Innsbruck (universität) - Die Bildung von Quasiteilchen in einem Festkörper dauert nur Attosekunden
und kann im Labor kaum beobachtet werden. Nun haben Innsbrucker Physiker um Rudolf Grimm gemeinsam mit einem internationalen
Team von Theoretikern die Entstehung von Polaronen durch Experimente an einem ultrakalten Quantengas in Echtzeit
simuliert. Die Forscher berichten darüber in der Fachzeitschrift "Science".
Die Quantenphysik beschreibt physikalische Vorgänge in Festkörpern und anderen Vielteilchensystemen auch
mit Hilfe von Quasiteilchen. Wenn sich zum Beispiel ein Elektron durch einen Festkörper bewegt, erzeugt es
auf Grund seiner elektrischen Ladung in der Umgebung eine Polarisation. Diese „Polarisationswolke“ bewegt sich
zusammen mit dem Elektron und beide gemeinsam können theoretisch als selbstständiges Quasiteilchen, als
Polaron, beschrieben werden. „Man kann das mit einem Skifahrer im Pulverschnee vergleichen“, sagt Rudolf Grimm.
„Der Skifahrer ist umhüllt von einer Wolke aus Schneekristallen. Gemeinsam bilden sie ein System, das andere
Eigenschaften hat als der Skifahrer ohne Schneewolke.“ Die experimentelle Messung von Quasiteilchen stellt eine
große Herausforderung dar. „Diese Prozesse spielen sich im Attosekunden-Bereich ab und ihre zeitaufgelöste
Beobachtung ist äußerst schwierig“, erläutert Grimm, der mit seinem Team ultrakalte Quantengase
nutzt, um ungelöste Rätsel der Vielteilchenphysik komplexer Quantensysteme mittels Simulation zu ergründen.
Kreißsaal für Quasiteilchen
Ultrakalte Quantengase sind ein ideales Experimentierfeld, um physikalische Phänomene zu erforschen, wie sie
in Festkörpermaterialien und auch in exotischen Materiezuständen wie Neutronensternen auftreten. Unter
streng kontrollierten Bedingungen können in solchen Gasen Vielteilchenzustände erzeugt und die Wechselwirkung
zwischen den Teilchen gezielt manipuliert werden. Die Gruppe um Rudolf Grimm am Institut für Quantenoptik
und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Experimentalphysik
der Universität Innsbruck ist international führend auf diesem Forschungsgebiet und konnte nun gemeinsam
mit Theoretikern der Harvard University, der TU München und der Monash University in Australien erstmals die
Quasiteilchendynamik in Echtzeit studieren. Die Forscher erzeugen in einer Vakuumkammer ein ultrakaltes Quantengas
aus vielen Lithiumatomen und wenigen Kaliumatomen in deren Mitte. Für beide Atomsorten werden Isotope verwendet,
die als Fermionen den gleichen fundamentalen Charakter wie Elektronen haben. Über Magnetfelder lassen sich
deren Wechselwirkung einstellen und auf diese Weise Fermi-Polaronen erzeugen, d.h. Kaliumatome, die von einer Wolke
aus Litihum umhüllt werden. „Die natürliche Zeitskala bei solchen Quasiteilchen liegt im Festkörper
bei 100 Attosekunden“, erklärt Rudolf Grimm. „Wir simulieren die gleichen physikalischen Prozesse mit vielen
Teilchen und bei sehr viel geringerer Dichte. Die Entstehung der Polaronen dauert hier einige Mikrosekunden.“ Auch
dies stellt für die Messung noch eine große Herausforderung dar. „Wir haben aber eine neue Methode gefunden,
wie man die Geburt eines Polarons quasi in Echtzeit beobachten kann“, freut sich Quantenphysiker Grimm und blickt
bereits in die Zukunft: „Das könnte interessant sein, um die Quantenphysik superschneller elektronischer Bauelemente
besser zu verstehen.“
Finanziell unterstützt wurden die Forscher unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF
im Rahmen des Spezialforschungsbereichs FoQuS und des Doktoratskollegs Atome, Licht und Moleküle (ALM).
Publikation: Ultrafast many-body interferometry
of impurities coupled to a Fermi sea. Marko Cetina, Michael Jag, Rianne S. Lous, Isabella Fritsche, Jook T. M.
Walraven, Rudolf Grimm, Jesper Levinsen, Meera M. Parish, Richard Schmidt, Michael Knap, Eugene Demler. Science
2016 / http://dx.doi.org/10.1126/science.aaf5134
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