Migrationsstudie zu Pflegeleistungen zeigt Handlungsbedarf – Präsentation der Studie „Einfluss
der Migration auf Leistungserbringung und Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien“
Wien (rk) - „Die Wienerinnen und Wiener können sich bis ins hohe Alter auf ihre Stadt verlassen: jene
die Pflege- und Betreuungsangebote benötigen, steht ein qualitativ hochwertiges und vielfältiges Angebot
an Pflege- und Betreuungsleistungen zur Verfügung, unabhängig vom Einkommen. Der Stadt Wien ist es ein
großes Anliegen, dass alle Menschen, die in Wien leben, diese Angebote kennen und wissen, dass sie ihnen
bei Bedarf zur Verfügung stehen. Sieht man sich aber die KundInnen unserer Angebote genauer an, so fällt
auf, dass WienerInnen mit Migrationshintergrund unterdurchschnittlich oft diese Leistungen annehmen,“ erklärt
Sozialstadträtin Sonja Wehsely angesichts der Ergebnisse der Studie „Einfluss der Migration auf Leistungserbringung
und Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien“.
Die Studie zeigt, dass bestimmte Gruppen von Wienerinnen und Wienern mit ausländischer Herkunft die Pflege-
und Betreuungsleistungen der Stadt nur unterdurchschnittlich oft in Anspruch nehmen. Aufgrund dieser Erkenntnis,
wurde im Rahmen der vorliegenden Studie nach den Gründen für diese Nicht-Inanspruchnahme bzw. nach den
Erwartungen der MigrantInnen an die Pflege- und Betreuungsangebote gefragt. „Der gleiche Zugang zu den Leistungen
der Stadt für alle Menschen, die in Wien leben, ist ein zentrales Ziel der Politik. Die Ergebnisse der Studie
bestätigen den bisherigen Weg der inklusiven Pflege- und Betreuungspolitik in Wien, zeigen aber auch viele
Ansätze und Handlungsoptionen auf, um den Zugang zu den Angeboten zu vereinfachen und die Leistungen so zu
gestalten, dass sie alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen ansprechen“, so Wehsely.
Über 400 Menschen direkt befragt
Im Rahmen der Studie wurden von Prof. Reinprecht (Institut für Soziologie, Universität Wien) und
seinem Team wurden 429 WienerInnen, die ursprünglich aus der Türkei, dem Iran, Bosnien, Serbien und Polen
kommen, interviewt. Wien nimmt damit eine Vorreiterrolle ein, da nicht über die betroffenen Menschen geredet
wird, sondern diese selbst zu Wort kommen und ihre Erwartungen an das System der Pflege und Betreuung formulieren
können. Für Sozialstadträtin Wehsely ist diese direkte Befragung besonders wichtig: „Nur wenn wir
die Wünsche und Sorgen der Menschen kennen, können wir unsere Leistungen treffsicher gestalten und weiter
entwickeln“. Prof. Reinprecht betont mit Blick auf die umfangreichen Interviews und Analysen: „Ein wichtiges Ergebnis
der Studie ist, dass die unterschiedlichen Erwartungen an die Pflege- und Betreuungsleistungen vor allem im Zusammenhang
mit dem Milieu der Befragten zu sehen sind und weniger mit dem Herkunftsland. Zudem spielt die Erfahrung der Migration
ein besondere Rolle“.
Generation der „GastarbeiterInnen“ wird älter
Bei den älteren MigrantInnen in Wien handelt es sich um eine noch kleine, aber ständig wachsende
Gruppe. Insbesondere die Generation der sogenannten GastarbeiterInnen kommt in ein Alter, indem die Thematik der
Pflege und Betreuung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zudem zeigen die Ergebnisse der Studie, dass die Mehrheit
der befragten MigrantInnen plant, ihr Alter in Wien bzw. Österreich zu verbringen: 56% der Befragten wollen
auf jeden Fall in Wien bleiben, nur 8 % haben vor nicht zu bleiben. Insgesamt ist eine zunehmende Diversifizierung
der Gruppe der älteren Menschen in Wien zu erwarten und die künftige Gestaltung von Leistungen hin zu
individuellen, flexiblen und durchlässigen Angeboten gewinnt weiter an Bedeutung.
Mehrheit der Befragten bevorzugt Pflegeeinrichtungen, die für alle offen sind
Spezielle Angebote im stationären Bereich, die sich nur an Menschen einer bestimmten Herkunftsgruppe richten
und für andere nicht zugänglich sind, werden von einer kleineren Gruppe der Befragten gewünscht.
