Wien (tu) - Die Ideen, für die der Physiknobelpreis 2016 vergeben wurde, sind im Experiment schwer zu überprüfen.
Berechnungen der TU Wien weisen nun einen neuen Weg zur Realisierung von Duncan Haldanes „topologischer Phase“.
Für Arbeiten zu topologischen Phasen und Übergängen im zweidimensionalen „Flachland“ wurde der diesjährige
Physiknobelpreis an die Theoretischen Physiker David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz vergeben.
Nach wie vor ist es schwierig, diese topologischen Effekte im Experiment nachzuweisen, und als besonders schwierig
hat sich die Realisierung von Haldanes ursprünglicher Topologischer Phase erwiesen. Prof. Karsten Held und
seinem Team am Institut für Festkörperphysik der TU Wien ist es nun mit Hilfe von Computersimulationen
gelungen, ein Material zu identifizieren, bei dem sich diese ursprüngliche Nobelpreis-Idee auf besonders elegante
Weise demonstrieren lässt: Ultradünnes Strontium-Ruthenium-Oxid, bestehend aus nur zwei Atomlagen.
Frühstücksgebäck und Katzenhaare
Topologie ist ein Gebiet der Mathematik, das auf den ersten Blick mit Materialwissenschaft nicht viel zu tun hat.
Oft werden topologische Grundideen mit Hilfe von Frühstücksgebäck erklärt: Eine runde Semmel
ist topologisch dasselbe wie ein langgezogenes Baguette. Die beiden Formen können durch kontinuierliches Zerren
und Ziehen ineinander übergeführt werden. Ein Donut hingegen ist topologisch etwas anderes – er hat in
der Mitte ein Loch.
Das Nützliche an solchen topologischen Eigenschaften ist, dass sie relativ stabil gegenüber Störungen
sind: Wenn man ein Baguette ein bisschen quetscht, wird daraus noch lange kein Donut. Topologische Eigenschaften
wie die Anzahl der Löcher (man spricht auch von der „Chern-Zahl“) sind besonders stabil und wenig „fehleranfällig“.
Genau das macht man sich in der Festkörperphysik zu Nutze: „Ein Material kann auf mikroskopischer Ebene eine
bestimmte magnetische Ordnung haben. An jeder Stelle zeigt das magnetische Moment der Atome in eine bestimmte Richtung“,
erklärt Karsten Held. In einem Ferromagneten richten sich alle magnetischen Momente in dieselbe Richtung aus,
wie die Haare auf dem Rücken einer gut gebürsteten Katze. Es gibt aber auch Situationen, die eher an
die Haare auf einem menschlichen Hinterkopf erinnern: Dort gibt es einen Wirbel – an dieser Stelle zeigen eng benachbarte
Haare in ganz unterschiedliche Richtungen. Der Unterschied zwischen sauber frisiertem Fell und Haarwirbel entspricht
topologisch genau dem Unterschied zwischen Semmel und Doughnut.
„Genau solche Wirbelfelder untersuchen wir für die Elektronen im Festkörper, allerdings nicht im Ortsraum,
sondern im Impulsraum“, erklärt Karsten Held. „Das topologische Phänomen dahinter ist aber dasselbe –
je nachdem, ob ein Wirbel vorhanden ist oder nicht ändert sich die Chern-Zahl um eins.“ Der Ausrichtung der
Menschen- oder Katzen-Haare entspricht hier einer Quanten-(Berry-) Richtung der Elektronen.
Ein besseres Material für künftige Experimente
Bereits 1985 bekam Klaus von Klitzing den Nobelpreis für die Entdeckung des Quanten-Hall-Effekts: Wenn sich
ein Strom von Elektronen über eine zweidimensionale Ebene bewegt und man senkrecht dazu das Magnetfeld erhöht,
dann steigt die Spannung – allerdings nicht kontinuierlich, wie man nach den Regeln der klassischen Physik erwarten
würde, sondern in Stufen. Bei jeder dieser Quanten–Stufen ändert sich die Chern-Zahl um eins wie David
Thouless, einer der Nobelpreisträger von 2016, nachwies. Man dachte ursprünglich, dass dieses Phänomen
nur in Halbleitern beobachtet werden kann und dass man dafür starke externe Magnetfelder benötigt. Duncan
Haldane, einer der Nobelpreisträger 2016, konnte allerdings zeigen, dass das nicht stimmt: Entscheidend ist
bloß die Topologie. Die gleiche Physik ist auch unter ganz anderen Bedingungen möglich, die einfachste
Verallgemeinerung ist dabei der sogenannte „anomale Quanten Hall-Effekt“.
„Die experimentelle Realisierung von Haldanes anomalem Quanten Hall Effekt ist allerdings sehr schwierig“, sagt
Karsten Held. „Bislang ist dies lediglich durch den Einbau von Chrom-Atome in Bismuttellurid gelungen. Die Cr-Atome
haben ein starkes, magnetisches Moment und wirken schlußendlich wie kleine externe Magnete.“
Wie Rechnungen von Liang Si, Gang Li und Oleg Janson aus der Forschungsgruppe von Karsten Held zeigen, sind dieselben
Effekte auch in einer Schicht aus Strontium-Ruthenium-Oxid mit einer Dicke von nur zwei Atomlagen möglich.
Diese Struktur ist den theoretischen Arbeiten von Haldane deutlich näher als bisherige Umsetzungsideen. Dass
diese Arbeit nun praktisch gleichzeitig mit der Ankündigung des Nobelpreises fertiggestellt wurde, war Zufall:
„Wir beschäftigen uns schon seit längerer Zeit mit diesem Phänomen, aber es ist schön, wenn
diese Forschungsrichtung nun durch den Nobelpreis zusätzliche Aufmerksamkeit erhält“, meint Held.
Originalpublikation:
https://arxiv.org/pdf/1610.01948v1
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