Aktuelle Europastunde auf Verlangen des Team Stronach
Wien (pk) - "Hier ist ein Verzug auf EU-Ebene." Mit diesen Worten fasste Verteidigungs- minister
Hans Peter Doskozil in der Aktuellen Europastunde im Nationalrat vom 21.09. die EU-Politik in Sachen Flüchtlings-
und Migrationspolitik zusammen. Konkret meinte er damit die Sicherung der Außengrenzen, notwendige Rückführungsabkommen,
ein gemeinsames europäisches Asylverfahren und die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Doskozil
hält es zudem für notwendig, an den EU-Außengrenzen eine gemischte polizeiliche und militärische
Mission einzurichten. Aber auch in dieser Frage ist ihm das Tempo zu langsam. Die Grünen hegen dagegen verfassungsrechtliche
Bedenken.
Der Verteidigungsminister traf diese Feststellungen im Rahmen der vom Team Stronach verlangten aktuellen Europastunde
zum Thema "Schutz der österreichischen Grenzen, der EU-Außengrenzen und Sicherung von Schutzzonen
– wie wird sich Österreich verhalten?"
Doskozil zeigte in diesem Zusammenhang auch Verständnis für die Haltung der Visegrad-Staaten, die das
Vertrauen in die Handlungsoptionen der EU verloren hätten. Dieses Vertrauen werde man, so der Minister, nur
dann zurückgewinnen können, wenn die EU Handlungsfähigkeit durch einen effektiven Schutz ihrer Außengrenzen
und den Abschluss von Rückführungsabkommen unter Beweis stellt. Dann werde man mit diesen Ländern
auch darüber diskutieren können, wie man zu einem gemeinsamen Asylverfahren kommt und wie man eine gerechte
Verteilung der Flüchtlinge umsetzen kann. Die Visegrad-Staaten haben den Lissabon-Vertrag unterschrieben und
damit auch die Zusage zu solidarischem Handeln bekräftigt, merkte dazu die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek (G)
an.
Der Minister unterstrich mehrmals, dass man das Thema europäisch betrachten müsse. Wenn aber zu wenig
passiert, dann seien nationale Maßnahmen gefordert. Sein Ressort bekomme daher mehr Budgetmittel und mehr
Personal und werde einer Strukturreform unterzogen. Österreich engagiere sich zudem auch im Mittelmeerraum
und unterstütze Ungarn bei der Sicherung der Grenze zu Serbien. Österreich habe seine Hausaufgaben gemacht,
betonte der Minister. Seine Zusammenarbeit mit dem Innenminister fand allgemeines Lob, auch seitens der Opposition.
Hart gingen in der Diskussion Europa-Abgeordneter Heinz Kurt Becker (V) und seine Kollegin vom Grünen-Klub
Ulrike Lunacek mit den europäischen Regierungen ins Gericht. Die Sicherung der Außengrenzen sei nicht
verwirklicht worden, weil die Regierungen der Mitgliedstaaten ihren Job nicht gemacht haben und die vielfältigen
Vorstöße der EU-Kommission mit Hinweis auf staatliche Kompetenzen verhindert hätten. Auch bereits
beschlossene Projekte seien nicht umgesetzt worden.
Diskussion über die Ausgestaltung einer gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik
In der Frage der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) stellte Doskozil klar, dass sich Österreich
nicht an einer europäischen Armee beteiligen und neutral bleiben werde. Man werde aber im Sinne der Bedeutung
des Auslandsengagements bestmögliche Kooperationsvarianten finden, versicherte er. Das wiederum wollte der
Freiheitliche EU-Abgeordnete Harald Vilimsky nicht zur Kenntnis nehmen und warnte vor einer EU-Armee, die völlig
andere Interessen als Österreich verfolgen werde. Eine europäische Armee steht nicht auf der Tagesordnung,
konterte daraufhin die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek (G). Die FPÖ versuche Mythen zu schaffen und Märchen
zu erzählen, weil sie darauf aus sei, aus der EU auszutreten und sie zu zerstören, kritisierte sie scharf
die Aussagen Vilimskys. Dem widersprach wiederum der Freiheitliche Reinhard Eugen Bösch, indem er sagte, kein
Freiheitlicher wolle aus der EU austreten, man verlange aber eine Reform der EU.
