unverbindlichkeit zurück – alles scheint
ihm gleichgültig, nichts spricht ihn an. Alles ist provisorisch, beiläufig. Die Folge ist eine tiefe
innere Leere und Unzufriedenheit.“
Frankl bezeichnete dieses Lebensgefühl als existentielles Vakuum – ein nagendes Gefühl der Entmutigung
und Sinnlosigkeit. Und Frankl mahnte schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts: In diese innere Leere wuchern
schnell negative psychische und soziale Entwicklungen.
Batthyany dazu: „Psychologen stellen heute tatsächlich vermehrt eine in diesem Ausmaß neue soziale und
psychologische Bewegung fest – Wut und Ablehnung als Lebenshaltung. Die Forschung zeigt: Davon versprechen sich
Menschen eine Überwindung der eigenen Gleichgültigkeit. Und die Rechnung geht kurzfristig sogar auf:
Sie fühlen sich vielleicht wieder stärker, wenn ihre Kräfte gegen etwas einsetzen. Es ist daher
auch oft ziemlich beliebig, gegen was sich die Ablehnung richtet.
Hier sollte die Psychologie aber hellhörig werden. Denn gelingendes Leben hängt nicht so sehr davon ab,
dass ich weiß, was und wen ich nicht will. Es hängt vielmehr davon ab, dass ich weiss, wozu ich gut
bin – wo ich gebraucht werde, wo ich meinen persönlichen positiven und konstruktiven Beitrag leisten kann,
wofür ich Verantwortung trage. Dass ich weiß, dass es gut ist, dass ich da bin. Nicht, weil ich gegen
etwas bin, sondern, weil ich für etwas gut bin. Mit anderen Worten – wenn ich mir eine persönlichen Sinnaufrufs
bewusst bin. Ist das einmal gegeben, setzen sich, wie wir heute wissen eine ganze Reihe heilsamer Prozesse in Gang."
Wie vielfältig diese heilsamen Prozesse wirken, zeigt ein Querschnitt aus dem Kongressprogramm: Japanische
Krebsforscher berichten während des Kongresses von einer groß angelegten Studie, der zufolge sich die
Immunwerte im Rahmen einer sinnorientierten Beratung stark und nachhaltig verbessern. Andere zeigen einen signifikanten
Rückgang von depressiven Erkrankungen in Folge von logotherapeutischen Gemeinschaftsprogrammen insbesondere
in der Selbstmordberatung. Wieder andere Arbeiten belegen eine Entspannung sozialer Konflikte, bzw. eine gesteigerte
konstruktive Konfliktfähigkeit im Zuge sinnorientierte Intervention. Insgesamt 70 Forschungsarbeiten werden
vorgestellt.
Batthyany: "Sie alle sagen im Grunde eines: Das, was Viktor Frankl dem verunsicherten Menschen des vergangenen
Jahrhunderts zu sagen hatte, ist nicht nur aktuell – es ist sogar aktueller denn je. Und es ist wirksam.“
Während des dreitägigen Kongresses diskutieren die 450 Wissenschaftler die vielfältigen Zusammenhänge
zwischen Lebenshaltung, Sinngefühl, gesellschaftlicher Entwicklung und seelischer Gesundheit. Die Themen sind
breit gefächert, das Grundthema: „Die Bedeutung des Sinnbewusstsein für Leben, Gesundheit und Gesellschaft“
zieht sich, ganz im Sinne des Lebenswerks des berühmten Namensgebers des Kongresses, wie ein roter Faden durch
das ganze Programm. Der Kongress findet vom 22.-25. September 2016 im Hörsaalzentrum auf dem Campus der Universität
Wien statt.
3. Viktor Frankl Kongress, Universität Wien
23.9.2016, 09:00 - 22:00 Uhr
Campus der Universität Wien
Spitalgasse 2, 1090 Wien
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