Die Mehrheit der befragten MigrantInnen bevorzugt Einrichtungen, die für Menschen jeder Herkunft offen sind
und die gruppenspezifische Vergemeinschaftungen zulassen. Damit wird der bisherige inklusive Ansatz der Pflege-
und Betreuungspolitik in Wien bestätigt. Zudem zeigen die Studienergebnisse, dass Wohlbefinden (95%) und Geselligkeit
(82%) für die Befragten ausschlaggebende Kriterien für eine attraktive Pflegeeinrichtung sind, oder etwa
der Wunsch nach Gemeinschaft mit Landsleuten und muttersprachlicher Unterhaltung (59%) oder eine Ausstattung mit
Gebetsräumen und Rücksichtnahme auf religiöse Bedürfnisse (46%).
Erwartungen an Pflegekräfte orientieren sich an universellen Normen
Die Erwartungen an die Pflegekräfte reichen von universellen Normen, wie Professionalität, Qualifikation
und Empathiefähigkeit bis hin zu spezifischen Wünschen, wie Sprachkenntnissen. Besonders wichtig sind
den Befragten Respekt (96%) sowie Verständnis (90%). Das gleiche Geschlecht ist für 46% der Befragten
wichtig, eine muttersprachliche Betreuung für 47%, dass die Pflegekraft der gleichen Volksgruppe angehört
hat jedoch weniger Bedeutung (26%).
Nutzung von Informationsmöglichkeiten zeigt Handlungsbedarf
21% der befragten MigrantInnen haben sich bereits über Pflege und Betreuungsangebote informiert. Als Informationsquellen
wurden von 49% die Familie oder Verwandte genannt, fast genauso wichtig sind FreundInnen oder Bekannte (48%), HausärztInnen
(43%) oder Einrichtungen der Stadt Wien (34%). Hier ist ein Verbesserungspotential deutlich erkennbar. „Es ist
mir ein großes Anliegen, dass alle Menschen, die in Wien leben, die qualitativ hochwertigen Pflege und Betreuungsleistungen
kennen und wissen, dass sie ihnen bei Bedarf zur Verfügung stehen“, so Stadträtin Wehsely. Die Handlungsempfehlungen
des ExpertInnen-Beirats zur Studie betonen die Wichtigkeit von zielgerichteten und persönlichen Informationen:
Informationen sollen gezielt verteilt und von Erklärungen begleitet werden, der soziale Kontakt wird als zentral
angesehen.
Inklusion als zentraler Schlüssel
Von besonderer Relevanz ist es auf die Sorgen und Ängste der Menschen einzugehen. So zeigt die Studie
deutlich, dass Diskriminierungserfahrungen bzw. die Angst vor Diskriminierungen einen wesentlichen Einfluss auf
die potentielle Inanspruchnahme von Leistungen durch MigrantInnen haben. Die Forschung macht aber auch auf bedeutende
Handlungsressourcen aufmerksam. „Hierzu zählen z.B. psychische und biografische Ressourcen von Menschen mit
Migrationserfahrung, wie etwa Abenteuerlust, Selbstwirksamkeit oder Arbeitsethos. Dazu kommt vor allem die Erfahrung
der Inklusion. So sind jene MigrantInnen, die über keine Diskriminierungserfahrung berichten, sich über
Angebote informiert haben und bereits einmal eine soziale Leistung bezogen haben auch dem Pflegesystem gegenüber
offener“ so Prof. Reinprecht.
Studienergebnisse fließen in die künftige strategische Planung ein
Die Studie enthält neben den Befragungsergebnissen und einer ExpertInnenbefragung auch zahlreiche Handlungsempfehlungen.
Diese werden direkt in die aktuelle Strategie „Pflege und Betreuung in Wien 2030“ einfließen. Eine der neun
Leitlinien der Strategie hat das Ziel „inklusive Leistungen, die für alle zugänglich und auf alle unterschiedlichen
Formen und Stadien von Pflege- und Betreuungsbedarfen vorbereitet sind“ zu schaffen. Die Umsetzung der Strategie
wird von der MA 24 – Gesundheits- und Sozialplanung begleitet, die auch gemeinsam mit dem Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen
die vorliegende Studie herausgegeben hat. Die Studienergebnisse werden auch in die weitere Arbeit der Sozialplanung
Eingang finden und eine wichtige Grundlage für den Fonds Soziales Wien darstellen. Auch für den Dachverband
Wiener Sozialeinrichtungen mit seinen Mitgliedsorganisationen sollen die Erkenntnisse in die tägliche Arbeit
einfließen und in handhabbare operative Maßnahmen umgesetzt werden.
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