Grün-Abgeordneter Peter Pilz unterstützte grundsätzlich eine gemeinsame europäische Verteidigung,
jedoch unter jenen Voraussetzungen wie sie die österreichische Neutralität vorsieht. So müsste auch
auf europäischer Ebene die Nicht-Teilnahme an einem Krieg, das Verbot einem militärischen Bündnis
beizutreten und fremde Gruppen auf europäischen Boden zu stationieren als Verfassungsprinzipien verankert
werden.
Team Stronach: Migrantenströme sind von der EU aus wirtschaftlichen Gründen gewollt
Angestoßen wurde die Debatte vom Team Stronach, dessen Klubobmann Robert Lugar von einer Flüchtlingsbewegung
"biblischen Ausmaßes" sprach. Dahinter vermutet er weniger die Krisenherde, vielmehr ortet er die
Schuld dafür bei der EU, die der Bevölkerung nach seinen Worten einen "Schmäh" auftische,
in Wahrheit aber aus wirtschaftlichen Gründen beschlossen habe, 17 Millionen Migrantinnen und Migranten nach
Europa zu holen, um der Wirtschaft Arbeitskräfte zuzuführen. Man wisse derzeit nicht, wer kommt, und
alle, die in Österreich landen, bleiben auch hier, weil man nicht darauf schaut und sie nicht zurück
führen könne, so Lugar. Die wenigsten dieser Menschen hätten Anrecht auf einen Asylstatus, da die
meisten WirtschaftsmigrantInnen seien. Kriegsflüchtlinge hätten nach der Genfer Konvention zudem kein
Anrecht auf Asyl, sie müssten in ihren Nachbarländern Zuflucht finden, wo man sie auch unterstützen
sollte. Lugar warnte vor allem vor einem allzu großen Zustrom von Muslimen, die Europa wieder in Besitz nehmen
wollen, wie er meinte. Diese würden etwas ganz anderes wollen als das, "was wir lieb gewonnen haben".
Ins gleiche Horn stießen seine Klubkollegen Christoph Hagen und Martina Schenk. Sie vermissten Handlungsfähigkeit
sowohl auf EU-Ebene, als auch innerhalb der österreichischen Bundesregierung. Beide sprachen sich für
die Einrichtung von Schutzzonen und Wartecamps in Nordafrika aus und sehen vor allem den Außenminister gefordert,
mit Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Marokko und Nigeria Rücknahmeabkommen zu schließen.
FPÖ: Regierung betreibt Placebo-Politik
Von einer Politik der Placebos seitens der Bundesregierung sprach FPÖ-Abgeordneter Johannes Hübner.
Konkret meinte er damit die verbale Bekräftigung, die EU-Außengrenzen schützen zu müssen,
ohne tatsächlich etwas dafür zu tun. Auch FRONTEX habe dafür keinen Auftrag, sondern stelle lediglich
eine "Schlepperhilfe-Organisation" und eine "kostenlose Transporthilfe in die EU" dar. Es fehle
einfach der politische Wille, der Masseneinwanderung Einhalt zu gebieten und dafür brauche man ein Konzept.
Derzeit bleibe Österreich nichts anderes übrig, als die eigenen Grenzen zu schützen.
Ebenso ortete Reinhard Eugen Bösch (F) einen Notstand und plädierte für eine Schließung der
Grenzen, nachdem die EU versage. Harald Vilimsky warnte zudem davor, dass der Hauptstrom der MigrantInnen von Italien
an die Brennergrenze geht und sprach sich für eine stärkere Unterstützung zum Schutz der Menschen
in jenen Regionen aus, aus denen sie kommen. Bösch meinte auch, dass man jene Menschen zurückschicken
müsse, bei denen der Asylgrund wegfällt. Lobende Worte fand er trotz aller freiheitlichen Kritik an der
Bundesregierung für Verteidigungsminister Doskozil, der das Bundesheer darauf vorbereite, gemeinsam mit dem
Innenminister die österreichischen Grenzen zu schützen.
