Parlaments-Symposium über Reformpolitik und Reformhindernisse
Wien (pk) - Vor 50 Jahren, im Jahre 1966, begann für die Zweite Republik ein neues Kapitel ihrer Geschichte.
Bundeskanzler Josef Klaus bildete aufgrund einer absoluten Mandatsmehrheit der ÖVP erstmals eine Alleinregierung
in Österreich und startete mit einer reformorientierten Politik in eine neue Ära. Vier Jahre später
verlor die ÖVP die Nationalratswahlen. Diese historische Erfahrung nahm der Zweite Nationalratspräsident
Karlheinz Kopf zum Anlass, seine parlamentarische Veranstaltungsreihe "Demokratie – Quo Vadis?" am 11.10.
mit einem prominent besetzten Symposium zum Thema "Himmelfahrtskommando 'Reformregierung' – vom Risiko, Mut
in der Politik zu haben", fortzusetzen.
"Warum laufen Regierungen mit Reformwillen und Mut zur Entscheidung Gefahr, abgewählt zu werden".
Diese Frage stand im Mittelpunkt der gemeinsam mit der Politischen Akademie und NZZ.at organisierten Veranstaltung.
Antworten suchte der Politikwissenschaftler Peter Filzmair in einem Impulsreferat. Danach nahmen der ehemalige
Staatssekretär, Bundesminister, ÖVP-Klubobmann und Zweiter Nationalratspräsident Heinrich Neisser,
die Chefredakteurin des "Standard", Alexandra Föderl-Schmid, der Geschäftsführer von "Public
Affairs" Thomas Hofer, der Managing Director von "Agenda Austria", Franz Schellhorn am Podium des
Abgeordnetensprechzimmers Platz. Für die Moderation der Diskussion sorgte der Chefredakteur von NZZ.at, Michael
Fleischhacker.
Kopf: PolitikerInnen brauchen Mut, das Notwendige zu tun
In seiner Einleitung erinnerte der Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf an die zwiespältigen Reaktionen,
die Reformpolitik auslösen kann, vor allem, wenn es um Veränderungen im Sozialstaat geht. Was manche
als nicht ausreichend kritisieren, lehnen andere ab, sei es aus Sehnsucht nach Geborgenheit oder aus Angst vor
sozialem Abstieg. Kopf forderte mit Nachdruck Mut zu Reformen und appellierte an die PolitikerInnen, angesichts
des nächsten Wahltags nicht in Starre zu verfallen. "Es gibt nichts Gefährlicheres als eine Politik,
die den Menschen sagt, sie hätten schon alles getan und können sich zurücklehnen", warnte Kopf
und nannte als positive Beispiele drei Reformpolitiker – den ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Göran
Persson, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel -, die den Mut hatten, den
Menschen nicht nur Angenehmes zu versprechen, sondern auch das Notwendige zu tun.
Filzmair: Tabus erschweren den politischen Diskurs über Reformen
Peter Filzmair versteht Reform als nicht revolutionäre, nicht gewaltsame, aber doch einschneidende Umgestaltung
im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels. In Österreich drängen manche mit Nachdruck auf Reformen, andere
wollen zwar alles ändern, aber nicht bei sich selbst. Es gäbe aber auch Menschen, die Reformen ablehnen
und meinen, "früher war alles besser". Den politischen Diskurs über Reformen sieht Filzmair
in Österreich durch die starke Tabuisierung bestimmter Themen wie Pensionen und Einkommen erschwert. Für
bedenklich hält der Politologe die aktuell schlechten Werte für die Politik und die PolitikerInnen im
aktuellen Vertrauensindex sowie Umfrageergebnisse, die eine wachsende Politik-, Demokratie- und Parteienverdrossenheit
sowie eine zunehmende Bereitschaft zur Radikalisierung anzeigen.
Eine alternde, sich urbanisierende, digitalisierende und internationalisierende postindustrielle Gesellschaft braucht
politische Reformen, betont Filzmair. Verhindert würden Reformen durch Polarisierungen, die auf Klüfte
zwischen Alters- und Geschlechtergruppen, zwischen In- und Ausländern, Bildungsunterschiede und Verlustängste
zurückzuführen seien. Die Menschen nehmen die Politik oft als institutionell, abstrakt und die PolitikerInnen
als Menschen wahr, die nichts vom Leben verstehen. Den Parteien werde immer weniger zugetraut, gute Reformen zu
machen. Bevölkerung, Politik und Medien sieht Filzmair in einer Spirale, in der Politikenttäuschung und
Desinteresse zu Populismus führen. Dazu kommen mediale Dramatisierungen statt seriösem Journalismus und
damit noch mehr Enttäuschung und noch weniger Sachbezug. Wichtig sei beim Thema Reformpolitik die Frage der
Interessen, die mit jeder Reform verbunden sind – das ist Sache der Politik, schloss der Politikwissenschaftler.
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