SPÖ: Die vielfältigen Fluchtursachen bekämpfen
Während Freiheitliche und Team Stronach in erster Linie auf nationale Lösungen setzten, unterstrichen
die RednerInnen von SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS die Notwendigkeit eines gemeinsamen solidarischen
Vorgehens in Europa, wie dies Otto Pendl formulierte. "Wenn wir ein gemeinsames Europa wollen, dann müssen
wir die nationalen Kompetenzen auf EU-Ebene bündeln", meinte dazu Hannes Weninger. Allgemein wurde jedoch
eingeräumt, dass man bis zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen die eigenen Grenzen schützen
müsse. Die EU-Abgeordnete der SPÖ, Karin Ingeborg Kadenbach, warnte vor einem Aufziehen von Binnengrenzen,
denn ein Aussperren habe auch das Einsperren zu Folge, und das würde sich auf den Binnenmarkt und die Mobilität
negativ auswirken.
Die Konstruktion der EU zur Zeit von Schengen sei aus heutiger Sicht politisch fahrlässig, gab Weninger zu
bedenken, andererseits sei die aktuelle Situation nicht absehbar gewesen. Weninger verteidigte die EU-Institutionen
und wies darauf hin, dass es die Mitgliedstaaten selbst seien, die effiziente Lösungen verhindern. Wenn einzelne
Staaten keine Kompetenzen abgeben wollen, dann könne man dies nicht der EU vorwerfen, sagte er.
Weninger drängte sowie Pendl und Kadenbach darauf, dass die internationale Staatengemeinschaft für Frieden,
soziale Lebensbedingungen und eine lebenswerte Umwelt sorgt, denn damit bekämpfe man auch die Fluchtursachen.
In diesem Sinne setzte sich Pendl dafür ein, humanitäre Projekte in den Krisenregionen durchzusetzen
und Kadenbach sprach sich für eine Entwicklungspolitik aus, die auch den Namen verdient. Sie befürwortete
Schutzzonen in den Regionen und prangerte das Wegschauen vor kriegerischen Auseinandersetzungen an.
ÖVP: Grenzen setzen und Sicherheit geben
"Grenzen setzen und Sicherheit geben", so sieht ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka die Aufgabenstellung.
Er zeigte sich zuversichtlich, dass die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker dies erkannt habe und man nun daran
gehe, mit Hilfe der neu gegründeten Grenz- und Küstenwache die Außengrenzen zu schützen. Die
Menschen dürften nicht mehr ans europäische Festland gelangen, sagte Lopatka, denn dann stehe ihnen der
Weg nach Mittel- und Nordeuropa frei. Der EU-Abgeordnete der ÖVP Heinz Kurt Becker äußerte jedoch
Zweifel, ob diese Grenzsicherungseinheit, wie sie derzeit konzipiert ist, auch ausreicht. Lopatka warnte auch davor,
sich auf die Vereinbarung mit der Türkei zu verlassen und die EU-Außengrenzen zu vernachlässigen.
Die EU dürfe sich nicht in die Hand eines anderen Staates begeben, meinte er.
Wie ÖVP-Abgeordneter Bernd Schönegger und EU-Parlamentarier Becker machte sich Lopatka für das von
der ehemaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner initiierte Programm "Save Lives" stark, das die Betreuung
und den Schutz der MigrantInnen in den nordafrikanischen Staaten vorsieht. Der mangelnde Schutz der EU-Außengrenzen
stelle auch einen wesentlichen Grund für die existenzielle Krise der EU dar. Die daraus resultierende Wiedererrichtung
nationaler Grenzen, hält Lopatka zwar für notwendig, aber nicht für wünschenswert. Die EU habe
die Union ohne Binnengrenzen, aber mit Außengrenzen konzipiert, betonte Schönegger, der wie der Verteidigungsminister
meinte, dass Österreich selbst auf gutem Weg sei. Schönegger spielte dabei auf die beschlossenen Obergrenzen
und die Schließung der Balkan-Route an.
Grüne: Bundesheereinsatz an der Grenze ist verfassungswidrig
Das allgemeine Lob am Verteidigungsminister wurde von den Grünen nicht geteilt. Peter Pilz und EU-Abgeordnete
Ulrike Lunacek kritisierten vor allem den Einsatz des Militärs an den Außengrenzen als verfassungswidrig.
Diese Aufgabe zu erfüllen, sei ausschließlich Sache der Polizei, meinten beide. Dem widersprach seitens
der ÖVP Bernd Schönegger heftig.
Grenzsicherung könne auch nicht heißen, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen, stellte Pilz fest und
sprach sich gemeinsam mit Tanja Windbüchler-Souschill für Hilfe vor Ort aus. Sie verurteilten scharf,
dass das World Food Programm über viel zu wenig Mittel verfügt. Pilz warf in diesem Zusammenhang Außenminister
Sebastian Kurz Doppelbödigkeit und Zynismus vor, da er fünf Millionen Euro für das Projekt versprochen
habe, bislang aber kein Cent angekommen sei. Dem stellte Pilz die 21 Millionen Euro für das Enter-Kommando
im Mittelmeer entgegen, wofür es seiner Meinung nach nicht einmal eine verfassungsrechtliche Grundlage gibt.
NEOS: Notwendig ist ein Mehr an Europa
Massiv auf mehr Europa setzen auch die NEOS. "Wir können nicht Grenzen im Inneren aufheben und die Außengrenzen
nicht ernst nehmen", sagte Klubobmann Matthias Strolz. Das genau sei aber passiert, weshalb er Verständnis
dafür zeigte, dass man mit einem nationalen Grenzschutz "zwischenpuffere", so abartig er das auch
finde. Er verstehe nicht, warum die Regierung auf EU-Ebene nicht mit Nachdruck auf eine europäische Lösung
drängt. Ihm zufolge könnte man es schon morgen schaffen, ausreichend Personal an die EU-Außengrenzen
zu schicken. Strolz forderte in diesem Sinne neue Kooperationen und politische Antworten ein.
Sein Klubkollege Nikolaus Scherak hofft, dass die EU die gegenwärtige Krise als Chance nutzt und entschlossen
vorgeht – bei der gemeinsamen europäischen Grenz- und Küstenwache, aber auch im Hinblick auf Sanktionen
gegenüber jenen Staaten, die sich bei der Rückübernahme nicht kooperativ zeigen. Scherak trat auch
dafür ein, gegen den Willen einiger Staaten Grenzschützer an die Außengrenzen zu schicken und Behörden
die Möglichkeit zu geben, jene zurückzuschicken, die keinen Aufenthaltsstatus haben. Die Hilfe vor Ort
und gemeinsame europäische Aufnahmezentren brauchen seiner Meinung nach ein Mehr an Europa.
Kritik an der EU auch von fraktionslosen Abgeordneten
In der Debatte meldeten sich auch die fraktionslosen Abgeordneten Marcus Franz, Gerhard Schmid und Susanne Winter
zu Wort. Franz plädierte dafür, eine richtige Terminologie einzusetzen, denn 60% der Ankömmlinge
seien WirtschaftsmigrantInnen und keine Flüchtlinge. Er forderte nationale Grenzschließungen mit rigoroser
Kontrolle und sprach sich dafür aus, nur noch Christen aufzunehmen. Ähnlich wie Franz meinte Schmid,
die Integration dürfe nicht auf Kosten der europäischen Kultur erfolgen. Grundsätzlich stellte er
die Frage, wie lange sich Österreich noch eine solche EU leisten kann. Auch Susanne Winter kritisierte die
mangelnde Handlungsfähigkeit der EU und meinte schließlich, bei den Kriegen im Namen des Terrors gehe
es vielmehr um eine Geostrategie, um Macht, Rohstoffe und Geld.
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